Wissenschaft

Neue Herausforderungen

Das Tätigkeitsfeld der Entwicklungspolitik hat sich in den vergangenen zehn Jahren tiefgreifend verändert. Sie muss sich deshalb neu definieren. Den aktuellen Forschungsstand beleuchtet Politikwissenschaftler Stephan Klingebiel in einem neuen Einführungsbuch.
Eine saubere Umwelt ist ein öffentliches Gut: Kinder spielen in einem von Emissionen der Lederindustrie belasteten Stadtteil von Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch. Probal Rashid/ZUMA Wire/picture-alliance Eine saubere Umwelt ist ein öffentliches Gut: Kinder spielen in einem von Emissionen der Lederindustrie belasteten Stadtteil von Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch.

Die Bedingungen für Armutsbekämpfung haben sich verändert, schreibt Stephan Klingebiel, der Leiter der Abteilung „bi- und multilaterale Entwicklungspolitik“ des DIE (Deutsches Institut für Entwicklungspolitik). Armutsbekämpfung müsse beispielsweise nicht nur benachteiligte Menschen besser stellen, sondern auch ökologisch nachhaltig sein. Zudem ist die internationale Debatte heute von der Forderung nach guter Regierungsführung geprägt, was vor 20 Jahren noch kaum ein Thema war. Was Good Governance ausmacht und was sie zur Armutsbekämpfung beiträgt, bleibt aber umstritten. Angesichts des rasanten Aufstiegs einiger Länder ist die gewohnte Dichotomie von „reichem“ Norden und „armem“ Süden hinfällig geworden.

Große Bedeutung hatte in den vergangenen zehn Jahren auch die internationale Debatte über Aid Effectiveness. Dabei geht es um sehr unterschiedliche Fragen, etwa ob die Entwicklungspolitik nachweislich einen Beitrag zum wirtschaftlichen Fortschritt in Entwicklungsländern leistet oder ob es auf Projektebene Wirkungsnachweise gibt.

Ein wichtiger Meilenstein war die Paris Declaration on Aid Effectiveness (2005), die von einem multilateralen Aid-Effectiveness-Gipfel in der französischen Hauptstadt verabschiedet wurde. Sie fordert etwa Eigenverantwortung der Partnerländer (Ownership) oder gegenseitige Rechenschaftspflicht von Gebern und Partnern (Mutual Accountability). Die Paris-Erklärung wurde auf zwei weiteren High-Level-Foren in Accra (2008) und Busan (2011) weiterentwickelt (siehe Vera Dicke in E+Z/D+C 2012/02, Seite 60). Dadurch ist ein neues Regelwerk entstanden, das die Modalitäten der Entwicklungspolitik definiert, in der Praxis aber nicht immer eingehalten wird.

Klingebiel weist auch darauf hin, dass die Gebernationen sich mehrfach selbst verpflichtet haben, ihre staatliche Entwicklungshilfe (ODA – Official Development Assistance) deutlich zu steigern. Sie haben das bislang nicht im vollen Umfang erfüllt und für den Autor stellt sich die Frage, ob sich die Wirkung der EZ in gleichem Maße steigern lässt. Verschiedene Studien gehen davon aus, dass ein bestimmtes Niveau existiert, ab dem der zusätzliche Nutzen abnimmt oder sich sogar ins Gegenteil verkehrt. Die ersten eingesetzten Euros erzielen demnach mehr Wirkung als weitere Euros. Einige Analysen ermittelten einen „Sättigungspunkt“, ab dem ein Einsatz zusätzlicher Gelder nicht mehr sinnvoll ist.

Rechenschaftspflicht ist ein zentrales Thema – und zwar auf Geberseite, Empfängerseite und wechselseitig. In der Vergangenheit lag der Fokus auf der Rechenschaftspflicht der Empfänger gegenüber den Gebern. Die heute als notwendig erkannte Rechenschaftspflicht der Geber gegenüber den Empfängern wird aber laut Klingebiel noch nicht durchgängig praktiziert. Andererseits hätten aber auch viele Entwicklungsländer nicht die Kapazitäten, um ihren Bürgern gegenüber ausreichend Rechenschaft abzulegen.

Für die Zukunft der Entwicklungspolitik gilt es laut Klingebiel, neue globale Herausforderungen wie etwa die Bereitstellung von Global Public Goods in die Konzeption einzubeziehen (siehe Schwerpunkt ab S. 14). Klarheit besteht auch darüber, dass Entwicklungspolitik nicht auf unmittelbare Armutswirkung eingeengt werden darf, sondern darüber hinaus („Beyond Aid“) Themen wie Handel, Migration, Technologie und Wissenschaft umfassen muss. Internationale Kooperationsbeziehungen entsprechend zu gestalten wird zunehmend wichtig, geht aber über das konventionelle Verständnis von Entwicklungszusammenarbeit hinaus, wie Klingebiel ausführt.