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Gesundheit

Kostenlose Versorgung für extrem Arme

In Kambodscha ist rund jeder fünfte Mensch extrem arm. Arztrechnungen sind für sie unerschwinglich, und schon den Weg zum Krankenhaus können viele nicht bezahlen. Für beides kommt ein Gesundheitsfonds auf, der zum großen Teil von Kambodscha selbst finanziert wird.
Patientenaufnahme in einem Distriktkrankenhaus. Bliss Patientenaufnahme in einem Distriktkrankenhaus.

Der kambodschanische Gesundheitsfonds für Arme (Health Equity Fund – HEF) ermöglicht rund 3 Millionen als extrem arm eingestuften Menschen – rund einem Fünftel der Bevölkerung – eine kostenfreie Gesundheitsversorgung. Die Voraussetzung für diese Versorgung, der sogenannte ID-Poor-Status, wird im Rahmen eines umfassenden Identifizierungsverfahrens vergeben. Damit will der Staat erreichen, dass deutlich weniger Haushalte als bisher durch Gesundheitsausgaben in noch tiefere Armut getrieben werden.

Die Wirkungen des Fonds, der in modifizierter Form seit dem Jahr 2000 besteht, sind positiv, wie eine Studie des Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen ergab: Einerseits suchen nun sehr viele Kambodschaner, die sich zuvor gar keine medizinische Versorgung leisten konnten, die staatlichen Gesundheitseinrichtungen auf. Andererseits sind die dort angebotenen Leistungen in den letzten Jahren deutlich verbessert worden. Das liegt auch daran, dass ein Teil der Zahlungen aus dem HEF (60 Prozent der an die Einrichtungen gehenden Gebühren) als Boni an das Personal ausgezahlt wird. Die Gehälter können sich dadurch – je nach Einrichtung und Fallzahlen – um bis zu ein Drittel erhöhen, was die Motivation erheblich steigert.

Werdende Mütter und Frauen mit Kleinkindern profitieren in besonderem Maße vom HEF: von der Schwangerenbetreuung und kostenfreien Geburten in qualifizierten Gesundheitseinrichtungen bis zu einer umfassenden Nachbetreuung, die auch Ernährungsberatung umfasst und damit das Problem weit verbreiteter Mangelernährung in Kambodscha gerade bei Kindern angeht (siehe meinen Beitrag in E+Z/D+C e-Paper 2018/05, S. 21). Zudem kann dadurch die Müttersterblichkeit reduziert und die Mangelernährung generell bekämpft werden.

Vor Einführung des HEF herrschte bei der medizinischen Versorgung in Kambodscha ein erhebliches Maß an Willkür. Einem Bericht des Netzwerks Medicus Mundi aus der Schweiz zufolge verdiente das Gesundheitspersonal lediglich zehn bis 20 Dollar im Monat, womit es die Lebenshaltungskosten in keiner Weise decken konnte. So musste das Einkommen „unter der Hand“ aufgebessert werden. Entsprechend hing die Motivation des Personals – und damit auch die Qualität der Leistungen – in den staatlichen Einrichtungen oftmals von der Höhe der „freiwilligen“ finanziellen Beiträge der Patienten ab. Wer dieses Geld nicht aufbringen konnte, bekam vom Staat keine oder nur eine sehr schlechte medizinische Versorgung.

Andererseits gab und gibt es in Kambodscha viele private Gesundheitseinrichtungen, die vielerorts besser erreichbar sind als staatliche Kliniken. Im ländlichen Raum gewährleisten sie allerdings lediglich eine Versorgung bei kleinen Verletzungen und leichteren Krankheiten. In den urbanen Zentren steht hingegen durchaus qualifiziertes Personal zur Verfügung, jedoch sind die Kosten für arme Haushalte hier kaum zu bezahlen. Eine Ausnahme bilden lediglich die Kinderkliniken, die auf Initiative des kürzlich verstorbenen Schweizer Kinderarztes Beat Richner zurückgehen und kos­tenlose Behandlungen anbieten.


Leistungen für Arme

Seit einigen Jahren steht das HEF-Angebot für Arme flächendeckend zur Verfügung, und seitdem hat sich die Situation grundlegend verbessert. Der Fonds ist Kernbestandteil eines größeren Programms, des Cambodia Health Equity and Quality Improvement Project (H-EQIP), für das für fünf Jahre bis 2021 insgesamt 174,2 Millionen Dollar vorgesehen sind. Größter Geldgeber ist schon jetzt der kambodschanische Staat, und ab 2021 soll er es komplett selbst finanzieren. Deutschland ist bis dahin ebenfalls mit einem Zuschussanteil beteiligt.

Ziel ist, sowohl die Zahl der Gesundheitszentren zu erhöhen, als auch die Qualität ihrer Leistungen deutlich zu verbessern und ihre Nutzung durch arme Menschen, die im Rahmen des HEF gefördert werden, signifikant zu steigern. Die Aufwendungen für diese Patienten bekommen die Gesundheitszentren, die staatlichen Distrikt- und Provinzhospitäler sowie ein Spezialkrankenhaus in Phnom Penh nach einem festgelegten Schlüssel erstattet. Letzteres behandelt besonders schwere Fälle, die von den „normalen“ Krankenhäusern in der Hauptstadt und aus den Provinzen überwiesen werden.

Bedürftige, die den ID-Poor-Status (noch) nicht haben, weil sie während der Einstufungsrunde, die alle drei Jahre stattfindet, abwesend waren oder erst kürzlich in Armut geraten sind, können im Rahmen eines speziellen Aufnahmeverfahrens in den staatlichen Krankenhäusern ebenfalls kostenfreie Leistungen erhalten. Diese Möglichkeit soll künftig in das ID-Poor-Verfahren selbst integriert werden.

Die Erstattungsbeträge, die die Gesundheitseinrichtungen für HEF-geförderte Patienten erhalten, sind niedrig, aber stets an der Obergrenze der Tarife, die in den staatlichen Einrichtungen für selbstzahlende Patienten festgelegt sind. Die Leistungen werden einzeln abgerechnet, die Rechnungen monatlich einer Prüfstelle in Phnom Penh vorgelegt und dann von dieser zur Zahlung freigegeben. Damit das System funktioniert, ist es wichtig, dass 60 Prozent der Rechnungsbeträge an den HEF ebenso wie von den Einnahmen der selbstzahlenden Patienten an das Personal der Gesundheitseinrichtungen gehen. Der Rest wird überwiegend für den Unterhalt und Betrieb der Einrichtungen verwendet und ergänzt die eher knapp bemessenen staatlichen Zuweisungen.


Motivation durch Boni

Für arme Menschen in abgelegenen Gebieten kann schon der Transport zum Krankenhaus unerschwinglich sein. Daher werden aus dem HEF auch Anreisekosten bezahlt, und Begleitpersonen, die sich um die Kranken kümmern, können ein Tagegeld erhalten. In der Folge hat die Zahl HEF-geförderter Patienten vor allem in den Distrikt- und Provinzhospitälern sehr stark zugenommen.

Durch H-EQIP und vor allem den HEF haben sich die Ausstattung der Einrichtungen, die Qualität der angebotenen Leistungen sowie die Motivation des Gesundheitspersonals deutlich verbessert – wobei allerdings noch deutlich Luft nach oben ist. Die Motivationssteigerung der Mitarbeiter durch Boni-Direktzahlungen ist besonders relevant. In einzelnen Krankenhäusern betragen diese Boni 50 bis 100 Dollar im Monat und machen damit oft mehr als ein Drittel der staatlichen Gehälter aus. Krankenpfleger in manchen Gesundheitszentren kommen hingegen nur auf fünf Dollar Zusatzeinkommen bei einem Basiseinkommen von 150 Dollar im Monat. Positiv ist auch die Tatsache, dass die Boni vom Putzpersonal bis zum Direktor relativ egalitär verteilt werden und so auch kleine Einkommen substantiell aufbessern.

Der HEF zeigt, dass auch ein Land wie Kambodscha, das an der untersten Grenze des Status „mittleres Einkommen“ angesiedelt ist, ein soziales Sicherungssystem aufbauen und finanzieren kann. Allerdings müsste nach Möglichkeiten gesucht werden, auch vulnerable Bevölkerungsgruppen zu fördern. Zusammen mit den armen ist das mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Besonders dringend ist das für die „near poor“, die knapp oberhalb der Armutsgrenze lebenden Haushalte und Einzelpersonen.


Literatur

Bliss, F., Hennecke, R., 2018: Wer sind die Ärmsten im Dorf? Mit dem ID-Poor-Ansatz werden die Armen in Kambodscha partizipativ und transparent identifiziert. AVE-Studie 9/2018. Institut für Entwicklung und Frieden (INEF), Universität Duisburg-Essen.
https://inef.uni-due.de/media/ave_09_wer_sind_die_aermsten_im_dorf.pdf

Bliss, F., 2018: Gesundheitsfürsorge für die Ärmsten: Der „Health Equity Fund“ (HEF) in Kambodscha. (Health care for the poorest – the HEF in Cabodia) Institut für Entwicklung und Frieden (INEF), Universität Duisburg-Essen.


Frank Bliss ist Professor für Ethnologie an der Universität Hamburg und freier entwicklungspolitischer Gutachter.
bliss.gaesing@t-online.de