Deutschland – Namibia

Schwierige Versöhnung zwischen Deutschland und Ovaherero

Deutschland tut sich noch immer schwer im Umgang mit seiner Kolonialgeschichte. Der Versuch zusammen mit der namibischen Regierung den Völkermord vom Anfang des 20. Jahrhunderts aufzuarbeiten, steckt wegen vehementer Opposition im Partnerland fest. Ein wichtiger Grund ist, dass die betroffenen Volksgruppen an den Verhandlungen gar nicht beteiligt wurden.
Angehörige der Ovaherero stehen in der namibischen Stadt Okahandja am Grab eines verstorbenen Oberhaupts. picture alliance/dpa / Jürgen Bätz Angehörige der Ovaherero stehen in der namibischen Stadt Okahandja am Grab eines verstorbenen Oberhaupts.

Mitte 2015 räumte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes ein, dass die Folgen der Kriegsführung in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika ab 1904 für die davon betroffenen Bevölkerungsgruppen der Ovaherero und Nama (aber auch der Damara und San) ein Völkermord waren. Seit Ende 2015 versuchten  Beauftragte aus Deutschland und Namibia in bilateralen Gesprächen, dem kolonialen Unrecht mehr als ein Jahrhundert später Rechnung zu tragen.

Die Verhandlungen wurden auch international mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Immerhin gab es bisher keine vergleichbaren Eingeständnisse und Initiativen ehemaliger Kolonialmächte. Ein Sonderfall sind die unterschiedlichen Gesten der Regierungen in den früheren Siedlerkolonien Neuseeland, Kanada und Australien gegenüber den Überlebenden der indigenen Bevölkerungen. Doch koloniale Fremdherrschaft führte auch anderswo zu irreversibler Zerstörung heimischer Lebensgrundlagen. So wird das deutsch-namibische Bemühen um Bearbeitung dieses Unrechts zu einem Präzedenzfall. Dies macht es zu einem Balanceakt, bei dem die deutsche Seite versucht, weitreichende Konsequenzen eines Schuldeingeständnisses zu vermeiden.

Mitte Mai 2021 stimmten die Sonderbeauftragten beider Länder nach fünfeinhalbjähriger Verhandlungsdauer in Berlin einer gemeinsamen Erklärung mit dem Titel: „Vereint im Gedenken an unsere koloniale Vergangenheit, vereint im Willen zur Versöhnung, vereint in unserer Vision für die Zukunft“ zu. Es war geplant, dass die beiden Außenminister das Dokument im Juni in Windhoek ratifizieren. Doch nicht nur die Pandemie machte dem einen Strich durch die Rechnung. Mehr noch trug der massive Widerstand in Namibia dazu bei, dass es auch ein Jahr später noch nicht rechtswirksam ist. Die jüngsten Entwicklungen deuten darauf hin, dass die namibische Seite es in dieser Form nicht mehr absegnen wird.

Deutsches Schuldbekenntnis

Dabei ist das Schuldbekenntnis eindeutig: „Die Bundesregierung erkennt an, dass die in Phasen des Kolonialkrieges verübten abscheulichen Gräueltaten in Ereignissen gipfelten, die aus heutiger Perspektive als Völkermord bezeichnet würden.“ Doch wie so oft steckt der Teufel im Detail – in diesem Fall im Verweis auf die heutige Perspektive. So „akzeptiert Deutschland eine moralische, historische und politische Verpflichtung, sich für diesen Völkermord zu entschuldigen und in der Folge die für eine Versöhnung und für den Wiederaufbau erforderlichen Mittel bereitzustellen“. Eine rechtliche Relevanz wie auch der Begriff „Reparationen“ werden damit ausdrücklich vermieden.

In einer Fragestunde im Deutschen Bundestag bekräftigte am 9. Juni 2021 der damalige Außenminister Heiko Maas: „Dieser Abschluss ist ausschließlich einer auf freiwilliger Basis. Es gibt keine Rechtsgründe, aufgrund derer diese Zahlung geleistet oder in Aussicht gestellt wird. Insofern ist es auch nicht vergleichbar mit dem Reparationsthema.“ Die Erklärung hält fest, dass „alle finanziellen Aspekte der vergangenheitsbezogenen Fragen“ damit geregelt seien. Bereits zuvor im Mai hatte Außenminister Maas vor der Presse verkündet, als „Geste der Anerkennung des unermesslichen Leids“ sollen 1,1 Milliarden Euro einen Wiederaufbau unterstützen. „Rechtliche Ansprüche auf Entschädigung“, stellte er klar, „lassen sich daraus nicht ableiten“. Insbesondere wäre es gut, sich mit Fragen der ungerechten Verteilung von Landbesitz zu befassen, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen (siehe meinen Beitrag auf www.dandc.eu).

Tropfen auf den heißen Stein

Die für hauptsächlich im Bereich ländliche Entwicklung und Infrastruktur durchaus sinnvoll verwendete Summe ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie entspricht etwa den seit Namibias Unabhängigkeit für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit bereitgestellten Mitteln. Die gemeinsame Erklärung betont, dies beabsichtigt „die Wunden der Vergangenheit zu heilen und eine dauerhafte Zukunftspartnerschaft zu gestalten“.

 Auch wenn Vergleiche bekanntlich hinken: Eine Milliarde Euro gab der amtierende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn 2021 für Corona-Schutzmasken zweifelhafter Qualität aus. Und nach dem Tsunami Ende 2004 kamen binnen eines halben Jahres an Privatspenden und offizieller humanitärer Hilfe der Regierung 1,1 Milliarden Euro zusammen. Die Baukosten des Stuttgarter Bahnhofs (S21) wurden zuletzt auf 9 Milliarden Euro veranschlagt. Der Flughafen Berlin kostete 7 Milliarden Euro. Deutsche Kritiker des angesichts solcher Größenordnungen doch eher mickrigen Betrags fragte der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für die Aufarbeitung der kolonialen Geschichte Deutschlands in Namibia, Ruprecht Polenz, was diese denn vorschlagen würden – ein neuerlicher Beweis für den kolonialen Blick. Schließlich haben nicht Deutsche das zu beantworten. Ein ernstgemeinter Versuch müsste die Frage an die Menschen Namibias richten.

Finanzielle Nachbesserungen wurden kategorisch ausgeschlossen. Das gilt wohl auch für die restlichen 50 Millionen Euro, die das Abkommen zur Verwendung auf „angemessene Wege für Erinnerung und Gedenken“ wie „für Vorhaben zur Versöhnung, Erinnerung, Forschung und Bildung“ festlegt. Demgegenüber summierte sich das zentrale Holocaust-Mahnmal in Berlin auf 28 Millionen Euro Baukosten auf einem Gelände im Wert von 40 Millionen Euro. Die jährlichen Betriebskosten des Humboldt Forums in dem für 700 Millionen Euro wiederaufgebauten Berliner Schloss werden mit 60 Millionen Euro beziffert.

Widerstand in der Bevölkerung

In der gemeinsamen Erklärung bittet Deutschland „die Nachkommen der Opfer um Entschuldigung und verneigt sich vor ihnen“. Dieser Bitte wird in der Erklärung bereits entsprochen: „Die Regierung und die Bevölkerung Namibias nehmen Deutschlands Entschuldigung an.“ Damit werde das „schmerzliche Kapitel ... abgeschlossen und eine neue Ära ... eingeleitet“. Die Bevölkerung Namibias wurde allerdings gar nicht gefragt, ob sie diese Entschuldigung akzeptiert.

Bilaterale Regierungsverhandlungen mögen Völkerverständigung dienlich und sogar Voraussetzung dafür sein. Sie sichern aber keine Verständigung zwischen Völkern. Die wichtigsten Vertretungen der Nachfahren der vom Völkermord direkt Betroffenen waren an den Verhandlungen nicht beteiligt. Auch die durch die damaligen Vertreibungen in der Diaspora lebenden Nachkommen blieben unberücksichtigt. So führte die Erklärung zu hitzigen Debatten im namibischen Parlament. Die Oppositionsparteien zeigten sich in einem ungekannten Ausmaß in der entschiedenen Ablehnung einig. Selbst führende Vertreter der regierenden SWAPO (South-West Africa People’s Organisation) wie der stellvertretende Staatspräsident und die Premierministerin räumten ein, dass es zumindest hinsichtlich der materiellen Leistungen Nachbesserungsbedarf gäbe.

Nachverhandlungen

Angesichts des vehementen Widerstands kündigte die namibische Regierung Ende November Nachverhandlungen an. Zwar wurden diese bis dahin von deutscher Seite kategorisch abgelehnt. Doch die neue Bundesregierung hält im Koalitionsvertrag fest: „Die Aussöhnung mit Namibia bleibt für uns eine unverzichtbare Aufgabe, die aus unserer historischen und moralischen Verantwortung erwächst.“ Anfang 2022 gab Berlin zu erkennen, dass der Ball in der namibischen Ecke sei. Zu Nachverhandlungen erklärte ein Regierungssprecher: „Es liegt ein Angebot von deutscher Seite auf dem Tisch, und die namibische Seite muss jetzt entscheiden, wie sie mit diesem Angebot umgehen möchte.“ Ob dies weitere Verhandlungen ermöglicht, blieb offen.

Das „Versöhnungsabkommen“ harrt zumindest vorerst weiterhin seiner Verwirklichung. Vertreter der Ovaherero und Nama, die sich durch ihre Nichtbeteiligung an den bisherigen Verhandlungen brüskiert fühlen, fordern die Bundesregierung zu direkten Gesprächen auf. Das macht die Sache nicht einfacher, denn an der namibischen Regierung vorbei geht das unter Beachtung diplomatischer Spielregeln wohl kaum. Zivilgesellschaftlichen Bemühungen um Verständnis und Verständigung steht dies hingegen nicht im Weg.


Buch zum Thema

Im März 2022 präsentierte ein Sammelband individuelle Perspektiven aus hauptsächlich deutscher Politik und Kultur sowie direkt Betroffener (auch deutschstämmiger) Menschen in Namibia. Das deutschsprachige Buch (Melber und Platt, 2022) ist ein Versuch der Annäherung an unterschiedlich wahrgenommene Geschichte in der Gegenwart. Damit soll auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass es nicht reicht, koloniale Verbrechen auf die Vergangenheit zu reduzieren.


Literatur
Melber, H., Platt, K., (Hrsg.): 2022: Koloniale Vergangenheit – postkoloniale Zukunft? Die deutsch-namibischen Beziehungen neu denken. Frankfurt/Main, Brandes & Apsel.


Henning Melber kam als Jugendlicher nach Namibia, wo er 1974 der SWAPO beitrat. Er leitete die Namibian Economic Policy Research Unit in Windhoek, war Forschungsdirektor des Nordic Africa Institute und Direktor der Dag Hammarskjöld Stiftung (beide in Uppsala), und ist Extraordinary Professor an der University of Pretoria und der University of the Free State in Bloemfontein.
henning.melber@nai.uu.se