Nachhaltigkeit

„Die Kanzlerin ist mit dabei“

Keine Generation darf auf Kosten künftiger Generationen leben. Aus Sicht der Bundesregierung kommt Deutschland, was Nachhaltigkeit angeht, eine Schlüsselrolle als Vorreiter und Impulsgeber zu. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, wird im November in Berlin eine Zukunftscharta vorstellen, die mit breiter Bürgerbeteiligung formuliert wird. Das erläuterte er Hans Dembowski im Interview.
Nachhaltigkeit hängt nicht zuletzt von Konsumgewohnheiten ab: Bundesminister Gerd Müller besucht ein Projekt für Abfallsammler und -verwerter in Neu-Delhi im Frühjahr 2014. Wolfgang Krumm/picture-alliance/dpa Nachhaltigkeit hängt nicht zuletzt von Konsumgewohnheiten ab: Bundesminister Gerd Müller besucht ein Projekt für Abfallsammler und -verwerter in Neu-Delhi im Frühjahr 2014.

Welchen Stellenwert haben für Sie die neu zu vereinbarenden Entwicklungs- und Nach­haltigkeitsziele nach 2015? 

Eine international verbindliche Agenda für nachhaltige Entwicklung – die „Post-2015-Agenda“ –  hat nicht nur für mich, sondern für die gesamte Bundesregierung eine sehr hohe  Priorität. Hier geht es um die Bewältigung der beiden größten globalen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte – die weltweite Bekämpfung von Armut und Hunger und den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Diese Themen werden die internationale Debatte und die Politik der Bundesregierung in den nächsten Jahren maßgeblich beeinflussen. Die Bundeskanzlerin hat das Thema deswegen auch zu einem Schwerpunkt der deutschen G7/G8-Präsidentschaft des kommenden Jahres gemacht. Das zeigt schon, wie ernst wir es mit der Agenda meinen.

Wie kann sichergestellt werden, dass das neue Zielsystem von der Weltgemeinschaft mitgetragen wird?

Bei der Umsetzung der Agenda brauchen wir eine neue globale Partnerschaft mit Zielen, die für alle Staaten und Akteure gleichermaßen verbindlich sind, also mit „universellen“ Zielen. Voraussetzung dafür ist, dass wir ein gemeinsames Verständnis über das globale Gemeinwohl entwickeln und bereit sind, dafür gemeinsam Verantwortung zu tragen. Damit meine ich beispielsweise den Erhalt der Biodiversität, Klimaschutz, ein faires Welthandelssystem, Frieden und Sicherheit – also Güter, die uns alle gemeinsam angehen. Wichtig ist dabei, dass sich Regierungen, Zivilgesellschaft, Privatwirtschaft und Wissenschaft darauf einigen, wirksam, transparent und überprüfbar zu handeln. Gerade auch die Schwellenländer müssen dabei mit an Bord sein. Schließlich findet in diesen Ländern ein dynamisches Wirtschaftswachstum statt, und sie sind oftmals Sprachrohr für andere Entwicklungsländer. Für mich ist es wichtig, dass wir  in diesem Prozess immer das betonen, was uns eint. Nur gemeinsam können wir die extreme Armut und den Hunger auf der Welt beseitigen, ein ökologisch-nachhaltiges Wachstum erreichen, weltweit menschenwürdige Arbeitsbedingungen schaffen und Wege finden, Krisen und Konflikte zukünftig besser zu vermeiden.

Was muss in Deutschland geschehen?

Es hilft nicht, nur auf die anderen zu zeigen. In unserer globalisierten Welt hat das, was wir produzieren und konsumieren, einen sehr direkten Einfluss auf die Lebensbedingungen der Menschen in anderen Ländern und auf das Weltklima. Wir dürfen nicht auf Kosten nachfolgender Generationen leben. Und gerade Deutschland kommt hierbei eine Schlüsselrolle als Vorreiter und Impulsgeber zu. Wir verfügen über Wissen und entwickeln innovative neue Technologien mit vielen guten Beispielen für nachhaltiges Wirtschaften. Nur wenn alle Akteure in Wirtschaft und Gesellschaft, Bürgerinnen und Bürger das Thema zu ihrer Sache machen und auch ihre Gewohnheiten neu überdenken, wird nachhaltige Entwicklung gelingen, etwa im Rahmen einer effizienteren Ressourcennutzung oder eines bewussteren Konsumverhaltens.

Sie haben im April den Dialog für eine gemeinsame Zukunftscharta „EINE WELT unsere Verantwortung“ eröffnet. Worum geht es genau?

Bei der Zukunftscharta geht es um Nachhaltigkeit. Das Wort ist in aller Munde und wird inflationär gebraucht. Mir ist es wichtig, mit den Menschen darüber zu reden, worum es tatsächlich geht; wie wollen wir morgen leben, und welchen Beitrag kann jeder Einzelne von uns dazu leisten? Wie leben die Menschen in Deutschland ihre Verantwortung für unsere eine Welt?  Wir wollen zeigen, dass Entwicklungszusammenarbeit nicht fernes Handeln ist, sondern in Zeiten der Globalisierung ganz konkrete Auswirkungen auf das Leben und den Alltag jedes Einzelnen von uns hat: von Sozialstandards über Umweltschutz bis hin zu unserem Klima. Genauso hat unser tägliches Handeln direkte Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Menschen auf anderen Kontinenten. Wir reden darüber mit Bürgerinnen und Bürgern genauso wie mit Expertinnen und Experten, die sich für eine nachhaltige Entwicklung interessieren und engagieren, in Vereinen, Verbänden, in der Wirtschaft und Wissenschaft, in staatlichen wie nichtstaatlichen Organisationen.

Wer beteiligt sich, und gibt es schon erste ­Ergebnisse?

Alle sind eingeladen, sich an dieser Diskussion zu beteiligen. Die Diskussion soll von unten nach oben geführt werden. Seit Anfang Mai besteht die Möglichkeit, online über die offizielle Internetseite http://www.zukunftscharta.de eigene Ideen und Vorschläge einzubringen. Wir werden Beiträge mit Fachleuten analysieren und in fünf Themenforen einspeisen, die zwischen Juni und September in verschiedenen deutschen Städten stattfinden. Dort geht es um die verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit; ökologisch, ökonomisch, sozial, politisch und kulturell. Die bereits erwähnten globalen Partnerschaften werden ebenfalls in die Forumsarbeit aufgenommen. Wir haben Themenpaten für die Foren gewinnen können, die mit fachlicher Expertise diese Arbeit begleiten. Nach Abschluss des gesamten Dialogprozesses erwarte ich einen ersten Textentwurf der Zukunftscharta, den wir noch einmal der Öffentlichkeit zur Diskussion stellen. Am 24. November werde ich dann die Zukunftscharta in ihrer finalen Form in Berlin vorstellen, und ich freue mich ganz besonders, dass auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zugesagt hat, mit dabei zu sein, und damit noch einmal ihr großes Interesse an diesem wichtigen Prozess unterstreicht. Den Termin sollten sich alle entwicklungspolitisch Interessierten und Engagierten bereits jetzt im Kalender anstreichen.

Welche Bedeutung hat die Zukunftscharta für die internationale Debatte über die neuen Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele? Wie wollen Sie die beiden Prozesse – hier national, dort international – verbinden?

Wir richten uns mit der Charta zunächst einmal an die deutsche Öffentlichkeit, an die entwicklungspolitisch interessierten und engagierten Menschen im Land. Denn mir ist es wichtig, herauszufinden, wo unsere Gemeinsamkeiten liegen. Wenn wir das wissen, können wir unser gemeinsames Anliegen auch viel besser international im Entwicklungsjahr 2015 einbringen. Das heißt natürlich nicht, dass Bundesregierung, Zivilgesellschaft und Wirtschaft nicht auch unterschiedliche und eigene Ziele und Positionen vertreten können und sollen. Aber bei den in der Zukunftscharta verankerten Themen wissen wir alle, dass dies der breit getragene Konsens aller Akteure ist. Die Zukunftscharta soll also ein verbindendes Dokument werden, das unseren gemeinsamen Anliegen größere Durchschlagskraft gibt.

 

Gerd Müller ist Bundesminister für wirtschaftliche Zusammen­arbeit und Entwicklung.
http://www.bmz.de