Eigenverantwortung der Entwicklungsländer

„Wir müssen lernen, Nein zu sagen“

Wenn die Geberregierungen die politische Eigenverantwortung der Länder übergehen, können ihre Gelder nicht effektiv eingesetzt werden. Alle Beteiligten haben noch einen langen Weg zurückzulegen, bis sie die Versprechen der Pariser Erklärung wirklich erfüllen, meint Karin Slowing Umaña aus Guatemala.


Interview mit Karin Slowing Umaña

Die Abschlusserklärung des High Level Forums in Busan betont das Prinzip „Focus on Results“. Es geht darum, auf Ergebnisse hinzuarbeiten. Was sollten die Ergebnisse von Entwicklungshilfe sein?
Wir müssen auf globaler und nationaler Ebene definieren, welche Ergebnisse wir erreichen wollen. Natürlich möchten wir alle, dass Entwicklungshilfe möglichst große Wirkung – „impact“ – hat. Aber welche Art von Wirkung wir anstreben, ist ganz unterschiedlich. So erwarten einige Regierungen auf Geber- wie Empfängerseite messbare Ergebnisse wie die MDGs, die Millennium Development Goals der Vereinten Nationen, anderen ist gute Regierungsführung wichtig.

Sind denn nicht die Millenniumsziele das übergeordnete Ziel?
So heißt es immer. Aber wenn dem so wäre, dürften sich die Geber nicht aus Lateinamerika zurückziehen, vor allem nicht aus Zentralamerika. Hier sind die MDGs schließlich noch lange nicht erreicht. Es bräuchte viel Kapital, um die große Ungleichheit in der Gesellschaft zu überwinden, die das Erreichen der MDGs verhindert. Da wir aber ein Land mit mittlerem Einkommen sind, heißt es von Geberseite, dass wir unsere Angelegenheiten selbst regeln sollen. Den Gebern scheint es eher um finanzielle Autonomie als um die MDGs zu gehen. Deutschland setzte sich zum Beispiel sehr für eine Steuerreform in Guatemala ein, was natürlich auch ein sehr wichtiges Ziel ist.

Als großer Vorteil der Millenniumsziele gilt, dass sie überprüfbar sind. Wie wichtig ist die Messbarkeit von Ergebnissen?
Objektive Daten sind fundamental. Wir können uns nicht allein auf unser Gefühl verlassen. Denn an jedem Projekt sind viele Menschen und Organisationen beteiligt, deren Wahrnehmung der Ergebnisse sehr unterschiedlich sein kann. Dazu kommen all die Bürger, die mit ihren Steuergeldern die Hilfe finanzieren – auch sie haben ein Recht darauf zu wissen, was mit ihrem Geld passiert. Ich verstehe jedoch nicht, wieso wir immer wieder die Bewertungskriterien neu diskutieren. Auf dem High Level Forum in Paris wurden 2005 bereits zwölf Indikatoren festgelegt, die einen effizienten Mitteleinsatz belegen. Anstatt das Rad ständig neu zu erfinden, sollten wir diese Indikatoren nutzen und mit ihrer Hilfe kontinuierlich die Ergebnisse der Zusammenarbeit überprüfen.

Meinen Sie die „Surveys“ der OECD, die die Ergebnisse der internationalen Zusammen­arbeit analysieren?
Genau. Ich halte sie wirklich für extrem wichtig. In Guatemala haben wir alle von der OECD geforderten Evaluierungen durchgeführt. Nun haben wir hieb- und stichfeste Daten über den Einfluss der Geber auf unser Land und können viel besser einschätzen, welche Herausforderungen wir und die Geber bewältigen müssen, um die Hilfe wirkungsvoller zu machen. Die OECD sollte weltweit auf die Umsetzung der Surveys pochen, damit es ein kontinuierliches, globales Monitoring gibt. Und sie sollte darauf bestehen, dass Geber und Empfänger ihre Politik an den Ergebnissen der Surveys ausrichten.

Was haben die OECD-Evaluierungen für ­Guatemala ergeben?
Sie zeigen einige positive Beispiele auf. Die Spanier zum Beispiel fördern genau jene Bereiche, die wir abgesprochen haben, und investieren viel in staatliche Institutionen. Besonders wichtig ist ihre Hilfe in den beiden Sektoren Bildung und Wasser/Sanitärversorgung, die über die entsprechenden Ministerien in Guatemala lief. Das ist teuer und der Fortschritt ist oft schleppend, aber die Spanier haben verstanden, wie wichtig diese Institutionen sind. Doch nur sehr wenige Geber richten sich wirklich nach unserer nationalen Politik oder nutzen unsere nationalen Systeme. Es ist noch ein langer Weg zur Verwirklichung der Pariser Erklärung. Und ohne Zweifel müssen sich auch die staatlichen Institutionen von Guatemala noch verbessern, um die Hilfe effizienter zu nutzen.

Was erwarten Sie von den Geberländern, um die Zusammenarbeit zu verbessern?
Sie müssen zu ihrem Wort stehen. Die meisten ­Geber aber sind ihren Versprechen aus der Paris-Deklaration bisher nicht nachgekommen. Sie tun zu wenig, um ihre Politik untereinander abzustimmen. Sie richten sich nicht genügend an den Strategien und Verfahren der Empfängerländer aus und unterstützen unsere schwachen Institutionen nicht in ausreichendem Maße. Entwicklungsländer und Geber sollten mit gemeinsamen Strategien daran arbeiten, die Probleme bei der Erfüllung der Pariser Indikatoren auf beiden Seiten zu überwinden. Auch dies wurde in Busan kaum thematisiert. Wenn wir so weitermachen, werden wir auf den High Level Foren weiter viel reden, aber wenig erreichen.

Können die Empfängerländer selber dazu beitragen, dass Entwicklungshilfe bessere Ergebnisse erzielt?
Auch wir müssen aufrichtig sein und Verantwortung übernehmen. Wir dürfen nur unterschreiben, was wir wirklich erfüllen können. Außerdem müssen wir die staatlichen Institutionen stärken und unsere Kompetenzen für Verhandlungen mit den Gebern erweitern, damit wir die Zusammenarbeit mit ihnen besser steuern können. In Guatemala haben wir mit einer institutionellen Reform begonnen, um der internationalen Zusammenarbeit besser zu begegnen. Wir haben die Mitarbeiter dafür ausgebildet, nicht nur Projekte durchzuführen, sondern auch zu analysieren. Am 10. Januar haben wir gerade den „Primer informe nacional de la cooperación“ (Erster nationaler Bericht über die Zusammenarbeit) veröffentlicht. Zudem ist Steuerverantwortung sehr wichtig, um selbständiger zu werden. Denn die Industrieländer haben ja recht, wenn sie sagen, dass wir nicht erwarten dürfen, dass die internationale Gemeinschaft allein unsere Entwicklung finanziert.

Welcher Akteur könnte genug politischen Druck ausüben, um die Regierungen der Geberländer zum Handeln zu bewegen?
Meiner Meinung nach ist hier die Gruppe der acht größten Industrienationen (G8) gefragt. Wir Empfängerländer sind nicht mächtig genug, um von den Geberländern anderes Handeln zu fordern. Dafür braucht es eine übergeordnete internationale Instanz wie die G8, die dafür sorgen kann, dass die Geber sich gegenseitig auf die Finger schauen. Ein weiterer wichtiger Akteur ist die Zivilgesellschaft. Sie muss stärker Rechenschaft darüber fordern, was mit Entwicklungsgeldern passiert – sowohl in Industrie- als auch in Entwicklungsländern.

In Ihrem Kommentar zum High Level Forum in Busan (E+Z/D+C 2012/1, Seite 43) schreiben Sie, dass die Entwicklungsländer in den Verhandlungen stärker geworden sind.
Ja, Guatemala beispielsweise konnte in den letzten Jahren eine Führungsrolle in Zentralamerika einnehmen. Mit unseren Nachbarn arbeiten wir nun zusammen an einer regionalen Politik der interna­tionalen Zusammenarbeit. Ein erster Schritt war unsere Erklärung „Camino a Busan“ („Auf dem Weg nach Busan“). Mit einer Stimme aufzutreten macht uns in den Verhandlungen stärker.

Was können auch andere Entwicklungsländer tun, um eine bessere Verhandlungsposition zu erlangen?
Erstens sollten wir versuchen, unabhängiger von ausländischer Hilfe zu werden. Das muss man sich wirklich als tägliches Ziel setzen. Denn je mehr wir von finanzieller Unterstützung abhängen, umso eingeschränkter sind wir in unseren Entscheidungen. Fiskalautonomie ist deshalb ein strategisch wichtiges Ziel. Zweitens müssen auch Entwicklungsländer lernen, Nein zu sagen, wenn ein Geber seine eigenen Regeln aufstellen will oder eigen­nützige Politik betreibt. Geber-Regierungen helfen uns nicht aus Liebe zur Philanthropie. Sie machen mit ihrer Entwicklungspolitik immer auch Außenpolitik. Das ist völlig legitim, aber in unseren ­Ländern ist das kaum jemandem vollständig klar. Wir müssen dringend begreifen, dass keine Hilfe umsonst ist. Wir müssen die Augen offen halten und besser verhandeln lernen.

Das Gespräch führte Eva-Maria Verfürth.

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