Frauenrechte
Mutige Jugend stellt sich Autokraten-Regime entgegen
Am 13. September 2022 brach eine junge Frau in einer Polizeistation in der iranischen Hauptstadt Teheran zusammen. Vier Tage später tanzte ihr Vater an ihrem Grab einen traditionellen kurdischen Trauertanz. Während die Behörden schnell eine Vorerkrankung für Jina Mahsa Aminis Tod verantwortlich machten, verbreiteten sich Gerüchte, sie sei in Polizeigewahrsam geschlagen worden. Die Polizei hatte sie verhaftet, weil sie ihr Kopftuch „zu locker“ getragen haben soll. Viele Menschen sind überzeugt, dass Amini durch Polizeigewalt starb. Ein häufig geteiltes Video zeigt, wie Frauen bei Aminis Beerdigung ihre Kopftücher abnehmen und umherschwingen. Im ganzen Land kam es zu Protesten.
Die Hälfte der 85 Millionen Menschen im Iran ist unter 30. Sie sind mit Internet und Smartphones aufgewachsen. Viele sind gut ausgebildet. Diese Generation will politische Freiheit und wirtschaftliche Chancen und hat kein Interesse, einer religiös-dogmatischen Regierung zu dienen, die ihre Ideale und Werte nicht teilt.
Vor allem junge Frauen haben es satt. Sie sind der strengen Kleiderordnung überdrüssig und wünschen sich Freiheit in allen Lebensbereichen. Ihre Situation ist oft absurd. Mehr als die Hälfte der Studierenden an iranischen Universitäten sind weiblich. Doch obwohl Frauen etwa als Lehrerinnen, Ärztinnen und Anwältinnen arbeiten, erreichen sie nur selten Führungspositionen.
Eine Geschichte der Proteste
Im Iran gab es immer wieder große Proteste. 1979 stürzte ein Volksaufstand den Schah Reza Pahlewi und führte die Islamische Republik ein.
1999 protestierten Studierende, nachdem eine Zeitung geschlossen wurde, die vom damaligen reformorientierten Präsidenten Mohammad Chatami unterstützt wurde. Die Proteste wurden innerhalb einer Woche niedergeschlagen.
Zehn Jahre später brachen Proteste aus, nachdem bei den Präsidentschaftswahlen 2009 ein „Erdrutschsieg“ für den konservativen Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad verkündet wurde. In Teheran gingen mehr als eine Million Menschen auf die Straße. Die Proteste weiteten sich auf andere Großstädte aus, und die Botschaft wandelte sich schnell von der Forderung nach fairen Wahlen hin zur Abschaffung der Islamischen Republik. Tatsächlich wurde der Ruf der Revolution von 1979 wieder laut: „Tod dem Diktator“. Die Sicherheitskräfte des Regimes schlugen die Proteste brutal nieder.
Ende 2017 kam es zu einer weiteren Protestbewegung, ausgelöst durch die sich verschlechternde Wirtschaftslage. Der reformorientierte Präsident Hassan Rouhani musste das Budget für Sozialprogramme kürzen. Bald forderten Menschen das Ende des politischen Systems. Die Sicherheitskräfte gingen hart dagegen vor – wie auch Ende 2019, als Menschen gegen eine kräftige Erhöhung der Benzinpreise auf die Straße gingen. Die Forderung nach einem grundlegenden Wandel wurde wieder gewaltsam zum Schweigen gebracht.
Entschlossener Kampf gegen das Regime
Die jungen Menschen, die jetzt für ihre Freiheit kämpfen, sind entschlossen, das Regime zu Fall zu bringen. Sie haben von ihren Eltern gelernt, dass es sie dem Leben, das sie sich wünschen und das sie verdienen, nicht näherbringt, wenn sie lediglich Reformkandidaten wählen. Frühere Proteste wurden sowohl unter reformistischen als auch unter konservativen Präsidenten mit brutaler Gewalt niedergeschlagen. Das liegt daran, dass der gewählte Präsident zwar eine einflussreiche Position innehat, das eigentliche Machtzentrum aber beim nicht gewählten Rahbar (oberster Führer) der Islamischen Republik liegt. Das Sagen hat Ali Khamenei, der dieses Amt seit dem Tod des ersten Rahbar, Ruhollah Khomeini, im Jahr 1989 bekleidet.
Tatsächlich regiert Khamenei das Land. Dabei stützt er sich nicht nur auf die Verfassung, die ihn zum Oberbefehlshaber des Militärs und der paramilitärischen Organisationen macht, sondern er profitiert auch vom Gewohnheitsrecht und informellen Netzwerken, die seine Machtposition stärken. Mit ihm verbundene Personen kontrollieren die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen des Irans – und profitieren davon.
Die junge Generation erhob sich gegen das Regime, als Amini, die in ihrem Alter war, in Polizeigewahrsam starb. Eltern und Großeltern schlossen sich an.
Ratlose westliche Regierungen
Westliche Regierungen sind ratlos. Sie zögern, die Proteste zu unterstützen, weil sie ihre Bemühungen um eine Wiederbelebung des „Gemeinsamen umfassenden Aktionsplans“ (Joint Comprehensive Plan of Action – JCPOA) nicht gefährden wollen. Der Vertrag stellte das iranische Atomprogramm unter strenge Beschränkungen und Überwachung, um das Land am Erwerb von Atomwaffen zu hindern. Er wurde jedoch unwirksam, als der damalige US-Präsident Donald Trump 2018 den Rückzug der USA aus dem Abkommen ankündigte und die im Rahmen des Abkommens aufgehobenen Sanktionen wieder in Kraft setzte.
Trotz der vorsichtigen Aufhebung der Sanktionen im Rahmen des Abkommens befand sich die iranische Wirtschaft weiter auf Talfahrt, was die Hoffnungen der Bürgerinnen und Bürger auf mehr Wohlstand nach Umsetzung des JCPOA zunichte machte. Auch ihre Hoffnung auf eine graduelle Verbesserung ihrer sozialen und politischen Freiheiten durch die Wahl reformorientierter Regierungen wurde zunächst enttäuscht und dann sogar zerstört, als das konservative Establishment alle reformorientierten Kandidaten von den Stimmzetteln für die Präsidentschaftswahlen 2021 strich. Proteste sind die letzte Karte, die sie in der Hand haben, und sie sind entschlossener denn je, sie auszuspielen.
Zum jetzigen Zeitpunkt, Mitte Oktober, ist es unmöglich zu sagen, ob die Proteste das Regime endgültig stürzen werden oder ob sie nur eine weitere Runde sind im Kreislauf von Protest, gewaltsamer Niederschlagung und Friedhofsruhe. Die Proteste dauern mittlerweile seit mehreren Wochen an, und die Niederschlagung durch das Regime hat ihre Intensität nicht sichtbar beeinflusst.
Ein Update der Ereignisse bis Ende Oktober findet sich im Kasten.
Shora Azarnoush lebt als Journalistin in Bonn.
shora.azarnoush@gmail.com