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Europa

Gespaltener Kontinent

Der Aufstieg der Rechtspopulisten bringt Europa aus der Balance. Insbesondere in der Migrations-, Integrations- und Asylpolitik ist ihr Einfluss bereits sehr sichtbar. Aufgrund ihrer Propaganda werden in vielen europäischen Ländern neuerdings politische Errungenschaften wie Religionsfreiheit, Freizügigkeit für EU-Bürger und das Asylrecht grundsätzlich in Frage gestellt.
Selbstverliebt: Gerd Wilders, Marine Le Pen und Frauke Petry in Koblenz im Januar. picture-alliance/AP Photo Selbstverliebt: Gerd Wilders, Marine Le Pen und Frauke Petry in Koblenz im Januar.

Die Wahlerfolg von Donald Trump in den USA ermutigt Rechtspopulisten in Europa. Marine Le Pen, die Chefin des französischen Front National, sandte Trump nach dessen Überraschungssieg ihre Glückwünsche. Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders twitterte: „Die Amerikaner holen sich ihr Land zurück.“ Und ausgerechnet der Brite Nigel Farage, der Anführer der rechtspopulistischen „United Kingdom Independence Party“ (UKIP), war der erste europäische Politiker, der dem US-Millionär nach dessen Wahlsieg im Trump Tower in New York seine persönliche Aufwartung machte.

Während des Wahlkampfs hatte Fa­rage Trump unterstützt. Im Gegenzug hatte er sich von Trump als „Mann hinter dem Brexit“ feiern lassen, denn UKIP war eine treibende Kraft hinter den EU-Gegnern auf der Insel. Das Votum der Briten für den Austritt aus der EU sah Trump als Bestätigung für seinen Kurs. Für die EU und das britische Königreich bedeutet das Referendum indessen eine existenzielle Krise, denn wie die Scheidung nach fast fünf Jahrzehnten gemeinsamer Politik funktionieren soll, weiß niemand – und UKIP trägt keine Verantwortung.

Derzeit erleben rechte Parteien in Europa einen Aufschwung, der seit dem Zweiten Weltkrieg einmalig ist. Ihr Aufstieg ist Ausdruck einer Verunsicherung in breiten Teilen der europäischen Gesellschaften, in denen sich viele – vor allem ältere – Menschen vor Globalisierung, Migration, europäischer Integration und einer zunehmenden Individualisierung und Pluralisierung der Lebensstile fürchten. Sie fühlen sich als Spielball internationaler Politik und haben subjektiv den Eindruck, jegliche Kontrolle über ihr Leben und die Politik ihres Landes verloren zu haben, obwohl sie in wirtschaftlich starken Demokratien leben (siehe Box).

Die Antwort der Rechtsnationalisten auf diese Verunsicherung ist simpel: Sie schlagen neo-nationalistische Töne an. Sie kritisieren nicht nur multilaterale Abkommen, sondern auch die EU und Ansätze einer humanitären Flüchtlingspolitik. Zudem eint sie das Eintreten für ein eher traditionelles Familienbild und eine nationale, oft christlich geprägte „Leitkultur“. Sie fordern eine harte Hand gegenüber Einwanderern, Geflüchteten und Muslimen oder, in Osteuropa, gegen Roma. Sie wollen ein striktes Asyl- und Einwanderungsrecht sowie ein entschiedenes Vorgehen gegen Terrorgefahren. Dabei sehen sie die Präsenz von Muslimen per se als Anschlagsrisiko. Eine beliebte Taktik, Ressentiments zu schüren, ist, auf den angeblichen „Missbrauch“ von Sozialleistungen durch Einwanderer hinzuweisen.

Zwei Ziele haben fast alle rechtspopulistischen Parteien in Europa gemein:

  • Sie wollen Einwanderung insgesamt – vor allem aber die von Muslimen – reduzieren, wenn nicht sogar rückgängig machen.
  • Sie wollen, dass Minderheiten möglichst unsichtbar werden, indem beispielsweise Kopftücher, Moscheen und alles allzu „Fremde“ aus dem Blickfeld verschwinden.

Dahinter steckt die Sehnsucht, alles möge so übersichtlich und kulturell homogen bleiben, wie es in der nostalgisch verklärten Erinnerung früher einmal gewesen sein soll. Diese Illusion wird als Lösung für heutige Probleme präsentiert.

Dabei gibt es durchaus Unterschiede. Während sich die Rechtsparteien in Westeuropa eher moderat geben und diffus von „unüberbrückbaren kulturellen Unterschieden“ reden, geben sich Rechtspopulisten in Osteuropa zum Teil unverhohlen völkisch-rassistisch. Niederländische Rechtspopulisten finden beispielsweise, Homosexuelle und Frauen müssten vor konservativ-patriarchalen muslimischen Vorstellungen geschützt werden. Wilders stimmte im Parlament sogar für die Homo-Ehe. Dagegen treten die meisten europäischen Rechtsparteien aber gegen die Gleichstellung von Homosexuellen ein.

Die rechts-klerikal orientierte polnische Regierung sieht sogar eine „Gender-Verschwörung“ am Werk und wollte das ohnehin schon sehr restriktive Abtreibungsrecht weiter einschränken. Erst nach heftigen Protesten polnischer Frauen zog sie den Plan zurück. Und während Le Pen behauptet, den französische Laizismus, also die Trennung von Staat und Religion, gegen eine angeblich drohende „Islamisierung“ zu verteidigen, geben die populistischen Regierungen von Ungarn und Polen vor, ein irgendwie christlich grundiertes Abendland gegen den Islam zu verteidigen.

Auch in ökonomischen Fragen gehen die Meinungen auseinander. Der französische Front National tritt für wirtschaftlichen Protektionismus und einen starken Sozialstaat ein. Auch Skandinaviens Rechtspopulisten versprechen, den traditionellen Wohlfahrtsstaat zu schützen – vor allem vor Einwanderern, denen sie unterstellen, Sozialleistungen zu erschleichen. Die Schweizerische Volkspartei und die deutsche AfD vertreten dagegen eine eher marktradikale Linie. Manche Parteien wollen wieder zu Grenzkontrollen oder sogar zu einer eigenen Währung zurückkehren, andere gehen nicht so weit. Wilders und Le Pen haben jedenfalls Referenden über die EU-Mitgliedschaft ihrer Länder in Aussicht gestellt.

Die Unterschiede hindern die Rechtspopulisten aber nicht daran, zusammenzuarbeiten. Im Europaparlament bilden Wilders’ „Freiheitspartei“, die FPÖ, Italiens „Lega Nord“ und der Front National eine gemeinsame Fraktion. Und als Le Pen offiziell zur Kandidatin für die Präsidentschaftswahl gekürt wurde, reisten Wilders und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zum Parteitag nach Lyon. Strache legte dort mit der, wie er sagte, „zukünftigen Präsidentin“ Frankreichs ein Tänzchen aufs Parkett.

In Italien werden die etablierten Parteien von zwei Seiten eingekeilt: auf der einen Seite von der rechtspopulistischen Lega Nord unter Matteo Salvini, die im reichen Norditalien ihre Hochburgen hat, auf der anderen Seite von der „5-Sterne-Bewegung“ des Berufskomikers Beppe Grillo, die bereits in den Metropolen Rom und Turin Bürgermeisterinnen stellt. Gemeinsam mit der Forza Italia von Silvio Berlusconi, der lange Zeit als Prototyp des europäischen Populisten galt, brachten sie im Dezember 2016 die geplante Verfassungsreform von Premier Matteo Renzi zu Fall.

In anderen EU-Krisenländern Südeuropas reüssierten aufgrund der schwierigen Wirtschaftslage zuletzt neue Links-Parteien. In Griechenland regiert die linke Partei Syriza, die aber nun die harten Spar­auflagen der EU umsetzen muss. In Spanien macht das Linksbündnis „Podemos“ den etablierten Parteien das Leben schwer. Manchmal werden diese neuen Organisationen als Linkspopulisten bezeichnet. Ihre politischen Programme sind aber im Vergleich mit den Rechtspopulisten pragmatisch und realisierbar. Im Kern wollen sie keynesianische Wirtschafts- und Umverteilungspolitik betreiben, wie sie in den 1960er und 1970er Jahren in ganz Westeuropa als normal galt.

Der Aufstieg der Rechtspopulisten hat gravierende Konsequenzen für die traditionelle Machtarithmetik der Nachkriegszeit. Die war in den meist Ländern Westeuropas von einem Wechselspiel zwischen Sozialdemokraten und Konservativen, zwischen Mitte-links- und Mitte-rechts-Bündnissen geprägt. Das Aufkommen einer dritten starken Kraft droht diese Balance zu zerstören und das gesamte Spektrum nach rechts zu verschieben. Obendrein hat sie das Potenzial, die EU zu zerreißen.

In vielen Ländern bewegen sich die Rechtspopulisten längst auf Augenhöhe mit den klassischen Volksparteien, wenn sie dort nicht sogar schon die stärkste Kraft sind. Manche Politologen betrachten sie deshalb schon als „dritte Volkspartei“, weil ihre Sogkraft in alle Wählerschichten hineinreicht. Männer mit niedrigem Bildungsgrad machen zwar immer noch einen großen Teil ihrer Wählerschaft aus. Aber viele ihrer Anhänger sind auch Unternehmer oder andere „Leistungsträger“. 

In Schweden halten die etablierten Parteien noch gegen die Rechtspopulisten zusammen; dort regiert eine rot-grüne Koalition. Und in Belgien hat der „cordon sanitaire“ (Sperrgürtel) der bürgerlichen Kräfte sogar dazu beigetragen, dass der rechtspopulistische „Vlaams Belang“ zuletzt an Zuspruch verloren hat. Im europäischen Kontext wirkt Deutschland, mit seiner erst jungen und noch marginalen rechtspopulistischen Kraft, wie eine Insel der Stabilität und Liberalität.


Daniel Bax ist Journalist und Autor. Er lebt in Berlin, Deutschland. Sein Buch „Angst ums Abendland“ kritisiert Islamfeindlichkeit und erschien 2015 im Westendverlag.
dbax@gmx.de

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