Entwicklung und
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Economic Partnership Agreements

Verhältnis EU–Afrika auf der Kippe

Die Economic Partnership Agreements (EPAs) zwischen der EU und drei regionalen Gemeinschaften in Afrika kämpfen mit Hindernissen. Sie sollen nicht nur den Handel zwischen den Kontinenten, sondern auch die regionale Integration in Afrika befördern. Doch Kritiker befürchten den gegenteiligen Effekt, und der Abschluss der Verträge ist ins Stocken geraten. Eine neue strategische Initiative scheint dringend notwendig.
Um seine eigene Produktion zu schützen, möchte Nigeria das Economic Partnership Agreement mit der EU nicht unterschreiben. Händler in Lagos. Lemmens/Lineair Um seine eigene Produktion zu schützen, möchte Nigeria das Economic Partnership Agreement mit der EU nicht unterschreiben. Händler in Lagos.

Nicht nur die EU ist in der Krise, auch die regionale Integration Afrikas kommt viel langsamer voran als oft angenommen. Wie kritisch es um die regionalen Wirtschaftsgemeinschaften (Regional Economic Communities – RECs) steht, wissen wir allerdings nicht genau – es fehlt immer noch an statistischen Daten und exakten Kenntnissen über den Stand der Implementierung. Auch wenn eine Zollunion wie die Southern African Customs Union (SACU) über hundert Jahre besteht, heißt das noch lange nicht, dass sie in der Praxis voll umgesetzt ist. Regelmäßig machen nichttarifäre Barrieren (NTB) die Abschaffung von Zöllen wieder zunichte. Durch dieses Stadium ist auch die EU gegangen, hat dem aber mit dem Single Market Programme von 1987 konsequent ein Ende gesetzt.

Der politische Wille, eine beschlossene Zollunion tatsächlich zu realisieren und Hindernisse unter anderem durch gegenseitige Anerkennung von Standards zu reduzieren, erscheint gegenwärtig am ehesten in der East African Community (EAC) gegeben. Dort hat sich eine Koalition von Kenia, Ruanda und Uganda gebildet, um die Integration zu beschleunigen. Auf EU-Ebene entspräche dem am ehesten die deutsch-französische Achse. Eine derartige Koalition oder Achse fehlt in den anderen RECs. Vor allem die regionalen Vormächte Nigeria und Südafrika verweigern die Rolle des positiven Impuls- und Incentive-Gebers der Integration.

Was liegt dem Problem zugrunde? Die Handelstheorie lehrt, dass am ehesten solche RECs Erfolg haben, in denen eine breite intraindustrielle Diversifizierung auch den weniger fortgeschrittenen Mitgliedstaaten reelle Chancen im Handel innerhalb der Gemeinschaft einräumt – wo also keine reine Spezialisierung auf Landwirtschaft oder Industrie oder Bergbau stattfindet, sondern Arbeitsteilung innerhalb dieser Sektoren. Das beste Beispiel ist wiederum die EU. Entwickelte intraindustrielle Arbeitsteilung existiert aber noch nirgendwo in Afrika, und daher fehlt die Bereitschaft zu voller Liberalisierung untereinander.


Economic Partnership Agreements

In diese Problemlage stoßen die Economic Partnership Agreements (EPA) der EU. Nur wenige Beobachter außerhalb der EU-Kommission sind der Meinung, dass die EPA-Verhandlungen überhaupt in dieser Form hätten aufgesetzt werden sollen. Nun stehen jedoch drei regionale EPAs zur endgültigen Unterzeichnung und Ratifizierung an:

  • das EAC-EPA (mit 5 EAC-Mitgliedstaaten),
  • das ECOWAS-EPA (mit den 15 Mitgliedstaaten der Economic Community of West African States plus Mauretanien) und
  • das sogenannte SADC-EPA (mit sechs südafrikanischen Staaten der Southern African Development Community).

Die Abkommen konzentrieren sich fast komplett auf die Liberalisierung des Güterhandels. Ihr vertraglicher Kern ist die Aufrechterhaltung des zollfreien Zugangs für afrikanische Exporteure zur EU und die Verbesserung der sogenannten Ursprungsregeln für afrikanische Produkte auf dem europäischen Markt. Im Gegenzug wird die phasenweise Zollbefreiung von rund 85 Prozent der europäischen Exporte nach Afrika angestrebt. Der aktuelle Sachstand ist der folgende:

Das sogenannte SADC-EPA ist am 1. Oktober pünktlich in Kraft getreten. Das Abkommen wäre als „SACU+“-EPA richtiger beschrieben, da es nur die SACU-Mitgliedstaaten plus Mosambik umfasst. Daneben ist ein weiteres EPA mit anderen SADC-Staaten seit Jahren „vorläufig“ in Kraft. Auch dessen Ratifizierung schreitet voran. Damit teilt sich die SADC definitiv in zwei Gruppen.

Das ECOWAS-EPA ist von 13 Vertragsstaaten unterzeichnet. Es fehlt vor allem die Unterschrift Nigerias, das plötzlich Nachteile für seine Industrie befürchtet. Derweil haben die Elfenbeinküste und Ghana ihre individuellen Interim-EPAs (i-EPAs) parlamentarisch ratifiziert, so dass sie eine eigene Rückfallposition für die Zollfreiheit mit der EU haben.

In der EAC hat Tansania jetzt auch negative Folgen für seine Industrie entdeckt, auf den EU-Ausstieg seines wichtigen Handelspartners Großbritannien verwiesen und daher die Unterzeichnung verweigert. Burundi beklagt die politischen Sanktionen der EU und lehnt das EPA deswegen ab. Ruanda und Kenia haben daraufhin in Brüssel ostentativ unterzeichnet; Uganda wird wohl folgen.

In Zentralafrika hat trotz vorliegenden Vertragsentwurfs allein Kamerun – vor allem um seine Bananen-Exporte in die EU zu schützen – ein Interim-EPA abgeschlossen, das formal die seit langem geplante Zollunion in der Central African Economic and Monetary Community (CEMAC) aushebelt.


Fragmentierung Afrikas befürchtet

Viele Kritiker aus der Zivilgesellschaft befürchten seit langem eine neue Fragmentierung Afrikas durch die EPAs. Dem widerspricht erst einmal, dass die drei vertragschließenden Gruppen EAC, ECOWAS und SACU funktionale Regionalgemeinschaften bilden und ihr gemeinsamer Außenzoll durch den Vertragsschluss mit der EU sogar konsolidiert wird. Insoweit ist das Kernargument der EU-Kommission, die EPAs förderten Regionalintegration in Afrika, richtig. Da die EPAs außerdem reine Güterhandelsabkommen ohne Dienstleistungs- und Investitionsregelungen sind, kann man die Unterzeichnung vertreten, um das höhere Gut des Zusammenhalts der Regionalgemeinschaften zu schützen (siehe Asche 2015). Die von west- und ostafrikanischen Regierungen vorgebrachten Bedenken gegen die EPA-Texte sind nicht vollkommen aus der Luft gegriffen. Unter anderem sind die Schutzklauseln für junge Industrien und für die Förderung der Weiterverarbeitung von Rohstoffen im eigenen Land alles andere als optimal; im EAC-EPA fehlt erstere sogar ganz. Es bleibt jedoch bei kluger Anwendung der Regelungen genügend politischer Spielraum, um gezielte Agrar- und Industrieförderung zu betreiben.

Jetzt dreht sich die Lage aber komplett. Sollten die west- und ostafrikanischen EPAs nicht unterzeichnet werden und separate i-EPAs einzelner Mitgliedstaaten definitiv in Kraft treten, findet genau die befürchtete Fragmentierung statt. Wenn gegenüber dem wichtigsten Handelspartner Afrikas, der EU, unterschiedliche Zollsätze, Ursprungsregeln et cetera gelten, werden Zollunionen mit gemeinsamem Außentarif und vollständiger Aufhebung der Zollkontrollen im Inneren technisch unmöglich.

Während die fortgeschrittenen Partnerländer ihre separaten EPAs abschließen, haben die am wenigsten entwickelten Länder (least developed countries – LDC) die Rückfallposition auf das EU-Zollregime Everything but Arms (EBA), um weiter zollfrei nach Europa exportieren zu können. Das ist aber ein schwacher Trost. EBA ist ein bilaterales Zugeständnis der EU und kein völkerrechtlicher Vertrag, und es wird nach dem absehbaren Aufstieg etlicher weiterer afrikanischer Staaten zu Ländern mittleren Einkommens ganz schnell keine Rückfallposition mehr sein. Afrikanische Politiker befürchten zudem eine Schwächung ihrer Gemeinschaften in den Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit China, Indien, Türkei und anderen.

Wie kritisch all diese Folgen für Afrika bewertet werden, hängt stark von der handelspolitischen Position des Betrachters ab. Wenn man wie die angelsächsische Schule der Handelstheorie oder Vertreter der Weltbank ohnehin kaum an die Chancen integrierter regionaler Wirtschaftsgemeinschaften nach dem Muster der EU glaubt und hauptsächlich auf multilaterale Liberalisierung setzt, dann ist die Lage nicht besonders dramatisch. Die afrikanischen Regionalgemeinschaften sind dann im Grunde verzichtbar. Von jeder anderen Position aus ist sie sehr besorgniserregend und verlangt nach strategischer Neuausrichtung.


Afrikaweite Freihandels­abkommen?

Vordergründig scheinen das trilaterale Freihandelsabkommen TFTA der drei Gemeinschaften COMESA, EAC und SADC und das kontinentale Freihandelsabkommen CFTA der Afrikanischen Union (AU) großartige Alternativen zu bieten. Ihre Attraktivität rührt daher, dass sie die heillosen Überlappungen der Regionalgemeinschaften – die „Spaghettischüssel“ – auflösen könnten, weil alles eins wird. Allerdings beurteilen die meisten Beobachter diese Projekte mittlerweile kritisch. Gründe sind unter anderem:

  • der grundsätzliche Konstruktionsfehler, auf zwei höheren Ebenen Schritte zur Liberalisierung zu erwarten, die im Maßstab der RECs noch lange nicht vollendet sind. Das wäre nur dann sinnvoll, wenn die Integrationsprobleme ausschließlich von den Überlappungen der kleineren RECs herrührten. Das tun sie aber nicht.
  • die Gefahr, dass das TFTA von Kairo bis zum Kap unter den gegebenen Bedingungen zu noch höherer Konzentration von Industrien an den Polen Südafrika und Ägypten führen wird.
  • der Widerstand Südafrikas aufgrund der Befürchtung, dass das TFTA über afrikanische Drittländer zum Einfallstor für zollfreie Importe aus China und Indien wird.

Daher rührt die sehr geringe Bereitschaft der meisten afrikanischen Staaten, über weitere Zollsenkungen auf Güter in TFTA/CFTA ernsthaft zu verhandeln, selbst wenn es nur um eine niedrigschwellige Freihandelszone geht. In der Konsequenz ist es sehr unwahrscheinlich, dass TFTA oder CFTA in absehbarer Zukunft eine vollwertige Alternative zu den bekannten RECs und damit mögliche Verhandlungspartner der EU werden. Die beiden Projekte haben großes Potenzial für kontinentale Vereinbarungen zur technischen Erleichterung von Handel und persönlicher Bewegungsfreiheit und für die überregionale Infrastruktur, aber mehr auch nicht.


Rückzug oder Nachverhandlung

Für die EPAs zwischen der EU und den afrikanischen RECs ist die Lage nun sehr besorgniserregend. Es ergeben sich mehrere politische Optionen. Die Abkommen könnten vollkommen zurückgezogen werden, wie von weiten Teilen der internationalen NGO-Szene gefordert. Spätestens seit das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP faktisch gescheitert ist, erscheint eine solch radikale Wendung durchaus möglich. Oder die Abkommen könnten nachverhandelt werden. Alternativ könnten sie auch mit der verbindlichen Maßgabe abgeschlossen werden, dass der Vertrags­text in der Implementierung nachgebessert wird. Diese Variante hat den Vorteil, dass sie EAC, ECOWAS und SACU+ als Regionalgemeinschaften bestätigt, die gefährlichen Sondervereinbarungen (i-EPAs) vermeidet und die begleitenden Entwicklungsprogramme ohne weitere Umstände umgesetzt werden können. Einfaches Beharren auf den aktuellen Vertragstexten hingegen wird kaum noch zum Erfolg führen. Ergänzend könnten EU und USA – angelehnt an einen sehr guten Vorschlag der holländischen Regierung – ihre Präferenzregime für Afrika harmonisieren und ein gemeinsames Angebot der weiteren Vereinfachung von Ursprungsregeln machen (zur Erläuterung siehe Herfkens 2016). Eine solche vertrauensbildende Initiative ist auch als G20-Thema denkbar, scheint aber angesichts der Anti-Freihandels-Rhetorik von Wahlsieger Donald Trump in den USA recht unwahrscheinlich.

Ganz gleich, für welche Verhandlungsvariante man sich entscheidet, hinter dem EPA-Desaster steckt ein bekanntes Grundproblem: Seit den 1950er Jahren ist Schwarzafrika von europäischen Mächten als reiner Rohstoff- und Agrarlieferant definiert worden. Verarbeitende Industrie kam nicht vor, daher gab es auch kaum Verständnis für Förderung und Schutz neuer Industrien in Afrika. Dieser fragwürdige Konsens hat sich direkt in die Aushandlung der EPAs übertragen. Er steht nun offen zur Disposition, neuerdings auch wissenschaftlich. Gravierender noch hat sich die europäische Agrar- und Fischereipolitik ausgewirkt, da sie selbst die Afrika zugedachte Rolle als Primärproduzent untergrub. Niemand in den EPA-Verhandlungsgruppen war naiv genug, um sich von dem proklamierten Verzicht der EU auf direkte Agrar-Exportsubventionen täuschen zu lassen. Die sogenannten entkoppelten Subventionen haben im Wesentlichen den gleichen Effekt auf afrikanische und europäische Märkte.

Die richtige Antwort auf dieses Dilemma wäre das nächste politische Großprojekt in Deutschland und seinen Nachbarländern: der Ausstieg aus der industriellen Massentierhaltung und dem hochsubventionierten Ackerbau. Eine solche Reform ist nicht mehr vollkommen unrealistisch. Gleichwohl kann sie in EPA-Nachverhandlungen nur als Zukunftsprojekt eingebracht werden, da sie in der gegenwärtigen EU-Krise zu hohe Spannungen an den sozialen und geografischen Rändern erzeugen würde. Die EU hat es aber schon geschafft, einzelne landwirtschaftliche Regime sehr weitgehend zu reformieren. Anfang 2017 wird zum Beispiel die bisher umfassendste Reform des Zuckermarktes in Kraft treten, obwohl ausgerechnet sie zulasten sowohl der Kleinproduzenten in Europa als auch der LDC gehen kann. Reformen des Baumwoll-, des Milchmarktes und der Fischereiabkommen wären sinnvoll. In EPA-Verhandlungen mit Afrika weiterhin nichts dergleichen anzubieten, bedeutet hingegen den Verzicht auf Strategie.

Eine neue Beweglichkeit ist auch deswegen strategisch wichtig, weil die EU die afrikanischen Staaten noch zu Vereinbarungen auf weiteren kontroversen Politikfeldern bewegen will. Dienstleistungen und technische Handelserleichterungen stehen oben auf der Agenda. Wie Afrikas politische Führer nach den EPA-Erfahrungen von ernsthaften Verhandlungen zu diesen Themen überzeugt werden können, ist einigermaßen rätselhaft. Vorherige Vertrauensbildung erscheint unumgänglich.

Die Zukunft des gesamten wirtschaftlichen Verhältnisses von Europa und Afrika steht damit zur Disposition. Die Beziehungen waren bislang im Cotonou-Abkommen geregelt. Die Konsultationen der EU-Kommission über die Zukunft des Abkommens, das 2020 ausläuft, waren bislang wenig erhellend und politisch lustlos, sowohl seitens der Afrika-, Karibik- und Pazifik-(AKP-)Staaten als auch der neuen EU-Mitgliedsländer. Der Grund dafür ist klar: „Cotonou“ ist nie die Plattform für eine gemeinsame Beratung von Zukunfts- und Entwicklungsperspektiven geworden, sondern nur der rechtliche Rahmen für die Entwicklungshilfe aus Brüssel und die EPAs.

Im Ergebnis erscheint eine strategische Initiative auf der Ebene AU-EU unter der Schirmherrschaft hochrangiger, auf beiden Seiten anerkannter Persönlichkeiten dringend. Sie sollte eine gemeinsame Reflexion über die Zukunft der Zusammenarbeit von Afrika und Europa aufnehmen, mit der EU als einer Gemeinschaft, die über ihre eigenen Grundlagen neu nachdenken muss, ebenso wie dies für die afrikanischen Gemeinschaften unter dem Dach der AU gilt.


Helmut Asche ist Entwicklungsökonom mit 25 Jahren Erfahrung in der Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika. Er hat zuletzt als Hochschullehrer an den Universitäten Leipzig und Mainz gearbeitet. Dieser Aufsatz beruht auf einem Papier, das er für Horst Köhler, den ehemaligen Bundespräsidenten und früheren geschäftsführenden Direktor des Internationale Währungsfonds, verfasst hat. asche@uni-mainz.de


Literatur

Asche, H., 2015: Europe, Africa and the Transatlantic. The North-South challenge for development-friendly trade policy. Berlin, Heinrich Böll Stiftung.
Herfkens, E., 2016: Lost in a Spaghetti Bowl? Mega-regional trade agreements, Sub-Saharan Africa and the future of the WTO. Berlin, Friedrich Ebert Stiftung.