Covid-19
Afrikanische Reaktionen
Diesmal kam das Virus nicht aus dem Busch. Die sich aktuell in Afrika ausbreitende Coronavirus-Pandemie ging von den Flughäfen aus. Schon Ende Januar 2020 waren einige der 5 000 afrikanischen Studenten, die an Universitäten im chinesischen Wuhan eingeschrieben sind, auf den Kontinent zurückgekehrt. Aufgrund grippeähnlicher Symptome wurden sie vorsorglich isoliert. Zwei Wochen später bestätigte Ägypten den ersten Covid-19-Fall.
Bis Ende März waren 46 der 55 Länder Afrikas betroffen. Am 30. März war Südafrika mit 1 187 Fällen an der Spitze, die nordafrikanischen Länder folgten mit je rund 500 Fällen. Längst verbreiten nicht mehr nur Reisende und Rückkehrer aus Asien, Europa und Nordamerika das Virus – auch viele andere sind infiziert.
Die Infektionsraten werden wohl noch eine Weile steigen. Derzeit entwickeln sich die Zahlen dynamisch und zugleich von Land zu Land sehr unterschiedlich. Obwohl immer mehr Diagnosetools zur Verfügung stehen, bleiben wohl viele Infektionen unerkannt. Tests gibt es, wenn überhaupt, in großen Städten, und auch dort nicht genügend.
Der chinesische Internet-Milliardär Jack Ma spendete der Afrikanischen Union (AU) eine Million Testsätze, die Ethiopian Airlines in betroffene Länder lieferte. Je mehr Tests gemacht werden, desto mehr Fälle werden diagnostiziert. Klar ist trotzdem nicht immer, ob die offiziellen Zahlen stimmen oder von Regierungen beschönigt werden.
Verglichen mit anderen Weltregionen ist Afrika schlecht für die Krankheit gerüstet. Nur wenige Länder – zum Beispiel Kenia, Nigeria und Südafrika – betreiben funktionierende Isolationsstationen und verfügen in normalen Zeiten über genügend Kapazitäten zur Intensivversorgung. Das gilt auch für Nordafrika. In den meisten afrikanischen Ländern aber sind die Gesundheitssysteme permanent überlastet; für einen Massenausbruch von Covid-19 mit rasch steigenden Patientenzahlen sind sie nicht gerüstet.
Zwei Ärzte pro 10 000 Einwohner
In etwa zwei Dritteln der afrikanischen Länder gibt es nicht einmal zwei Ärzte pro 10 000 Einwohner; im derzeit völlig überlasteten Italien gibt es 41 pro 10 000 und etwa drei Klinikbetten pro 1 000 Menschen. Die meisten afrikanischen Länder haben weniger als eines.
Auf kurzfristige substanzielle Hilfe von ausländischen Ärzten zu hoffen, ist riskant. Angesichts der 2014 in West- und Zentralafrika grassierenden Ebola-Epidemie wurde auf europäischer Ebene ein medizinisches Korps gegründet. Neben anderen haben Frankreich, Italien und Deutschland vereinbart, in medizinischen Notfällen Ärzteteams in betroffene Entwicklungsländer zu entsenden. Aktuell sind aber genau diese drei Länder selbst am meisten in Not und benötigen ihre Kapazitäten, um die eigene Coronavirus-Krise zu bewältigen. Zudem sollten ausländische Helfer zunächst in einer zweiwöchigen Quarantäne überwacht werden.
Afrika kann die Verbreitung der Krankheit wohl nicht stoppen, muss sie aber zumindest bremsen. Nach Ausbruch der Pandemie bemühte man sich zunächst darum, das Virus gar nicht erst ins Land zu lassen. Erfahrungsgemäß ist es zentral, Mobilität und physischen Kontakt infizierter Personen mit anderen zügig einzuschränken. Es ist sinnvoll, Einkaufszentren, Unterhaltungsstätten und andere Orte zu schließen, an denen Menschen zusammenkommen.
Fast alle afrikanischen Länder haben ihre Flughäfen zunächst für kommerzielle Interkontinentalflüge geschlossen, mehr als ein Drittel auch die Landesgrenzen. Wer vor der Schließung kam, wurde aufgefordert, in häusliche Quarantäne zu gehen oder von der Regierung in gemieteten Hotels isoliert. Regierungsmitglieder stornierten Auslandsreisen, Regierungen schlossen Schulen und Universitäten. Ausgangssperren und nationale Notfall-Deklarationen waren Ende März noch selten, nehmen aber zu.
Einige Länder – darunter Burkina Faso – haben Menschenansammlungen verboten, Gewerkschaften ihre Protestmärsche vertagt.
Auch religiöse Führer reagieren. So verbietet der Erzbischof von Lagos den Gebrauch von Weihwasser und empfiehlt stattdessen Desinfektionsmittel. Der Hohe Islamische Rat von Algerien hat die Schließung heiliger Stätten in Saudi-Arabien begrüßt und Pilgerreisen nach Mekka abgesagt. Nach Rücksprache mit dem Fâ-Orakel empfehlen die Voodoo-Priester in Benin, Ausflüge ins Hinterland zu vermeiden.
Das stets innovative Ruanda hat an Bushaltestellen mobile Waschbecken installiert, wo die Passagiere sich vor dem Einstieg die Hände waschen sollen. Taxifahrer in Togo sind angehalten, sich und ihre Fahrgäste mit Schutzmasken auszustatten, die allerdings schwer erhältlich sind. Auch sollen sie die Passagiere in ausreichendem Abstand halten – auf dem Rücksitz. Die Vorschriften und Richtlinien sind so unterschiedlich wie die afrikanischen Länder selbst. Einen koordinierten kontinentalen oder regionalen Ansatz gibt es bislang nicht.
Insgesamt haben die afrikanischen Regierungen aber schnell reagiert. Der Kontinent hat Erfahrung mit Ebola, Lassa-Fieber und HIV/Aids, und die Menschen sind grundsätzlich bereit, temporäre Einschränkungen zu akzeptieren. Die meisten begreifen, dass sie auf Handschlag und Umarmungen verzichten sollten. Zugleich besteht aber eine Kluft zwischen den markigen Entscheidungen an der Spitze und deren Umsetzung durch schlecht vorbereitete Behörden.
Wenig Raum für soziale Distanz
Denn einige Regeln sind nur schwer umsetzbar. Vielerorts ist der Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen eingeschränkt. Die Menschen sind auf überfüllte Kleinbusse angewiesen, Motorradtaxis befördern bis zu vier Passagiere. Informell Beschäftigte – in den meisten Ländern mehr als 90 Prozent der Erwerbstätigen – brauchen ihren Tageslohn und können es sich nicht leisten, wegen milder Grippesymptome zu Hause zu bleiben. Menschen mit niedrigem Einkommen können keine Vorräte anlegen, sie müssen in überfüllten Märkten das Nötigste für den täglichen Gebrauch kaufen. Ohne Krankenversicherung geht man nur bei ernsten medizinischen Problemen ins Gesundheitszentrum.
Welche Folgen die Pandemie für Afrika haben wird, lässt sich noch nicht sagen. Einerseits gibt es viele junge Menschen und nur wenige ältere, die für Covid-19 besonders anfällig sind. Dafür gibt es andere besorgniserregende Ko-Mortalitätsfaktoren, etwa die Prävalenz von Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, an der jedes Jahr 2,5 Millionen Afrikaner erkranken und eine halbe Million sterben.
Der wirtschaftliche Schaden, den diese globale Krise in Afrika anrichten wird, wird Ausmaße haben, die bisher nur grob zu umfassen sind. Allein die Kosten für die aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 werden auf rund 10 Milliarden Dollar geschätzt. Bei sinkender Rohstoffnachfrage sinken auch die Exporteinnahmen. Nicht nur Öllieferanten wie Nigeria, Angola und Algerien werden weniger Devisen einnehmen. Auch Länder, die mineralische und landwirtschaftliche Rohstoffe exportieren, wird es treffen – Ausnahmen sind Gold und Diamanten. Die AU schätzt, dass sich das durchschnittliche Wachstum in Afrika in diesem Jahr auf 1,8 Prozent halbieren wird. Das wäre niedriger als das Bevölkerungswachstum.
Auch Sektoren, die für Einkommen und Beschäftigung ärmerer Bevölkerungsgruppen bedeutsam sind, werden leiden. Der Tourismus ist zusammengebrochen, ebenso der Handel mit Schnittblumen und tropischen Früchten. Grenzschließungen reduzieren den intraregionalen Handel, Transferzahlungen von Migranten, von denen ganze Familien leben, werden deutlich sinken.
Die Vereinten Nationen haben bisher nur humanitäre Hilfe für Afrika gefordert. Die Hilfen, inklusive der Bereitstellung von sanitären Einrichtungen, Diagnoselabors oder mobilen Unterkünften für Quarantänepatienten, sollten zügig beginnen. Denn selbst wenn es gelingt, „die Kurve in Afrika abzuflachen“ und die Pandemie einzudämmen, müssen andere Krankheiten behandelt werden, sobald die Beschränkungen aufgehoben sind.
Auch sollten Maßnahmen ergriffen werden, die die afrikanischen Volkswirtschaften stärken. Die Verschuldung der afrikanischen Länder ist in den letzten Jahren stark gestiegen, in beispiellosem Umfang sind auch private Banken im Kreditgeschäft engagiert. Export- und Steuereinnahmen werden sinken. Kein afrikanisches Land verfügt über Ressourcen für massive wirtschaftliche Hilfs- und Konjunkturprogramme, wie die EU-Mitglieder und die USA sie kürzlich aufgelegt haben.
Weltbank und Internationaler Währungsfonds senden die richtigen Signale, aber ihre Möglichkeiten, bedürftigen Ländern Geld zu geben statt nur zu leihen, sind ziemlich begrenzt. Die G20 sollten nach ihrer digitalen Konferenz am 26. März ein massives Hilfsprogramm für Afrika starten. 100 Milliarden Dollar wären ein Anfang – und lediglich 0,45 Prozent der 2,2 Billionen, die der US-Kongress zur Rettung der US-Wirtschaft genehmigt hat. Bisher haben die G20 nur 5 Milliarden Dollar zugesagt, um die Weltwirtschaft anzukurbeln.
Hans-Joachim Preuß leitet das Büro der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Benin. Er gibt in diesem Beitrag seine persönliche Meinung wieder.
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