Wissenschaftliches Netzwerk
Löwenstaaten in Afrika
Von Linda Kleemann, Alexander Freese und Michael Grimm
Dominic Johnson (2011) sieht „Afrika zwischen Aufbruchstimmung und Ausverkauf“. Dieser Ausdruck spiegelt den Zwiespalt der wissenschaftlichen Einschätzung wider. Lange Zeit galten die asiatischen Tigerstaaten als Vorbilder für rasantes Wirtschaftswachstum und drastische Armutsreduzierung.
Folgt nun die Zeit der afrikanischen Löwenstaaten? Fraglich bleibt, ob die Wachstumspfade nachhaltig sind und auch die Ärmsten davon profitieren. Und ob die Erfolge das Ergebnis von Reformen und einer breitenwirksamen Wirtschaftsentwicklung oder lediglich das Resultat des Rohstoffbooms sind. Das ist das Thema der diesjährigen Jahreskonferenz des Poverty Reduction, Equity and Growth Network im September (PEGNet – siehe Box).
PEGNet verbindet wissenschaftliche Institute in reichen wie armen Ländern mit Praktikern der Entwicklungspolitik. In der aktuellen Afrika-Debatte scheinen die vorsichtigen Optimisten die Oberhand zu gewinnen. Zu ihnen gehört beispielsweise Ernest Areetey von der University of Ghana, der Chancen, aber auch erheblichen weiteren politischen Handlungsbedarf in Afrika erkennt. Auch der panafrikanische Think Tank CODESRIA, der 1972 gegründet wurde, beschäftigt sich mit der Frage nach Handlungs- und Forschungsbedarf. Die PEGNet Jahreskonferenz wird das Thema aus verschiedenen Perspektiven diskutieren.
Entwicklungsforscher interessieren sich schon länger für Afrika. Nun gilt das auch für Investoren. In einigen Teilen des Kontinents – besonders im südlichen Afrika – sind hohe Wachstumsraten normal geworden. Derzeit zählen sieben afrikanische Länder zu den Top 10 der weltweit am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften. Das Beratungsunternehmen McKinsey rät, in Afrika zu investieren. Für Subsahara-Afrika rechnet die Weltbank in diesem und im nächsten Jahr mit Wachstumsraten von über fünf Prozent.
Afrika profitiert von seinem enormen Rohstoffreichtum. Fast 40 Prozent der weltweiten Rohstoffe liegen in Afrika. Die Ressourcen sind vielfach noch gar nicht erschlossen. Bisher hält trotz der globalen Finanzkrise das Wachstum in den Entwicklungs- und Schwellenländern an, was hohe Rohstoffnachfrage und damit auch -preise sichert. Auch die Landwirtschaft birgt große Potenziale.
Besonders vielversprechende Chancen für die Armutsreduzierung sieht die Weltbank in der Verarbeitung von Agrarrohstoffen. Die Investitionen in die Nahrungsmittelindustrie nehmen zu. Viele afrikanische Staaten entwickeln zudem neue nationale Strategien zur Förderung der Landwirtschaft.
Nach der Stagnation der 1990er Jahre gibt es seit 2000 auch beeindruckende Fortschritte in Bezug auf bessere Regierungsführung, Reformbereitschaft, fallende Inflationsraten und geringere Korruption. Laut Weltbank ist die Qualität wirtschaftlicher und politischer Institutionen in den letzten 20 Jahren vor allem aufgrund besserer Wirtschaftspolitik gestiegen.
In vielen asiatischen Ländern gelten breite Grundbildung sowie solide staatliche Dienstleistungen als Grundlage ökonomischen Aufschwungs. Auch in Afrika gibt es in diesen Bereichen Fortschritt – unter anderem durch Investitionen in Bildung und Gesundheit. Ruandas Regierung bemüht sich, dem Beispiel asiatischer Entwicklungsregime zu folgen, und baut soziale Dienstleistungen aus. Die Bill & Melinda Gates Foundation bezeichnet das Gesundheitssystem dort als vorbildlich. Der Erfolg bleibt nicht aus: Seit 2010 wächst die Wirtschaft in Ruanda mit Raten von über sieben Prozent.
Auch der demografische Trend ist in Afrika günstig. Da die Fertilitätsraten bereits rückläufig sind, wird bald ein großer Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter sein. Ein solcher demografischer Bonus, das heißt ein sprunghafter Anstieg der aktiven – relativ zur inaktiven Bevölkerung – hat entscheidend zu asiatischen Wirtschaftswundern beigetragen und könnte deshalb auch in Afrika das Wachstum beschleunigen. Allerdings muss dafür auch das Bildungsangebot stimmen.
Gründe für Skepsis
Gleichwohl gibt es auch kritische Stimmen – unter anderem, weil zwischen den Ländern große Wachstumsunterschiede bestehen. Bisher profitieren von dem Aufschwung nur wenige Länder – und dort nur relativ kleine Gruppen. Zwar sinkt der Anteil der Armen an der afrikanischen Bevölkerung, aber ihre absolute Zahl steigt weiter, und die Ungleichheit wächst vielerorts wie zum Beispiel in den Ölexporteuren Angola und Nigeria. Es stellt sich daher die Frage nach der Nachhaltigkeit und Breitenwirksamkeit des Wachstums.
Starke Wachstumsschwankungen sind das Resultat ungleicher Einbindung in den Weltmarkt. Die Elfenbeinküste verzeichnete in den 70er Jahren hohe Wachstums- und Armutsbekämpfungsraten, gehört aber heute aufgrund interner Konflikte und politischer Instabilität zu den Problemstaaten.
In den meisten stark wachsenden Ländern lässt sich der Erfolg auf Rohstoffexporte zurückführen. Seit langem erforschen Wissenschaftler die Bedingungen, durch welche hohe Rohstoffvorkommen sich als Segen (Beispiele Norwegen und Botswana) oder Fluch (Beispiele Äquatorial-Guinea, Angola, Republik Kongo, Nigeria) erweisen. Nur wenige Länder in Afrika gehen mit ihren Naturressourcen nachhaltig um.
Das trifft in ähnlicher Weise auch auf die Landwirtschaft zu, wie die aktuelle Debatte um „land grabbing“ zeigt, bei dem aufgrund internationaler Bodeninvestitionen Kleinbauern von ihren Äckern vertrieben werden (siehe auch Kommentar auf S. 219). Offensichtlich garantieren Wachstum und Investitionen nicht zwangsläufig einen wirksamen Entwicklungsprozess. Noch fehlt es in Afrika an einer Industrialisierung und vor allem an einer Diversifizierung der Wirtschaft.
Noch immer fließen die meisten Investitionen in den primären Sektor. Der Anteil von Industrie und Fertigung an der Gesamtwirtschaft sinkt sogar seit 1990. Arbeitsintensive Branchen wie die Textilindustrie spielen eine geringe Rolle. Schlechte Infrastruktur, Korruption und bürokratische Hindernisse machen den Handel innerhalb Afrikas teuer. Die regionale Integration in überstaatlichen Wirtschaftsgemeinschaften muss beschleunigt werden. Die Produktivität ist gering und wächst langsamer als der globale Durchschnitt. Der Abstand zu Konkurrenten – allen voran China und Indien – wächst. Um die Produktivität zu erhöhen, müssten die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessert werden – insbesondere die Humankapitalbasis, institutionelle Kapazitäten, das Investitionsklima und die Infrastruktur. Die Ausbildung der jungen Bevölkerung ist nur eine Seite der Medaille. Genügend qualifizierte Jobs für die schnell wachsende Gruppe junger Erwachsener zu schaffen ist die andere. In Tunesien und Ägypten haben autoritäre Regime ignoriert, dass gut ausgebildete, arbeitslose junge Menschen sich magere Zukunftsaussichten nicht bieten lassen. Mittlerweile sind sie Geschichte. Aber auch die Auswanderung der Eliten ist eine häufige Konsequenz.
Um breitenwirksames Wachstum zu schaffen, bedarf es eines starken Staates, der die Teilhabe aller an den Früchten des wirtschaftlichen Wachstums sicherstellt. Doch in vielen Ländern Afrikas ist der Staat schwach. Er ist häufig nicht in der Lage, Infrastruktur, soziale Sicherung und den Ausbau von Bildung sicherzustellen. Oft führt dies zu politischer und sozialer Fragmentierung der Gesellschaft – bis hin zum Scheitern des Staates.
Fazit
Zukunftsoptimismus und verhaltener Pessimismus liegen dicht beisammen. Einigkeit scheint über das enorme Potential des Kontinents zu herrschen. Derzeit verteilen sich Wachstum und Investitionen sehr ungleichmäßig. Einige Staaten können beeindruckende wirtschaftliche Entwicklungen vorweisen. Doch gerade in diesen Ländern ist politische Stabilität und gute Regierungsführung oft ein fundamentales Problem, weswegen die Nachhaltigkeit des Entwicklungsprozesses angezweifelt werden kann. Die ungleiche Verteilung, die mangelnde Diversifizierung und die geringe regionale wirtschaftliche Integration gefährden darüber hinaus die Nachhaltigkeit des Wachstums.
Die Optimisten erkennen dagegen eine historische Chance, den momentanen Aufschwung in nachhaltige und breitenwirksame Armutsreduzierung umzumünzen. Zur PEGNet-Konferenz sind als Kontrahenten zum Beispiel Mwangi S. Kimenyi, der noch viele Risiken sieht, und Jean-Michel Severino, der die Chancen positiv einschätzt, geladen. Kimeyni hat das Kenya Institute for Public Policy Research and Analysis in Nairobi aufgebaut und arbeitet mittlerweile für die Brookings Institution in Washington. Severino hat früher die Agence Française de Développement (AFD) geleitet. Kimeyni hat bereits zugesagt.