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Bildung

Heirat statt Schulabschluss

Bangladesch hat seine Einschulungsquoten in den vergangenen 25 Jahren enorm verbessert. Inzwischen gehen Mädchen sogar mit höherer Wahrscheinlichkeit zur Schule als Jungen. Selbst in ländlichen Gebieten gibt es Schulen in erreichbarer Nähe. Grund zur Sorge bereiten in Bangladesch jedoch – wie in vielen anderen Teilen der Welt – die hohen Abbruchraten. Die Qualität der staatlichen Schulen ist oft miserabel. Neue politische Maßnahmen sind nötig, damit Mädchen auch einen Abschluss machen.
Für Mädchen ist es inzwischen ganz normal, in die Grundschule zu gehen. Sumon Yusuf/Majority World/Lineair Für Mädchen ist es inzwischen ganz normal, in die Grundschule zu gehen.

Im Jahr 2010 gingen amtlichen Statistiken zufolge in Bangladesch 97 Prozent der Mädchen und 92 Prozent der Jungen zwischen sechs und zehn Jahren zur Grundschule. Außerdem waren 55 Prozent der Mädchen zwischen elf und 15 Jahren an weiterführenden Schulen angemeldet – aber nur 45 Prozent der Jungen.

Offizielle Statistiken sind bisweilen verzerrt, aber die Tendenz in Bangladesch ist unstrittig. 2014 arbeiteten wir an einer landesweiten Studie zum Thema „Lebensentscheidungen und Einstellungen von Frauen“ (WilCAS). Unsere Umfrage stützte sich mehr auf die Aussagen der Mütter als auf Informationen, die wir von Schulen erhielten. 2014 wurden demnach 83 Prozent der Mädchen in die Grundschule eingeschult, sogar 58 Prozent gingen in die Sekundarstufe. Bei den Jungen waren es 81 beziehungsweise 47 Prozent. Diese Zahlen sind zwar weniger beeindruckend als die offiziellen, aber sie sind trotzdem sehr gut angesichts dessen, dass Bangladesch ein sehr armes Land ist. Vor zwanzig Jahren gingen noch weniger Mädchen als Jungen zur Schule. Nobelpreisträger Amartya Sen betonte wiederholt, dass Indien und andere Länder sich an Bangladeschs Bildungserfolg orientieren sollten.

Allerdings ist die Abbruchrate beträchtlich. Wir schätzen, dass 32 Prozent der Jungen und 24 Prozent der Mädchen, die 2010 zur Grundschule gingen, schon im Jahr 2014 abgebrochen haben. Offenbar steigt das Risiko, die Schule abzubrechen, mit dem Alter der Mädchen. Mehr als die Hälfte der Mädchen aus unserer Stichprobe verließ die Schule „wegen Eheschließung“. Bei den Jungen war das nur bei einem Fünftel der Schulabbrüche der Fall. Vor wenigen Jahrzehnten verhinderten frühe Ehen die Bildung von Frauen noch erheblich mehr. Laut WiLCAS-Daten waren fast zwei Drittel der befragten Mütter wegen Heirat von der Schule abgegangen.

Bezeichnenderweise ist heutzutage „Haushaltsarmut“ der zweitwichtigste Grund, die Schule zu verlassen. Die Familien können es sich nicht leisten, Geld für die Schule auszugeben. Auch das ist bekannt. Einer 2015 von UNESCO und UNICEF veröffentlichten Studie nach „können sich Haushalte mit niedrigem Einkommen in vielen Ländern weder die direkten Kosten leisten, ihre Kinder zur Schule zu schicken (z. B. für Gebühren, Uniformen oder Bücher), noch die indirekten Kosten durch das Ausbleiben der Löhne oder Haushaltsbeiträge ihrer Söhne und Töchter.“

Diese Entwicklung ist dennoch erstaunlich, da die Regierung Bangladeschs seit den 1990er Jahren den Schulbesuch von Mädchen fördert und die Kosten dafür auf verschiedene Weise gesenkt hat. Zudem gibt es weniger Einkommensarmut. Höchstwahrscheinlich ist dieser Trend einfach Ausdruck dessen, dass Mädchen in den Familien immer noch stark benachteiligt werden.

Es ist sinnvoll, sich anzuschauen, was Haushalte für die Ausbildung der Kinder ausgeben. In der Grundschule sind die Ausgaben für Jungen und Mädchen fast gleich, tatsächlich wird sogar etwas mehr für Mädchen aufgewendet. Wenn es um Nachhilfe geht, stehen die Jungen allerdings besser da. In der weiterführenden Schule wird in die Jungen 27 Prozent mehr investiert als in Mädchen – deren Nachhilfe ist den Familien sogar 38 Prozent mehr wert.

Leider wird auch in ländlichen Gebieten Nachhilfe immer wichtiger. Das ist in ganz Südasien zu beobachten (vgl. E+Z/D+C e-Paper 2016/06, S. 36 f. und e-Paper 2016/02, S. 11). Hauptgrund dafür ist die miserable Qualität der staatlichen Schulen. Einer unabhängigen Studie nach, die Asadullah und Chaudhury 2015 im ländlichen Bangladesch durchführten, besteht nur ein schwacher Zusammenhang zwischen Lernerfolg und Dauer des Schulbesuchs.

Unsere Untersuchungen legen nahe, dass den Eltern in Bangladesch die Grundschulbildung ihrer Söhne und Töchter gleich wichtig ist. Was die weiterführende Schule angeht, besteht jedoch eine ernsthafte Kluft zwischen den Geschlechtern, auch wenn das in den Zahlen nicht ganz so deutlich wird. Die Familien schicken die Mädchen zwar zur Schule, investieren aber weniger in deren Bildung. Ein Mädchen hat geringere Chancen als ein Junge, nach der zehnten Klasse den normalen Schulabschluss zu machen.

Wahrscheinlich ist die Aussicht auf eine frühe Heirat der Hauptgrund für das Geschlechtergefälle. Wenn es die Norm ist, dass junge Mädchen heiraten, statt die Schule abzuschließen, dann ist die Investition in deren Ausbildung ein Luxus, den sich arme Eltern nicht leisten können – zumal sie eine beträchtliche Mitgift zu zahlen haben. Die Familien sind also schlicht zu arm, um in die Bildung der Mädchen zu investieren.

Die gute Nachricht ist: Den Mädchen in Bangladesch steht nicht mehr ein Mangel an nahegelegenen Schulen oder religiöser Widerstand im Weg. Die schlechte Nachricht ist: Hinsichtlich Bildung besteht leider nach wie vor keine Chancengleichheit für Mädchen. Das Land braucht eine neue Politik, die Mädchen hilft, die Sekundarstufe abzuschließen.

Niaz Asadullah ist stellvertretender Direktor des Centre for Poverty and Development Studies (CPDS) an der Universität von Malaya.
m.niaz@um.edu.my

Zaki Wahhaj ist Dozent für Wirtschafts­wissenschaften an der Universität von Kent.
z.wahhaj@kent.ac.uk


Links
UNESCO und UNICEF, 2015: Child labour and out-of-school children: evidence from 25 developing countries.
http://allinschool.org/wp-content/uploads/2015/01/OOSC-2014-Child-labour-final.pdf
Asadullah, M. N. and Chaudhury, N., 2015: The dissonance between schooling and learning: evidence from rural Bangladesh. Comparative Education Review 59, no. 3.
http://www.journals.uchicago.edu/doi/abs/10.1086/681929?journalCode=cer
WiLCAS, 2014: Women´s live choices and attitudes survey.
http://www.integgra.org/

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