Klimawandel
Vorhersehbare Katastrophen
Fast zwei Drittel der Fläche Bangladeschs liegen weniger als fünf Meter über dem Meeresspiegel. Das Land ist flach und niedrig gelegen und befindet sich im Delta der drei großen Flüsse Ganges, Brahmaputra und Meghna. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) sagte 2014 voraus, dass der steigende Meeresspiegel bis zum Jahr 2050 für 27 Millionen Menschen im Land zur Gefahr wird.
Bangladeschs Ministerium für Umwelt und Forst hat errechnet, dass der Meeresspiegel bis zum Jahr 2030 um 14 Zentimeter ansteigen wird, bis zum Jahr 2050 um 20 und bis 2100 um 88 Zentimeter. Man geht davon aus, dass das Land überschwemmt sein wird und die Menschen woanders leben müssen. Diese Gefahr besteht tatsächlich, wird wohl aber überschätzt, da die Überschwemmung großer Landflächen unwahrscheinlich ist (Nishat 2017, Brammer 2014). Das größere Problem wird wohl die Versalzung sein, die die Landflucht vor allem in die Hauptstadt Dhaka antreiben wird (auf der indischen Seite der Grenze sieht es ähnlich aus – siehe Kommentar von A. K. Ghosh).
Immer weniger Frischwasser
Die Frischwasserversorgung des Landes wird sich verschlechtern, da Salzwasser stromaufwärts gedrückt wird – es wird somit potenziell mehr Staunässe (überschüssiges Bodenwasser) geben. Auf diese Weise versalzen landwirtschaftliche Flächen ebenso wie unterirdische Grundwasserspeicher (Aquifer), was den Ackerbau in Küstengebieten beeinträchtigen wird (Huq und Ayers, 2007).
Der Salzgehalt nimmt nicht nur wegen Gezeitenschwankungen und dem Anstieg des Meeresspiegels zu. Auch andere Faktoren sind relevant. So hat etwa die Farrakka-Staustufe am Ganges in Indien den Süßwasser-Zufluss gedrosselt. Auch Landerosion, eine veränderte Landnutzung und der Bau von Böschungen und Deichen entlang der Küsten spielen eine Rolle.
Jedoch zeigen Klimamodelle, dass mit steigendem Meeresspiegel auch der Salzgehalt ansteigt. An den Küsten wird Süßwasser für die Menschen immer mehr zu einem raren Gut.
Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt eine tägliche Salzaufnahme von 2,0 Gramm. Der Süßwassermangel zwingt die Menschen an der Südwestküste jedoch dazu, Salzwasser zu trinken. Eine Studie (Khan et al., 2011) belegt, dass die Menschen im Bezirk Khulna in der Trockenzeit fünf bis 16 Gramm Salz täglich konsumieren. Das birgt gesundheitliche Risiken – wie etwa Bluthochdruck, Nierenversagen und Durchfall. Bei Schwangeren steigt das Risiko einer Präeklampsie, die zu schweren Kopfschmerzen, Organschäden und sogar zum Tod führen kann (Khan et al., 2014). Eine 2015 von der Weltbank beauftragte Studie belegt auch den Zusammenhang zwischen Salzwasserkonsum in der Schwangerschaft und Säuglingssterblichkeit.
Steigender Salzgehalt schädigt auch landwirtschaftliche Flächen. Felder, auf denen bislang Reis und andere Feldfrüchte wuchsen, wurden daher in Teiche für die Garnelenzucht umgewandelt. Dieser Trend zeigt sich besonders in Satkhira, einem der am stärksten von der Versalzung betroffenen Bezirke. 1975 waren noch 80 Prozent der dortigen Flächen Ackerland, 2005 nur noch 15 Prozent. Zugleich stieg die für die Garnelenzucht genutzte Fläche von zwei auf 72 Prozent.
Sozial sind solche Entwicklungen verheerend. Von der Garnelenzucht profitieren vor allem reiche Bauern. Arme Bauern und marginalisierte Gruppen sind die Verlierer. Ein Grund dafür ist, dass Garnelenzucht weniger aufwendig als Reisanbau ist – landlose Arbeiter und Farmpächter haben somit das Nachsehen. Das zwingt die Männer dazu, in den Städten Arbeit zu suchen, während die Frauen mit Kindern und älteren Menschen zurückbleiben. Durch den fehlenden Mann haben es die Frauen schwerer, wobei ihre Arbeitstätigkeit wichtiger wird. Aus den genannten Gründen gibt es aber immer weniger Jobs für sie in der Landwirtschaft.
Daten aus 14 Bezirken von 1994 bis 2010 zeigen, dass Ernteausfälle die Landflucht deutlich fördern (Gray und Mueller, 2012). In einigen Küstengebieten, wo bislang bis zu drei Mal im Jahr Reis geerntet wurde, gibt es jetzt nur noch eine Ernte – hauptsächlich wegen des steigenden Salzgehalts.
Die arme Bevölkerung ist besonders abhängig von Ökosystemleistungen (wie natürlichem Süßwasser), die durch den Klimawandel beeinträchtigt werden. So werden etwa die armen Gemeinschaften, die vom Sundarbans-Mangrovenwald leben, unter der Versalzung leiden.
Wissenschaftler untersuchten 2016 im Auftrag der Weltbank verschiedene Salzwasser-Szenarien. Sie prognostizieren, dass steigender Salzgehalt sich negativ auf 14 Mangrovenarten, besonders auf die wertvollen Sundari-Bäume, auswirkt. Die Autoren warnen davor, dass die ärmsten Unterbezirke die „größten negativen Folgen“ zu spüren bekommen. Unter anderem weil der Holzwert sinkt, die Honigproduktion abnimmt und es mehr Unfälle mit Wildtieren geben wird – auch mit Raubtieren wie Krokodilen und Tigern.
Für die Ernährungssicherheit der Menschen ist Süßwasserfisch enorm wichtig. Leider zeigen Untersuchungen, dass relevante Arten durch die Versalzung verkümmern (Gain et al., 2008). In Paikgacha, einem sehr salzigen Unterbezirk von Khulna, dezimierte sich die Süßwasserspezies zwischen 1975 und 2005 um 59 Prozent. In Rampal, einem mäßig salzigen Unterbezirk von Bagerhat, gab es einen Rückgang von lediglich 21 Prozent. Zwar wachsen zugleich die Bestände an salztoleranten Spezies leicht – den Verlust vermag das aber nicht auszugleichen. Die Proteinversorgung der Menschen verschlechtert sich somit drastisch, und die Biodiversität schwindet.
Katastrophen treffen besonders Frauen
Frauen und junge Mädchen sind von den Folgen der globalen Erwärmung besonders betroffen. Sie holen das Wasser für ihre Familien und müssen in der Trockenzeit, wenn das Süßwasser knapp wird, weite Wege gehen – manchmal laufen sie bis zu zehn Kilometer täglich. Dabei werden sie oft sexuell belästigt. Zudem verursacht die Nutzung von Salzwasser bei Frauen und Mädchen während der Menstruation gynäkologische Probleme (Islam et al., 2016).
Das IPCC prognostizierte 2014, dass Wirbelstürme und tropische Stürme allgemein stärker werden. Bangladesch hat sein Katastrophenmanagement sehr verbessert. Als der Zyklon Bhola 1970 im Delta wütete, kamen zwischen 300000 und 500000 Menschen ums Leben. 1991 forderte ein vergleichbar starker Wirbelsturm 135000 Leben. 2007 tötete Sidr mit mehr als 250 Stundenkilometern „nur“ noch 3500 Menschen. Inzwischen hat Bangladesch ein Frühwarnsystem und Schutzräume, dank derer die Menschen heute erheblich besser vorbereitet sind.
Dennoch verursachen Wirbelstürme enorme Schäden. Sie zerstören die Infrastruktur, verunreinigen Süßwasserressourcen und verschärfen so das Problem der Versalzung. Extremwetterereignisse, wie etwa Wirbelstürme, treffen Frauen stärker als Männer. Bisher waren 90 Prozent der Todesopfer durch Wirbelstürme weiblich. Auch als 2007 der Sidr wütete, waren unter den Opfern immer noch mehr als 83 Prozent Frauen (Weltbank 2013). Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie sich nicht nur um sich selbst, sondern auch um Kinder, ältere Menschen, Kranke und um die Viehbestände kümmern. Studien zeigten, dass viele Frauen damals nicht durch das Frühwarnsystem alarmiert wurden.
Extreme Wetterereignisse vertreiben die Menschen aus ihrer Heimat – und die Zahl der Betroffenen dürfte steigen. Zyklon Sidr zwang 2007 fast 650000 Menschen zur Umsiedlung. Zwei Jahre später vertrieb der etwas schwächere Wirbelsturm Bijli fast 200000 Menschen. Oft sind das temporäre Phänomene. Die Zerstörung des Ackerlandes ist hingegen dauerhaft.
So oder so ziehen täglich rund 2000 weitere Menschen vor allem von der Küste in das Ballungsgebiet Dhaka, das schon heute zu einem der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt zählt. Viele von ihnen hoffen, der ländlichen Armut zu entfliehen. Tatsächlich finden sie sich meist in Slums wieder und arbeiten im informellen Sektor. Der Klimawandel wird das Städtewachstum weiter verstärken.
Feisal Rahman ist Assistent Professor in der Abteilung Umweltwissenschaften der Independent University, Bangladesh (IUB). Er koordiniert außerdem das Forschungsprogramm am Internationalen Zentrum für Klimawandel und Entwicklung (ICCCAD). Das ICCCAD ist ein Forschungszentrum in Dhaka.
mf2rahma@iub.edu.bd
Quellen
Brammer, H., 2014: Bangladesh’s dynamic coastal regions and sea-level rise. Climate Risk Management. Vol. 1, page 51-62.
http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S221209631300003X
Gain, A.K., et al, 2008: Impact of river salinity on fish diversity in the South-West coast region of Bangladesh.
https://www.researchgate.net/profile/Animesh_Gain2/publication/264713433_Impact_of_River_Salinity_on_Fish_Diversity_in_the_South-West_Coastal_Region_of_Bangladesh/links/53ec80890cf250c8947cbe8e.pdf
Gray, C., and Mueller, V., 2012: Natural disasters and population mobility in Bangladesh.
http://www.pnas.org/content/109/16/6000.full.pdf
Huq, S., and Ayers, J., 2007: Climate change impacts and responses in Bangladesh.
http://www.pedz.uni-mannheim.de/daten/edz-ma/ep/08/EST19195.pdf
Islam, M.S., et al, 2016: Gender and water poverty.
http://genderandwater.org/en/bangladesh/gwapb-products/knowledge-development/research-report/gender-and-water-poverty-salinity-in-rampal-and-saronkhola-bagerhat
IPCC, 2014: Assessment Report, Chapter on livelihoods and poverty.
http://www.ipcc.ch/pdf/assessment-report/ar5/wg2/WGIIAR5-Chap13_FINAL.pdf
Khan et al, 2011: Drinking water salinity and maternal health in coastal Bangladesh: implications of climate change.
https://ehp.niehs.nih.gov/1002804/
Khan, A.E., et al, 2014: Salinity in drinking water and the risk of (pre)eclampsia and gestational hypertension in coastal Bangladesh.
http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0108715
Nishat, A., 2017: Projections of 17pc coastal inundation not factual.
http://en.prothom-alo.com/environment/news/139829/Projection-of-17pc-coastal-inundation-not-factual
World Bank, 2013: Improving women’s odds in disasters.
http://www.worldbank.org/en/news/feature/2013/12/12/improving-women-disasters
World Bank, 2015: Drinking water salinity and infant mortality in coastal Bangladesh.
http://elibrary.worldbank.org/doi/abs/10.1596/1813-9450-7200
World Bank, 2016: Impact of climate change and aquatic salinisation on mangrove species and poor communities in the Bangladesh Sundarbans.
http://documents.worldbank.org/curated/en/452761467210045879/pdf/WPS7736.pdf