Cyberspace

Eine neue digitale Weltordnung definieren

China strebt mit der „Digitalen Seidenstraße“ eine globale digitale Infrastruktur mit chinesischen Zulieferern und chinesisch-geprägten technischen Standards an. Das könnte China führend in einer neuen digitalen Weltordnung machen und würde die Freiheit im Cyberspace beschneiden.
Manager von Huawei bei einer Werbeveranstaltung für Mobilgeräte in Nairobi 2019. picture-alliance/Photoshot Manager von Huawei bei einer Werbeveranstaltung für Mobilgeräte in Nairobi 2019.

Geberländer nutzen oft bestimmte Technologien in ihren internationalen Programmen, um eigene Branchen zu fördern. China macht das nun mit Internet-Technologien. Das Land startete 2015 die sogenannte „Digitale Seidenstraße“ als einen Teil seiner „Belt and Road-Initiative“. In deren Rahmen bauen chinesische Internet-Infrastrukturunternehmen, allen voran Huawei, ihre bereits starke globale Präsenz aus.

In diesem Zusammenhang hat China kürzlich ein Weißbuch veröffentlicht, in dem es sein Interesse an der Gestaltung der Regeln und Normen des Internetprotokolls bekundet – der Regeln, die festlegen, wie Daten über das Internet übertragen werden sollen. Zusammen mit chinesischen Technologien könnte dies den Einfluss des Landes auf technische Standards für Jahre prägen.

Geber nutzen bekannterweise ihre Entwicklungshilfe, um eigene Interessen zu stärken. So etwa 2002 beim Export von genveränderten Nutzpflanzen und ertragssteigerndem Saatgut als Teil eines Lebensmittelprogramms der US-Regierung. Die Nutzpflanzen sollten Hunger lindern – zugleich profitierten auch die amerikanischen Biotechnologie-Entwickler von den Exporten (siehe Kasten „Lebensmittelhilfe mit Haken“). China macht nun das Gleiche mit seinem Digitalen-Seidenstraßen-Projekt.

Eigene Branchen bei Entwicklungsprogrammen zu bevorzugen ist nicht per se schlecht, solange das Geber-Interesse transparent ist. Klarheit hilft allen Beteiligten – auch multilateralen Institutionen, Privatunternehmen und der Zivilgesellschaft –, Interessen angemessen abzustimmen.

Beim Kampf um die Vorherrschaft in der globalen Telekommunikation geht es um Wirtschaftsinteressen, aber auch darum, wie der Cyberspace künftig regiert wird. Das prägt die Regeln für den Internetverkehr – inklusive der Regelungen zu Internetzugang und Datenschutz. Dem Politiktheoretiker Langdon Winner (1980) nach hat die Wahl einer bestimmten Technologie politische Folgen und ist oft politisch motiviert. Technologische „Artefakte” hält er somit für politisch relevant.


Kampf um die Märkte

Auch für die Digitale Seidenstraße relevante technologische Artefakte transportieren eine politische Botschaft. Die Wahl der Softwareprogramme und Hardwarekomponenten entscheidet darüber, wer den Telekommarkt anführt. Nutzen genügend Länder chinesische Technologien, begünstigt das die Anbieter von Zusatzgeräten mit denselben Standards und benachteiligt die anderen. Indem China mehr Kontrolle über die Infrastruktur gewinnt, kreiert das Land neue globale Märkte für seine Software und e-Commerce-Firmen. Das begünstigt:

  • das Internetkonglomerat Tencent,
  • den e-Commerce-Giganten Alibaba,
  • den Hersteller von digitaler Infrastruktur und Geräten, Huawei, und
  • das globale Satellitensystem BeiDou.

Tatsächlich nutzen einige afrikanische und südostasiatische Länder nicht mehr das amerikanische Global Positioning System (GPS), sondern BeiDou. Zudem hat der chinesische Riese Huawei 70 Prozent der afrikanischen 4G-Mobilfunknetze gebaut und wird ein eigenständiges 5G-System an Rain, ein mobiles Datennetz in Südafrika, liefern. Huawei hat mehr 5G-Verträge als jedes andere Telekomunternehmen, von denen die Hälfte in Europa ist.

Insgesamt ist Huaweis Anteil am globalen Markt für Telekommunikationsausrüstung im Rahmen der Digitalen Seidenstraße laut David Sacks (2021) vom Council on Foreign Relations seit Beginn der „Belt and Road-Initiative“ um 40 Prozent gestiegen. Sacks geht davon aus, dass ein Land, in dem Huawei das 5G-Netzwerk aufgebaut hat, auch für die Aufrüstung der Systeme Huawei wählt. Das könnte westliche Konkurrenten für Jahrzehnte ausschalten.


Den Daten folgen

Neben wirtschaftlichen Vorteilen kann China, wenn es Kontrolle über die Internet-Infrastruktur anderer Länder gewinnt, auch direkten Zugang zu allen Datenströmen dieser Länder erlangen. Einige westliche wie auch für „Belt and Road“-Partnerländer fürchten deshalb um Datenschutz und Sicherheit. Sie haben Angst, dass Hacker die Systeme angreifen können, Daten aufgrund technischer Probleme versehentlich verloren gehen und dass Wirtschaftsspionage und das Ausspähen politischer Gegner ermöglicht werden könnte. Aus diesen Gründen haben manche Länder – auch einige NATO-Mitglieder – die Nutzung der 5G-Technologie von Huawei verboten oder die Nutzungsbreite in ihren nationalen Mobilfunksystemen eingeschränkt.

„Chinas Digitale Seidenstraße hat das Potenzial, die digitale Konnektivität in Entwicklungsländern zu verbessern, zugleich aber kann sie Autoritarismus verbreiten, Demokratien beschneiden und Menschenrechte einschränken“, schreibt Clayton Cheney vom Pacific Forum, einem US-Forschungsinstitut für Außenpolitik.

Doch China ist nicht das einzige Land, das Nutzerdaten über seine Telekomtechnologie erheben will. Tech-Giganten aus den USA wie Google und Facebook tun das ebenfalls in erheblichem Maße – vorgeblich zu Werbezwecken. China stattet Länder, die Menschenrechte missachten, mit Telekom-Ausrüstung aus. Aber auch die USA investieren in Unternehmen, deren Technologie missbraucht werden kann.

So etwa die in den USA ansässige Software-Firma Palantir Technologies, die sich auf Big-Data-Analyse spezialisiert hat. Die ersten Finanzmittel kamen vom Risikokapitalfonds des US-Auslandsgeheimdiensts CIA (Central Intelligence Agency). Seit seiner Gründung 2003 hat Palantir seinen Kernmarkt – Nachrichtendienste und Strafverfolgung – erweitert und bietet nun Datendienste für den Entwicklungs- und humanitären Sektor an.


Standards setzen

Sorgen bereitet westlichen Ländern auch, dass China zunehmend danach strebt, globale technische Standards für die Datenübertragung zu setzen. Chinas aktive Rolle in Foren zur Normierung und seine wachsende weltweite Wirtschaftspräsenz in Internetsystemen nähren diese Bedenken. All das könnte dem Land mehr Kontrolle über den Zugang zum World Wide Web verschaffen – und so die grundlegende Basis, auf der der Cyberspace regiert wird, in Frage stellen.

Implizit will China die globale Abhängigkeit von amerikanischen Tech-Giganten wie Google, Facebook, Intel und Amazon schmälern und die Silicon Valley geprägten Regeln der Internetnutzung ändern. Richard Ghiasy, Experte für asiatische Geopolitik, und Rajeshwari Krishnamurthy vom indischen Institute of Peace and Conflict Studies sagen (2021): „Für China verkörpert die Digitale Seidenstraße … eine weniger US-zentrierte und mehr chinesisch-asiatische globale digitale Ordnung.”

Chinas Regierung hat klargemacht, dass sie die Reichweite ihrer Internet-Technologien und -Standards ausweiten will. Der Westen war weniger zielstrebig und wiederholte nur das Mantra vom Internet als freien, unregierten Raum. Zivile Freiheiten im Internet werden jedoch auch unter US-Dominanz im Cyberspace zunehmend in Frage gestellt. Die Hälfte des weltweiten Datenverkehrs bewegen US-Unternehmen wie Facebook, Amazon und Google. Das Internet ist kommerziell voll überwacht, und es ist unklar, was westliche Geheimdienste so treiben. Die chinesische Alternative würde wohl noch mehr staatliche Überwachung bedeuten.

Die Herausforderung ist, eine Alternative ohne jegliche Überwachung zu finden. China mag sich schuldig machen, indem es mit Staatsunternehmen wie Huawei seinen digitalen Einfluss erweitert. Solange die westlichen Geberländer aber nicht ehrlich im Hinblick auf  ihrer eigenen Interessen im Ausland sind, kann der globale Süden wohl nur zwischen zwei unattraktiven Optionen wählen: einem Internet der ausbeuterischen kommerziellen Überwachung oder einem staatlich überwachten Internet, das bürgerliche Freiheiten einschränkt.

Es gäbe eine dritte, bessere Option. Wollten Geberländer bürgerliche Freiheiten und Transparenz wirklich gewährleisten, so könnten sie auf entsprechende Datenschutz- und 5G-Standards bestehen. Sie könnten Anreize schaffen, damit Hardware-Firmen keine Spyware mehr in Übertragungsgeräte einbauen und Datenanalyse-Firmen Privatsphäre und Datenschutz ernster nehmen.

Das Internet kann dem Allgemeinwohl sehr dienen. Aber dazu müssen sich Geberländer verpflichten, digitale Technologien einzusetzen, um mehr als nur ihre eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen.


Links

Richard Ghiasy, R., and Krishnamurthy, R., 2021: China’s Digital Silk Road and the global digital order. In: The Diplomat, April 2021.
https://thediplomat.com/2021/04/

Sacks, D., 2021: China’s Huawei is winning the 5G race. Council on Foreign Relations.
https://www.cfr.org/blog/picture-alliance/Photoshot

Winner, L., 1980: Do artifacts have politics?
https://www.cc.gatech.edu/~beki/cs4001/Winner.pdf


Charles Martin-Shields ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn.
charles.martin-shields@die-gdi.de