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Politische Gewalt

Ermordete Hoffnung

Brasilien gilt als eines der gefährlichsten Länder der Welt für Menschenrechts- oder Umweltverteidiger. Der Mord an Marielle Franco, einer Stadträtin aus Rio de Janeiro, im März zeigt, dass sich die Lage zusehends verschärft.
Gedenken an die ermordete Marielle Franco bei einer Demonstration für die Rechte Homosexueller in São Paulo im März. picture-alliance/NurPhoto Gedenken an die ermordete Marielle Franco bei einer Demonstration für die Rechte Homosexueller in São Paulo im März.

Einem im Februar 2018 veröffentlichten Bericht von Amnesty International (AI) zufolge wurden im Jahr 2017 in Brasilien mindestens 62 Aktivisten und Aktivistinnen ermordet. In den vergangenen fünf Jahren waren es insgesamt 194. Die meisten von ihnen beschäftigten sich mit Fällen von Landstreitigkeiten oder Umweltschutz. Laut Menschenrechtsorganisationen wie AI oder Global Witness sind Brasilien, Kolumbien, die Philippinen und Mexiko die Länder mit den meisten Morden an Aktivisten weltweit.

Viele Staaten im Ranking der gefährlichsten Länder für Aktivisten leiden unter chronischen Gewaltproblemen – so wie auch Brasilien, das 2017 fast 62 000 Tötungsdelikte registriert hat. Genaue Statistiken gibt es nicht, aber im Durchschnitt werden weniger als 10 Prozent davon aufgeklärt. Dies betrifft auch die Tötung von Aktivisten.

Die Ermordung von Menschenrechtsverteidigern hat eine besondere Komponente. Laut Amnesty International ist „ein Menschenrechtsverteidiger nicht jemand, der für sich selbst handelt. Er repräsentiert eine Gemeinschaft, also dient seine Ermordung dazu, andere zu demobilisieren, abzuschrecken und zum Schweigen zu bringen.“

Schikane gegen Aktivisten findet in der Regel in ländlichen Gebieten statt. Die Hinrichtung von Marielle Franco zeigt ein neues, urbanes Phänomen, das sich in ganz Lateinamerika verstärkt hat: der Mord an Aktivisten, die mit Fragen von Ausgrenzung und Diskriminierung in Verbindung gebracht werden. Auch Marielle Franco verteidigte die Rechte von Frauen, Schwarzen und Homosexuellen und kritisierte kurz vor ihrem Tod die Polizeigewalt und extralegale Hinrichtungen.

Die politische Gewalt bezeichnen Experten als „Kolumbianisierung“ des Landes. Das Nachbarland Brasiliens ist dafür bekannt, dass eine Kombination aus Korruption bei den Sicherheitskräften und der Präsenz bewaffneter Gruppen und Organisationen aus dem Umfeld des Drogenhandels zu Dutzenden von Ermordungen von Politikern geführt hat. Es gibt starke Hinweise darauf, dass die Ermordungen in Brasilien von Milizen durchgeführt werden – das sind paramilitärische Kräfte, die teilweise von Polizisten und Ex-Polizisten gebildet werden.

Im Jahr 2004 führte die brasilianische Regierung ein nationales Schutzprogramm (PPDDH) für Aktivisten ein. Dieses beinhaltet unter anderem die Überwachung der Aktionsorte der Aktivisten und die Gewährung von Polizeischutz. Das Interesse der aktuellen Regierung von Michel Temer an dem Programm ist aber nur sehr begrenzt und es fehlt an der nötigen Finanzierung. Rio de Janeiro beispielsweise, wo Marielle Franco lebte, ist einer von 22 brasilianischen Bundesstaaten, der keine lokale Version des Schutzprogramms hat. Insgesamt gibt es 26 Bundesstaaten und den Bundesdistrikt (Brasília).

Laut dem Brasilianischen Komitee für MenschenrechtsverteidigerInnen besteht „ein mangelndes politisches Interesse an der Umsetzung des PPDDH, vielleicht deshalb, weil es die Strukturen in Frage stellt, auf denen die brasilianische Gesellschaft basiert“. Nach dem Mord an Marielle Franco sind tausende Menschen in Brasilien auf die Straßen gegangen. Ihr Tod machte die breite Öffentlichkeit auf die Zunahme der Morde an Politikern und sozialen Aktivisten in Brasilien aufmerksam. Vor allem afrobrasilianische Frauen streben nun in die Politik. Man hatte den Eindruck, dass Francos Tod dazu geführt hat, progressive und linke Kräfte im Land zu mobilisieren.

Leider hat der aktuelle Streik der LKW-Fahrer gegen hohe Spritkosten das Thema überschattet und es ist in den brasilianischen Medien still um Marielle Franco geworden. Es scheint, dass ihr Tod wie eine Narbe in der Erinnerung des Landes bleiben wird, genauso wie der Tod anderer Helden, an die man sich in Brasilien gern erinnert, besonders wenn sie ihre Ziele nicht erreicht haben und dafür gestorben sind.


Carlos Albuquerque arbeitet für das brasilianische Programm der Deutschen Welle in Bonn.
carlos.albuquerque@gmx.de


Link
NGO Global Witness: Defenders of the Earth.
https://www.globalwitness.org/en/campaigns/environmental-activists/defenders-earth/