Schutzgebiete
Gemeinschaftliche Verwaltung des Nationalparks Sajama
[ Von Martin Lux und Jürgen Czerwenka ]
Mehr als 60 Prozent der bolivianischen Bevölkerung gehören zu einem der 36 indigenen Völker des Landes. Lange Zeit wurden diese ausgebeutet, doch seit der Revolution von 1952 spielen sie im Hochland eine wichtigere Rolle in der Gesellschaft. Im Tiefland dauerte es bis zum Ende des 20. Jahrhundert, bis es soweit war.
Sie haben vor allem darum gekämpft, dass die Nachkommen der spanischen Kolonialherren ihre angestammten Lebensräume an- und ihnen das Recht zur Nutzung ihrer natürlichen Ressourcen zuerkannten. Heute ist die Achtung der Rechte Indigener Teil der bolivianischen Gesetzgebung. Damit wird internationales Recht, wie das Abkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) von 1989 und die Erklärung der Vereinten Nationen zu den Rechten Indigener Völker von 2007 umgesetzt.
Bolivien ist kulturell vielfältig und reich an natürlichen Ressourcen. Zudem verfügt das Land über die unterschiedlichsten Ökosysteme: im Osten und Norden das Amazonasbecken, im Süden und Westen das Altiplano und die Anden. Rund ein Fünftel der Landesfläche sind Naturschutzgebiet.
In den vergangenen zehn Jahren forderten die Indigenen eine grundlegende Veränderung der bolivianischen Gesellschaft, was in der Wahl von Evo Morales – einem Aymara aus dem Hochland – zum Präsidenten gipfelte. Mit seiner Politik strebt er nach mehr Respekt für die Rechte der Indigenen, einer stärkeren Verzahnung der Gesellschaftsschichten und mehr Entwicklungschancen für die Kommunen. Das hat sich auch auf die Verwaltung der Naturschutzgebiete ausgewirkt: Die Bewohner sind nun daran beteiligt und können von der Nutzung der Ressourcen profitieren.
Das neue Konzept für die Reservate wurde auch in die Verfassung von 2009 aufgenommen. Das allerdings birgt Konfliktpotential: Einerseits geht es um den Schutz natürlicher Ressourcen, andererseits um das Recht der angestammten Bewohner, diese zu nutzen. Entsprechende Modelle, die Staat und Bewohnern eine Verwaltung der Naturschutzgebiete erlauben, entschärfen diesen Konflikt. Sie berücksichtigen deren wirtschaftliche wie auch die soziale, kulturelle und ökologische Funktion.
Kultur- und Naturschätze in rauem Klima
Der Nationalpark Sajama liegt im Osten Boliviens an der Grenze zu Chile. Er wurde 1939 gegründet und ist somit der älteste Nationalpark des Landes. Der Vulkan Sajama dominiert mit 6542 Metern Höhe und seinen Gletschern die Sicht. Der niedrigste Punkt des Parks liegt auf etwa 4200 Metern.
Bis auf 5200 Meter Höhe wachsen von Grassteppen umgebene Wälder. Hier leben die Vikunjas, die wilden Vorfahren der Lamas. Ihr Fell ist so dicht und fein, dass ihnen Temperaturen bis zu minus 20 Grad nichts anhaben können.
In dem rund 1000 Quadratkilometer großen Nationalpark liegen – neben weiteren mehr als 6000 Meter hohen Vulkanen – Thermalquellen, Geysire, Salzseen, alte Festungen, koloniale Kirchen und die Chullpas, jahrhundertealte Grabstätten der Aymara.
Noch heute leben dort überwiegend Aymara gemäß ihrer kulturellen Tradition. Ihre traditionellen Gemeinschaften definieren sich über Familienzugehörigkeit, Religion und ihre Bindung an das Land. Auch die etwa 1500 Bewohner des Nationalparks halten ihre Werte hoch. Ihren kargen Lebensunterhalt bestreiten sie hauptsächlich aus der Zucht von Lamas und Alpakas. Für Ackerbau ist das Klima zu rau.
Der Park gehört den Menschen
Die Aymara lebten schon lange vor der Gründung des Nationalparks in der Region um den Sajama. Das ist nicht ungewöhnlich in Bolivien, alle Schutzgebiete des Landes sind bewohnt. Das bedeutet: Naturschutz ist gegen den Willen der lokalen Bevölkerung nicht möglich. Ihre traditionellen Rechte, bestehenden Wertesysteme und ihre soziale Organisation müssen berücksichtigt werden.
GTZ und KfW unterstützen die nachhaltige Bewirtschaftung des Nationalparks Sajama seit mehr als zehn Jahren. Gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung und der Parkverwaltung wurde ein Plan zur Verwaltung des Schutzgebiets erstellt, Landbesitzrechte wurden geklärt und Konzepte für Tourismusangebote und zur Förderung der lokalen Wirtschaft ersonnen und umgesetzt. Für die Parkbehörde baute man Schutzstationen, Unterkünfte und Büros, und es wurden Fahrzeuge gekauft.
Der Aufbau einer gemeinsamen Verwaltung aus Schutzbehörde und lokaler Bevölkerung veränderte Verhältnis und Selbstverständnis aller Beteiligten grundlegend: Auch ehemals vehemente Gegner sehen das Schutzgebiet inzwischen nicht mehr als Bedrohung, sondern als Chance. Das Parkpersonal versteht sich als Partner beim Schutz und der Bewirtschaftung des Geländes. Die lokale Bevölkerung hilft mit, Verstöße gegen Schutzauflagen zu ahnden und Wilderer zu stellen.
Entscheidend ist dabei, dass auf traditionelle Entscheidungsprozesse und kulturelle Werte der Aymara Rücksicht genommen wird. Die Schutzbehörde hat anerkannt, dass der Nationalpark den Bewohnern gehört, die sich ihrerseits für dessen Schutz mitverantwortlich fühlen.
Was zählt, sind konkrete Ergebnisse
Die Erfolge im Tourismus und der Vikunjazucht haben die Bevölkerung letztlich vom Nutzen des Naturschutzes überzeugt. Die Klärung der Landrechte verlief nicht ohne Konflikte, doch konnten die Aymara die Grenzen der traditionellen Territorien intern klären. So können auch die für Nutzvieh und wildlebende Tiere wichtigen natürlichen Tränken nachhaltig genutzt werden. Ein schönes Beispiel für die Projekte im Nationalpark ist die nachhaltige Bewirtschaftung der wild lebenden Vikunjas. Lange hielt man sie für Konkurrenten der Lamas und Alpakas. Weil sie diesen das Futter weg fraßen und wegen ihrer feinen, wertvollen Wolle , wurden sie fast ausgerottet. Seit 2004 wirtschaften die Dorfgemeinschaften des Parks nachhaltig mit den Vikunjas. Sie treiben die Tiere einmal im Jahr zusammen, messen, wiegen und markieren sie. Nur die kräftigsten Tiere – jährlich etwa ein Viertel der Population – mit ausreichend Wolle werden geschoren. Ein Tier gibt 100 bis 250 Gramm Wolle. Das Kilo ist auf dem Weltmarkt etwa 500 Dollar wert. Die Einkünfte aus der Wolle machen zwar nicht reich, bringen aber je nach Jahr und Dorfgemeinschaft jeder Familie immerhin bis zu 250 Dollar ein.
Die Vorteile sind offensichtlich, daher hat sich die Einstellung gegenüber den Vikunjas grundlegend geändert. Auch die Dorforganisation und das Verhältnis der Dörfer untereinander profitiert davon. Das Modell aus Sajama gilt in der nationalen Vikunja-Schutzpolitik bereits als beispielhaft.
Tourismus in Eigenregie
GTZ und KfW haben den Aufbau des Tourismus unterstützt. Inzwischen betreibt die Bevölkerung die kleine Hotelanlage in Tomarapi, am Fuße des Vulkans Sajama, in Eigenregie. Die teilhabenden Familien haben gelernt, die Bedürfnisse internationaler Touristen zu verstehen und sie zu bewirten, und sie stellten Kontakt zu Reiseagenturen her. Diese müssen sich darauf verlassen können, dass versprochene Leistungen auch eingelöst werden. Um Tourismus zu betreiben, braucht man auch kaufmännische und buchhalterische Kenntnisse. Was zählt, ist nicht nur die Einkommensseite; auch die gerechte Verteilung der Gewinne muss transparent gemacht werden.
Nun starten in Tomarapi Touren in den Nationalpark und die Umgebung – etwa zu den Thermalbädern von Manasaya. Die lokale Bevölkerung wurde dabei unterstützt, Becken, Umkleidekabinen, Toiletten und Windschutzvorrichtungen zu bauen. Die Quittungen für den Eintritt, den die Touristen zahlen, dienen als Belege der Einnahmen gegenüber der Dorfgemeinschaft.
Der Tourismusrundweg „Rio Lauca” führt zu kulturellen und natürlichen Sehenswürdigkeiten: zu Salzlagunen mit unzähligen Flamingos und zu den mit buntem Lehm verzierten Chullpas, mehr als 500 Jahre alten Gräbern der Aymarafürsten. Die Wände mussten lediglich leicht restauriert werden. Lokale Touristenführer verdienen sich hier zu ihrem Haupterwerb, der Alpaka- und Lamazucht, ein Zubrot hinzu.
Es war viel Beratung und Förderung nötig, damit das Projekt naturfreundliche Einnahmen bringt und somit auch zur Wertschätzung der Bewohner und ihres natürlichen und kulturellen Erbes beiträgt.
Lokale Entwicklung beeinflusst die nationale Verfassung
Die Förderung des Nationalparks Sajama ist nur ein Beispiel für die Arbeit von KfW und GTZ im Nationalparkmanagement in Bolivien. Die nationale Schutzbehörde, unter deren Führung das Projekt realisiert wurde, ist inzwischen dazu in der Lage, die Grundaufgaben der Parkverwaltung zu erfüllen. Sie entwickelt auch Verwaltungskonzepte, verankert sie im Gesetz, und setzt sie um.
Die nationale Politik muss auf lokalen Erfahrungen aufbauen. Zugleich brauchen innovative lokale Initiativen die Unterstützung auf nationaler Ebene. Internationale Zusammenarbeit trägt durch langfristige Beratung und finanzielle Unterstützung dazu bei, dass der Schutz natürlicher Ressourcen und der Nationalparks in Boliviens einen ganz neuen Stellenwert erhalten hat. Dies zeigt sich auch in der nie da gewesenen Bedeutung, die dem Schutz natürlicher Ressourcen und der Nationalparks in der neuen Verfassung beigemessen wird.