Aufklärung und Verhütung
Selbstbestimmtes Leben für Frauen
Im Jahr 2017 können in Entwicklungsländern 214 Millionen Mädchen und Frauen – das heißt jede Vierte – nicht verhüten, obwohl sie das gerne wollen. Diese Mädchen und Frauen sind in der Regel arm, jung, wenig gebildet und leben in ländlichen Regionen. Zu den Gründen dafür zählen:
- hemmende gesellschaftliche Normen und Gebräuche einschließlich fehlender Gleichstellung der Geschlechter,
- Benachteiligung junger Menschen,
- unzureichende politische und gesetzliche Rahmenbedingungen,
- Mangel an vielseitigen und hochwertigen Verhütungsmitteln und entsprechenden Dienstleistungen,
- persönliche Vorbehalte und unzureichendes Wissen über die Wirkung und Bandbreite von Verhütungsmitteln sowie
- fehlende Finanzierung.
Aber auch Familienplanungsprogramme, in denen die Freiwilligkeit der Teilnahme missachtet wird, bringen das Thema Familienplanung immer wieder in Verruf. So erhielten vor einigen Jahren in Indien die Teilnehmer von Massensterilisierungen Geld und Geschenke, in einem anderen Fall konnten sie ein Auto gewinnen. Auch aus China gibt es entsprechende Berichte, denen zufolge Verhütungsmethoden unter Zwang angewendet wurden. Derartige Programme, die das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und Entscheidungsfreiheit verletzen, dürfen nicht länger toleriert werden.
Eine der entscheidenden Hindernisse beim Zugang zu Familienplanung ist die mangelnde Gleichberechtigung von Mädchen und Frauen. Mädchen werden häufig so erzogen, dass sie passiv und unwissend in Bezug auf ihre sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte bleiben. Zudem stoßen sie häufig auf Widerstände bei Eltern und Partnern, wenn sie sexuelle Beziehungen ansprechen, Fragen der Verhütung diskutieren wollen oder wenn sie sich dem Geschlechtsverkehr verweigern.
Kontraproduktiv ist, dass Nicht-Verheiratete oft keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu Familienplanungsangeboten bekommen. Zudem erwarten die Familien und die Gesellschaft in der Regel, dass eine Ehe viele Kinder hervorbringt. Viele Gesellschaften erkennen nur männliche Nachkommen an, so dass oft so viele Kinder zur Welt gebracht, bis mindestens ein Sohn geboren wird. Bei fehlenden sozialen Sicherungssystemen sind viele Nachkommen eine Notwendigkeit, um im Alter versorgt zu sein. In religiös geprägten Gesellschaften kommt hinzu, dass Kinder häufig als „Geschenk Gottes“ betrachtet werden. Familienplanung wird dann von vornherein ausgeklammert.
Um den universellen Zugang zu Familienplanung zu ermöglichen, brauchen Mädchen und Frauen gleiche Rechte. Nur wenn eine Frau selbst darüber entscheiden kann, ob, wann und wie viele Kinder sie bekommt, kann sie ein selbstbestimmtes Leben führen und eher zur wirtschaftlichen Entwicklung ihres Landes beitragen. Regierungen in Industrie- und Entwicklungsländern müssen ihr Engagement in diese Richtung verstärken.
Damit sich Geschlechterrollen und -normen verändern, ist es besonders wichtig, auch Jungen und Männer in Familienplanungsprogramme einzubinden. Denn sie können erheblich dazu beitragen, dass Mädchen und Frauen bei der Familienplanung mitentscheiden, indem sie Verhütungsmittel verwenden, ihre Partnerin unterstützen, keine Gewalt ausüben und die Gleichstellung der Geschlechter fördern. Aber auch die gesamte Gemeinschaft und vor allem politische und religiöse Gemeindevorsteher müssen miteinbezogen werden, um langfristige Änderungen zu bewirken.
Benachteiligung junger Menschen
Junge Menschen in Entwicklungsländern – besonders Mädchen und junge Frauen – haben es schwer, altersgerechte Informationen zu Sexualität und Verhütung sowie Verhütungsmittel zu bekommen. Eine umfassende Sexualaufklärung schon ab zehn Jahren ist essenziell. Hier ist der Handlungsbedarf erheblich, denn vielfach ist Aufklärung im Schulunterricht nicht vorgesehen. Und selbst wenn das Thema angesprochen wird, ist die Qualität oft unzureichend. So zeigen Studien, dass Lehrer häufig mit dem Thema überfordert sind, zum Beispiel weil es ihnen an Zeit oder Materialien fehlt oder weil sie nicht gut genug dafür ausgebildet sind. Daher ist es entscheidend, Lehrer darin zu schulen, mit ihren Schülern korrekt, altersgerecht und vorurteilsfrei über Sexualität und Verhütung zu sprechen.
Wie wichtig Sexualaufklärung an Schulen ist, zeigt sich in zwei Projekten der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW) in Kenia und Uganda. An mehreren Grundschulen erhalten schon Zehn bis 14Jährige altersgerechte Informationen zu Sexualität und Verhütung. Das Besondere: Die DSW bezieht das gesamte soziale Umfeld der Schüler mit ein – Eltern, Lehrer, lokale Entscheidungsträger und Gesundheitsmitarbeiter. Der ganzheitliche Ansatz hat sich als überaus effektiv erwiesen. So bestätigten Lehrer, dass es an den Projektschulen weniger Schwangerschaften und Schulabbrüche gibt.
Weltweit gehen etwa 62 Millionen Mädchen nicht zur Schule. Und selbst wenn sie eingeschult wurden, müssen sie die Schule häufig frühzeitig abbrechen, ohne sexuell aufgeklärt zu sein. Zum einen muss daher dringend der Bildungszugang von Mädchen, aber auch von Jungen verbessert werden. Zum anderen müssen Angebote der außerschulischen Sexualaufklärung verbessert werden.
Persönliche Gründe
Wenn Frauen gefragt werden, warum sie keine Verhütungsmittel verwenden, obwohl sie nicht schwanger werden wollen, antworten sie am häufigsten, dass Verhütung ihrer Gesundheit schade – etwa aufgrund von Nebenwirkungen der Methoden –, dass sie glauben, derzeit nicht schwanger werden zu können und dass sie (oder ihre Familien) gegen Empfängnisverhütung sind.
Um diese Vorbehalte zu zerstreuen, brauchen Mädchen und Frauen bessere Informationen über ihr Risiko, schwanger zu werden, sowie über die gesamte Bandbreite von empfängnisverhütenden Optionen und ihre Wirkweise. Zudem brauchen Frauen einen Zugang zu verschiedenen Verhütungsmethoden, sodass sie die für sie passende Option wählen können – sei es eine Methode, die sie ohne Bedenken bezüglich gesundheitlicher Beeinträchtigungen anwenden können, sei es eine Methode, die sie unabhängig von ihrem Partner nutzen können.
Fehlende Finanzierung
Das Thema sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte hat heute sowohl bei den großen internationalen Gebern als auch in vielen Entwicklungsländern keinen hohen Stellenwert. Trotz wortreicher Erklärungen zur Verbesserung der Gesundheitssituation von Frauen, Männern und Jugendlichen bleiben konkrete Taten häufig aus. Das lässt sich etwa an der unzureichenden Finanzierung für Familienplanung ablesen.
Damit alle Frauen und Mädchen ihr Recht auf Familienplanung wahrnehmen können, muss die internationale Gemeinschaft eine Lücke von 5,5 Milliarden US-Dollar füllen (Susheela Singh et al., 2014). Die Aussichten, dass das gelingen kann, haben sich in jüngster Zeit jedoch verschlechtert. Denn unmittelbar nach seiner Amtseinführung hat US-Präsident Donald Trump die sogenannte Global Gag Rule wieder eingeführt. Der Richtlinie zufolge werden allen Organisationen, die Abtreibungen anbieten, sich für deren Legalisierung einsetzen oder Frauen zum Thema Schwangerschaftsabbruch beraten, US-amerikanische Entwicklungsgelder komplett gestrichen – auch für solche Angebote, die nichts mit Schwangerschaftsabbrüchen zu tun haben. Zudem haben die USA ihre Beiträge an den Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) komplett gestrichen. So gilt es zunächst einmal, die dadurch entstehende Finanzierungslücke zu füllen.
Im aktuellen 15. entwicklungspolitischen Bericht der Bundesregierung sind dem Thema Müttergesundheit und selbstbestimmte Familienplanung gerade einmal zwei Absätze gewidmet. Das wird der Bedeutung des Themas bei weitem nicht gerecht. Die Bundesregierung sollte der selbstbestimmten Familienplanung einen höheren Stellenwert einräumen und Initiativen wie „She Decides“ und die 2012 ins Leben gerufene FP2020 noch stärker unterstützen. Zudem sollte sie die Beiträge an UNFPA deutlich erhöhen.
Renate Bähr ist Geschäftsführerin der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW). Ziel der international tätigen Entwicklungsorganisation ist es, allen Menschen – insbesondere Jugendlichen – den Zugang zu Sexualaufklärung und Verhütung zu ermöglichen.
renate.baehr@dsw.org
https://www.dsw.org/
Link
Singh, S. et al., 2014: Adding it up. The costs and benefits of investing in sexual and reproductive health.
https://www.guttmacher.org/sites/default/files/report_pdf/addingitup2014.pdf