Wirksamkeit
Die Armut an der Wurzel packen
[ Von Françoise Moreau ]
In der Dezember-Ausgabe von E+Z hinterfragte Volker Seitz die Wirksamkeit deutscher und europäischer Entwicklungshilfe für Afrika mit dem Argument, dass „die viele Hilfe der letzten fünfzig Jahre tatsächlich wenig an der Misere in Afrika geändert“ habe.
Die Realität ist nicht so düster, wie Seitz sie darstellt. Trotz des Aufruhrs in vielen Gegenden südlich der Sahara wurden Erfolge erzielt. Obwohl sie eine schlechtere Startposition als andere Entwicklungsländer hatten, haben dort viele Staaten große Fortschritte bei den Millenniumszielen (MDGs) gemacht, etwa was die Anzahl der Kinder, die zur Grundschule gehen, und eine verringerte Kindersterblichkeit betrifft. „Die Lage in Afrika südlich der Sahara wird sich nicht verbessern, solange die Afrikaner sich nicht selbst um ihre Zukunft kümmern“, schreibt Seitz. Doch so schüttet man das Kind mit dem Bade aus. „Die afrikanische Bevölkerung kann sich nur selbst helfen“ – zweifellos stimmt das, aber Europa und andere Geber können eine wichtige Hilfestellung leisten und tun dies auch.
Das Beharren auf Eigenverantwortung der Partnerländer für ihren Entwicklungsprozess ist seit Jahren ein Grundprinzip der EU-Kooperationspolitik; Partnerländer sowie lokale und zivilgesellschaftliche Akteure spielen eine Führungsrolle beim Setzen ihrer Prioritäten. Senegal, Ghana und Mosambik – Beispiele aus dem franko-, anglo- und lusophonen Afrika – haben ihre Politik in enger Kooperation mit mehreren Gebern entworfen und umgesetzt. Auf Basis dieser Programme können Geber gemeinsame Hilfsstrategien und -gelder bereitstellen, die sie dann den Regierungen in Form von Budgethilfe gewähren. Diese Länder haben klare Fortschritte gemacht, und die Hilfe hat sie dabei unterstützt.
In „fragilen Staaten“ mit Konflikten und Gewalt trifft der Ruf nach Eigenverantwortung jedoch auf eine Vielzahl von Problemen. In diesen Ländern funktioniert der Staat oft nicht, und Behörden sind unwillig oder unfähig, Verantwortung für die Bürger zu übernehmen. Südlich der Sahara gibt es etwa 30 fragile Staaten, deren Schwachheit einer Entwicklung im Wege steht.
Die größten Herausforderungen
Auch wenn nur 15 Prozent der Bevölkerung von Entwicklungsländern in „fragilen Staaten“ leben, stellen sie doch ein Drittel aller Armen und die Hälfte aller Kinder, die vor ihrem fünften Geburtstag sterben. Deshalb ist der erste Europäische Entwicklungsbericht (ERD) – kürzlich in Stockholm und Brüssel vorgestellt – fragiler Staatlichkeit in Afrika und dem Staatsaufbau gewidmet.
Die Gründe für die Fragilität sind so komplex und verschieden wie die Länder, die davon betroffen sind. Viele Faktoren liegen dem Übel zugrunde, darunter historische Erblasten wie Kolonialismus, Konflikte, ethnische Spannungen, schlechte Regierungsführung, schwache Institutionen, die Fixierung auf die Ausbeutung natürlicher Ressourcen, kleine Volkswirtschaften und vieles mehr.
Während viele Wege eine Gesellschaft in die Fragilität führen können, ist der Weg zum Staatsaufbau lang und schwer. Das zeigt sich an der Tatsache, dass 35 Länder, die von der Weltbank 1979 als „fragil“ eingestuft wurden, auch 2009 – 30 Jahre später – immer noch schwach sind.
Doch was kann man tun, um Länder aus der Fragilität herauszuführen? Der ERD bietet keine einfachen und schnellen Rezepte. Das liegt daran, dass jeder fragile Staat spezifisch in seiner sozioökonomischen Realität und der Art seiner Schwächen ist. Der ERD steckt daher eher einen Rahmen für die EU ab, mithilfe dessen sie ihr Engagement in den schwachen Staaten südlich der Sahara überdenken kann.
Angola und Simbabwe stehen beide auf der OECD-Liste 2009 der fragilen Länder, aber sie sind sehr unterschiedlich. Angola hat eine geringe Alphabetisierungsquote und eine hohe Kindersterblichkeitsrate, obwohl dort formell seit 2002 Frieden herrscht und die Wirtschaft jahrelang zweistellige Wachstumsraten dank des Anstiegs von Rohstoffpreisen aufwies. Im Gegensatz dazu ist Simbabwes Wirtschaft geschrumpft, doch gehören die Einwohner zu den lese- und schreibkundigsten südlich der Sahara, und die Kindersterblichkeit ist relativ gering.
Diese Beispiele zeigen, dass es kein Handlungsmuster im Sinne von einer Standardstrategie, die in jedem Fall passen würde, geben kann. Wie der ERD betont, sollte die EU „allgemeine Strategien (entwerfen), um spezifische Probleme in spezifischen Kontexten anzugehen“.
Tatsache ist, dass die EU nicht unvorbereitet auf den Umgang mit Fragilität ist. Diese Frage steht schon seit Jahren auf der Agenda der Union. So hat Belgiens EU-Präsidentschaft „fragile Staaten“ 2001 zur Priorität erklärt. 2005 identifizierte der Europäische Entwicklungskonsens „staatliche Fragilität“ als eine der wichtigsten Herausforderungen der Entwicklungspolitik. Der Konsens skizzierte einen EU-Ansatz, der auf Regierungsreformen, Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung, Institutionsaufbau und Kapazitätsentwicklung basiert. Der ERD baut auf diesem Ansatz auf.
Engagement auf vielen Ebenen
Laut Bericht hat die EU eine Reihe komparativer Vorteile, wenn es darum geht, fragilen afrikanischen Partnern beim Staatsaufbau zu helfen. Fragilität erfordert vielfältige Reaktionen und betrifft diverse Handlungsfelder. Die Union agiert mit der ganzen Bandbreite der Politikfelder – von Sicherheit über Handel und Landwirtschaft bis hin zu Klima und Energie – und nicht nur mit denen, die sich eng auf „Entwicklung“ beziehen. Eine weitere Stärke der EU besteht darin, dass sie nicht nur mit Regierungen kooperiert, sondern auch mit anderen Akteuren – von Basisinitiativen bis hin zu länderübergreifenden Organisationen. Die kürzlich etablierte Partnerschaft der EU mit der Afrikanischen Union ist hierfür ein gutes Beispiel.
Während drängende Probleme und Krisen nicht übersehen werden dürfen, müssen Bemühungen und Aktivitäten langfristig und strategisch orientiert sein, da die Herausforderungen fragiler Staaten zumeist strukturell bedingt sind und deshalb ein stabiles und anhaltendes Engagement erfordern.
Neben dieser Langfristigkeit identifiziert der ERD vier weitere Prioritäten für das EU-Engagement:
– Human- und Sozialkapital weiterentwickeln;
– Staatsaufbau und sozialen Zusammenhalt unterstützen;
– Regierungsführung auf regionaler Ebene (inklusive regionale Integration) fördern; und
– Sicherheit verstärken.
Um eine Abhängigkeitskultur zu vermeiden sowie echte Nachhaltigkeit und Verantwortlichkeit zu fördern, müssen ungenutzte Ressourcen in den Ländern besser verwertet werden, indem eine heimische Steuerbasis und stabile Finanzinstitute vor Ort aufgebaut werden. Sozialer Zusammenhalt sowie Glaubwürdigkeit und Rechenschaftspflicht des Staates sind wichtige Faktoren. Teil des Prozesses muss der bessere Einsatz lokalen Wissens durch formelle und informelle Institutionen sein, darunter auch der existierender Mechanismen zur Konfliktvermeidung.
Die EU kann zwar viel tun, um die Entwicklung in fragilen Staaten zu fördern und den Aufbau in Entwicklungsländern zu stärken. Doch letztlich muss man anerkennen, dass ihre Rolle eine unterstützende ist und dass eine wahrhaft nachhaltige Entwicklung vor Ort beginnt und endet.