Gesundheit
Diabetes als Entwicklungsthema
[ Von David Whiting ]
Diabetes ist eine chronische, nicht ansteckende Krankheit. Es gibt zwei Haupttypen: Typ 1 wird zumeist schon bei jungen Menschen diagnostiziert zeichnet sich dadurch aus, dass kein Insulin produziert wird. Typ 2 wird meistens bei Erwachsenen festgestellt, dabei ist das Problem, dass ihr Körper nicht ausreichend Insulin produziert. Beide Diabetestypen haben ernste gesundheitliche Folgen, wenn sie nicht richtig behandelt werden – etwa Beeinträchtigung des Sehvermögens und der Nerven, Nierenkrankheiten, Amputationen und ein erhöhtes Risiko für Herz- und Gefäßkrankheiten, wie zum Beispiel Schlaganfall.
Die Ursachen von Diabetes Typ 1 sind weitgehend unbekannt, obwohl es Hinweise gibt, dass Infektionen eine Rolle spielen. Diabetes 2 hängt größtenteils mit der ökonomischen Entwicklung zusammen. Urbanisierung, Mechanisierung und Globalisierung führen dazu, dass die Menschen sich weniger körperlich bewegen und sich zugleich fett- und salzreicher ernähren, was wiederum zu Fettleibigkeit und erhöhtem Blutdruck führen kann. Diabetes ist daher ein Entwicklungsthema.
Nach Erkenntnissen der International Diabetes Federation gibt es derzeit weltweit 246 Millionen Diabetiker. Diese Zahl wird sich voraussichtlich bis zum Jahr 2025 auf 380 Millionen erhöhen. Hauptsächlich wird das Menschen zwischen 45 und 64 Jahren aus Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen betreffen. Im Jahr 2030 werden demnach mehr als 80 Prozent aller Diabetiker weltweit in Staaten leben, die heute als „Entwicklungsländer“ gelten.
Diabetes ist auch eine bedeutende Todesursache. Im Jahr 2000 starben drei Millionen Menschen an dieser Erkrankung – das sind genauso viele, wie im gleichen Jahr an HIV/Aids starben. Außer zu vorzeitigem Tod kann Diabetes auch zu „Komplikationen“ führen. Dieser euphemistische medizinische Begriff trivialisiert die Folgen unzureichend behandelter Diabetes. Wenn Blutzucker und Blutdruck über längere Zeit zu hoch sind, greift das die Blutgefäße und Nerven an. Bei großen Blutgefäßen erhöht das das Risiko für Herzkrankheiten und Schlaganfälle. Geschädigte kleine Blutgefäße im Auge führen zu Diabetes-Retinopathie – der Hauptursache für Erblindung in den Industrieländern.
Nierenschäden (Nephropathie) sind die größte singuläre Ursache für tödliche Nierenerkrankungen in den USA und Europa, 40 Prozent der Neuerkrankungen in den USA. Patienten mit Nierenerkrankungen im Endstadium benötigen entweder Dialyse oder eine Nierentransplantation – beides ist in einkommensschwachen Milieus nur selten verfügbar.
Die Schädigung der sensorischen, motorischen und autonomen Nerven – Neuropathie – kann ganz verschiedene Symptome hervorrufen, wie Gefühlstaubheit, Kribbeln und Schmerzen, Muskelschwund, Kontrollverlust über die Muskeln, starkes Schwitzen. Zudem können Verdauung, Herzfrequenz und Blutdruck beeinträchtigt werden. Infolge von Nervenleiden und schlechter Blutzirkulation haben Diabetiker ein erhöhtes Risiko, Geschwüre an den Füßen zu bekommen. Kleine Schnitte oder blaue Flecken bleiben unter Umständen unbemerkt und heilen nicht aus. Unbehandelt werden aus diesen kleinen Verletzungen schnell tiefe Wunden, die faulen und dann nur noch sehr schwer heilen – was schließlich dazu führen kann, dass das Bein amputiert werden muss. In sehr armen Ländern, wie etwa Tansania, sind Fußgeschwüre häufig der Grund dafür, dass Diabetiker ins Krankenhaus kommen oder sogar sterben.
Geringe Lebenserwartung
Menschen mit Diabetes Typ 1 müssen sich täglich Insulin spritzen, um zu überleben. In armen Regionen – und damit in den meisten afrikanischen Ländern – ist die Insulinversorgung nicht verlässlich, selbst in den größten Krankenhäusern. Bei den heutigen Preisen können sich nur wenige leisten, das Insulin privat zu bezahlen. Die Lebenserwartung für ein Kind in Afrika mit der Diagnose Diabetes Typ 1 liegt zwischen einem Jahr auf dem Land und acht Jahren in städtischen Gebieten in Mali.
Der Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und Gesundheit ist heute klar belegt, der Verlauf hängt von zahlreichen Bedingungen ab. Dieser Verlauf zeigt sich auch in den Faktoren, die zu Diabetes 2 führen, sowie in den Folgen für Diabetiker.
In den reichen Ländern bewegen sich Menschen, die zu einer sozioökonomisch schwachen Schicht gehören, körperlich eher weniger; sie ernähren sich tendenziell salz- und fettreich sowie ballaststoffarm und sie rauchen häufiger. Die Gründe dafür sind vielschichtig und nicht vollständig geklärt, aber ein wichtiger Faktor ist, dass fettreiches, qualitativ schlechtes Essen billiger ist als gesündere Alternativen.
Es gibt zudem Belege dafür, dass die Bedingungen während der Schwangerschaft das spätere Diabetes-Risiko des Kindes erhöhen können, indem eine schlechte Versorgung den Fötus auf ein Leben unter beschränkten Bedingungen „programmiert“. Wachsen Kinder mit einem geringen Geburtsgewicht dann in einem Umfeld mit reichlich Essen auf und bewegen sich zudem wenig, ist ihr Diabetesrisiko erhöht. Das betrifft insbesondere Kinder von Migranten, die aus armen in reiche Länder oder vom Land in die Stadt ziehen.
Wenn sich arme Länder entwickeln, sind zunächst die sozioökonomisch stärkeren Gruppen gefährdet, an Diabetes zu erkranken. Aber das kehrt sich schnell um, so dass selbst im städtischen Raum in Tansania Diabetes häufiger bei den ärmeren Schichten vorkommt.
Soziale Ungleichheit
Auch die Folgen der Zuckerkrankheit sind nicht überall die selben; in Ländern ohne allgemeine Gesundheitsversorgung ist die Ungleichheit in der Behandlung schwerwiegender. In Staaten wie den USA werden Menschen, die keine Krankenversicherung haben, deutlich seltener untersucht, die Folgen sind daher gravierender – zum Beispiel haben sie häufiger Probleme mit den Augen. In Ländern mit allgemeiner, für jedermann zugänglicher Gesundheitsversorgung wirkt sich die sozioökonomische Situation weniger auf die Behandlung des Diabetes aus. Viele arme Länder haben im vergangenen Jahrzehnt das Gesundheitssystem reformiert und Kostenteilung eingeführt, was auch zu Ungleichheiten führen kann. In einigen afrikanischen Ländern etwa ist die Versorgung bei Diabetes sehr begrenzt und zumeist auf die Städte und sekundäre Gesundheitseinrichtungen konzentriert, was den Zugang für viele Betroffene einschränkt.
Die Folgen von Diabetes Typ 1 sind weit besser erforscht als die von Typ 2. Unzureichende Behandlung und Folgeerkrankungen hängen mit schlechterer Lebensqualität zusammen und gehen mit mehr Depressionen einher – was tendenziell ärmere Menschen betrifft.
Eine Studie, die explizit untersucht, wie sich ungleiche finanzielle Aufwendungen auswirken, stammt aus Indien. Diese landesweite repräsentative Studie im städtischen und ländlichen Indien zeigt, dass es ein Gefälle bei der Finanzierung der Diabetesbehandlung gibt. Dabei müssen sowohl in der Stadt als auch auf dem Land die ärmeren Bevölkerungsgruppen einen größeren Anteil ihres Einkommens für die Behandlung aufbringen als die reicheren.
Ökonomische Auswirkungen
Diabetes ist auch deshalb ein wichtiges Entwicklungsthema, weil es erhebliche ökonomische Folgen hat. In den Industriestaaten ist mehr als die Hälfte der Diabetiker über 65 Jahre alt. In Ländern des Südens sind die meisten Betroffenen zwischen 45 und 64 Jahre alt und damit Teil der produktiven Arbeitskraft. Daher verursachen die individuellen Probleme, die Folgeerkrankungen und frühzeitiger Tod mit sich bringen, darüber hinaus auch ökonomische Verluste für die Low-Income-Länder. Und diese haben das Potenzial, die Millenniumsziele zu untergraben.
Allein was vorzeitige Todesfälle angeht, schätzt die Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass zwischen 2005 und 2014 Diabetes, Herzerkrankungen und Schlaganfälle zusammen das nationale Einkommen Chinas um 555,7 Milliarden US-Dollar drücken werden. Indien verliert 336,6 Milliarden, Brasilien 49,2 Milliarden und selbst ein armes Land wie Tansania 2,4 Milliarden Dollar. Ein Großteil der Herzerkrankungen und Schlaganfälle in dieser Schätzung hing mit Diabetes zusammen.
80 Prozent der Ausgaben für die Diabetesbehandlung konzentrieren sich heute auf einige wenige reiche Länder – dabei werden bald 80 Prozent der erkrankten Menschen in Entwicklungsländern leben. 2007 wurden geschätzte 232 Milliarden US-Dollar für die Diabetesbehandlung ausgegeben, die Hälfte davon in den USA, ein weiteres Viertel (64 Milliarden) in Europa. Das andere Extrem war Indien, das als Land mit den weltweit meisten Zuckerkranken nur 0,9 Prozent der globalen Gesamtsumme ausgab; alle afrikanischen Länder brachten es zusammen nur auf 0,3 Prozent.
In den meisten westlichen Ländern wird ein Großteil der Behandlungskosten für Diabetes vom Gesundheitssystem getragen, während in armen Ländern die privaten Kosten beträchtlich sein können. In Lateinamerika etwa zahlen die Familien 40 bis 60 Prozent der Gesundheitskosten aus eigener Tasche und in einigen der ärmsten Länder müssen die Familien fast vollständig dafür aufkommen.
Handeln der Regierungen gefragt
Die Diabetesprävention fordert von den Regierungen tatkräftiges Handeln. Derzeit sieht die Entwicklung in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen schlecht aus. Aber es gibt handfeste Belege, dass das Diabetes-II-Risiko bei gefährdeten Menschen durch eine bessere Ernährung und viel körperliche Bewegung verzögert oder gar verhindert werden kann. Wenn diese Maßnahmen über das Gesundheitssystem laufen, kosten sie weniger als andere Maßnahmen, wenn sie nicht sogar Geld sparen.
Eigentlich gilt es aber viel früher anzusetzen, nämlich bei den Ursachen für schlechte Ernährung, Bewegungsmangel und andere Risikofaktoren. Hier müssen auch Verantwortliche außerhalb des Gesundheitssektors etwas ändern, zum Beispiel bei der Städteplanung, den Rauchergesetzen oder in der Lebensmittelindustrie.
Urbanisierung und Entwicklung haben zu einer Verbesserung von Gesundheit und Lebensqualität geführt. Bei armen Ländern muss allerdings darauf geachtet werden, dass sie sich auch gesund und nachhaltig entwickeln. Sie haben die Chance, aus den Fehlern anderer Länder zu lernen – etwa durch eine Stadtplanung, die körperliche Bewegung ermöglicht, und indem gesunde Ernährung propagiert wird. Eine entsprechende Planung könnte die prognostizierte Zahl der Diabeteserkrankungen in Entwicklungsländern reduzieren. Tritt allerdings das Vorhergesagte ein, so wird das eine enorme zusätzliche Bürde für die Menschen in Low-Income-Ländern. Denn dadurch wird es weitere vorzeitige Todesfälle geben, die Lebensqualität wird sinken, und es wird zu Einbußen in der ökonomischen Produktionskraft und zu höheren Gesundheitskosten führen.