Völkermord an den Ovaherero und Nama
Keine echte Versöhnung für die Ovaherero und Nama
2015 gestand Deutschland halbherzig ein, in der kaiserlichen Kolonie Südwestafrika – dem heutigen Namibia – zwischen 1904 und 1908 Völkermord begangen zu haben. Rechtsgültige Folgen stritt die Bundesregierung ab.
Seither fanden bilaterale Verhandlungen hinter verschlossenen Türen statt. Am 21. Mai 2021 zeichneten beide Sonderbeauftragte eine gemeinsame Erklärung ab – im Koalitionsvertrag der neuen deutschen Bundesregierung „Versöhnungsabkommen“ genannt. Diese Beschönigung wurde nach einer Kleinen Anfrage im Bundestag am 12. Oktober 2022 zurückgezogen.
Nach Protesten in Namibia durch die Zivilgesellschaft und von Oppositionsparteien wurde die Erklärung noch nicht wie geplant von den Außenminister*innen unterzeichnet und damit offiziell verabschiedet. Am 27. Oktober 2022 forderte der mit der Aufsicht betraute namibische Vizepräsident Nangolo Mbumba Nachbesserungen: Erhöhung des vereinbarten Betrags von 1,1 Milliarden Euro, die vollständige und uneingeschränkte Anerkennung des Völkermords, die Anerkennung von Reparationen und den Einbezug der Nachkommen der Opfer in der Diaspora.
Das größte Manko ließ er jedoch unerwähnt: Die wichtigsten Organisationen der Nachkommen der vom Völkermord betroffenen ethnischen Gruppen – Ovaherero und Nama, aber auch der Damara und San – waren von den Gesprächen ausgeschlossen.
Am 9. November 2022 erklärte die Bundesregierung im Bundestag, es werde keine neuen Verhandlungen zur Erklärung geben. Zu einem Nachtrag, in dem einige Monita berücksichtigt werden könnten, sei sie jedoch bereit. Die Ergebnisse bleiben abzuwarten.
Die Gegner*innen des Abkommens waren nicht untätig. Im Januar 2023 reichten die Ovaherero Traditional Authority, die Nama Traditional Leaders Association und der Vorsitzende des Landless People’s Movement (Namibias zweitgrößter Oppositionspartei) Klage beim Obergericht in Windhoek ein: Die Verhandlungen verstießen gegen die namibische Verfassung und eine 2006 vom Parlament verabschiedete Resolution, weil die Nachkommen der direkt Betroffenen nicht an den Verhandlungen beteiligt waren.
Deutschland und Namibia verletzen Rechte
Während das Verfahren noch anhängig ist, unterstützten Sonderberichterstattende des UN-Menschenrechtsrats die Einwände in Schreiben an beide Regierungen am 23. Februar 2023. Die Verhandlungen verstießen gegen die UN-Erklärung zu den Rechten indigener Völker, die 2007 unter Zustimmung Deutschlands und Namibias angenommen wurde. Sie besagt, dass „indigene Völker das Recht haben, durch von ihnen selbst gewählte Vertreter*innen an der Entscheidungsfindung in Angelegenheiten teilzunehmen, die ihre Rechte betreffen“. Die Berichterstattenden bemängelten ein unzureichendes Gedenken an die begangenen Verbrechen. Sie kritisierten zudem, dass die gemeinsame Erklärung den Völkermord nicht rechtlich anerkennt und keine Wiedergutmachung vorsieht.
Es ist wenig verwunderlich, dass die Regierungen Deutschlands und Namibias die Kritik zurückweisen und sich auf das intertemporale Prinzip berufen. Demnach gilt ein Gesetz nicht für Ereignisse, die vor seinem Inkrafttreten stattgefunden haben. Damit ignorieren sie entscheidende Perspektiven internationaler Rechtsnormen.
Die Erklärung gesteht den Völkermord mit der relativierenden Phrase „aus heutiger Sicht“ ein. Sie vermeidet damit, vollumfängliche Verantwortung zu übernehmen, und scheut deren Folgen. Die vom ehemaligen deutschen Außenminister Joschka Fischer vor rund 20 Jahren geprägte Doktrin der Entschuldigung ohne Entschädigung scheint weiterhin gültig.
So vermeidet die Erklärung auch das Wort „Wiedergutmachung“. Sie bestätigt die Zahlung von 1050 Millionen Euro über 30 Jahre als deutschen Zuschuss „für das Wiederaufbau- und Entwicklungshilfeprogramm zugunsten der Nachkommen besonders betroffener Gemeinschaften“ – ungefähr so viel, wie seit Namibias Unabhängigkeit als deutsche Entwicklungshilfe (ODA) für das Land bereitgestellt wurde. Weitere 50 Millionen sind für „Projekte zur Versöhnung, Erinnerung, Forschung und Bildung“ vorgesehen. Es ist die Aufgabe beider Regierungen, die Programme durchzuführen. Vereinbart ist, „dass mit diesen Beträgen alle finanziellen Aspekte [...] im Zusammenhang mit der in dieser Gemeinsamen Erklärung angesprochenen Vergangenheit geregelt sind“.
Die Erklärung zementiert eine asymmetrische Machtstruktur, bei der die namibische Regierung der Juniorpartner ist. In dem Dokument heißt es: „Deutschland entschuldigt sich und verneigt sich vor den Nachkommen der Opfer [...] Die namibische Regierung und das namibische Volk nehmen die Entschuldigung Deutschlands an.“ Aber das Volk ist nie gefragt worden.
Für die Nachkommen gilt: Wenn die Erklärung nicht mit uns zustande kam, ist sie gegen uns. In ihrer jetzigen Form ist die Erklärung ein Verrat an der Gerechtigkeit und verschlimmert alles. Die Regierungen Deutschlands und Namibias sollten sich schämen. Verhandlungen müssen so wieder aufgenommen werden, dass die Nachkommen eine Stimme und echte Mitverantwortung erhalten – sonst kann es keine Versöhnung geben.
Sima Luipert ist Aktivistin im Ausschuss für Völkermord der Nama Traditional Leaders Association und Urenkelin eines Überlebenden des Konzentrationslagers auf der Haifischinsel.
simagoeieman@gmail.com
Henning Melber kam als Sohn deutscher Einwanderer nach Namibia und schloss sich 1974 der Befreiungsbewegung SWAPO an.
henning.melber@nai.uu.se
Jephta Uavavaera Nguherimo ist Autor und Gründer der OvaHerero People’s Memorial and Reconstruction Foundation (OPMRF).
jephta@hotmail.com