Kommentar

Folgen des arabischen Frühlings

Die arabische Demokratiebewegung strahlt auf die palästi­nensischen Gebiete aus: Am 4. Mai unterzeichneten Fatah und Hamas mit anderen palästinensischen Organisationen in Kairo ein Versöhnungsabkommen.


Von Joachim Paul

Das „ägyptische Papier“ sieht die schrittweise Zusammenführung der beiden Palästinensischen Autonomie­behörden (PA) sowie eine Reform der Pa­lästinensischen Befreiungsorganisationen (PLO) vor. Wahlvorbereitungen für den Legislativrat und das Präsidentenamt der PA, und Reformen der Sicherheitsdienste in Westjordanland und im Gazastreifen sollen gemeinsam durchgeführt werden. Eine politisch unabhängige Autonomieregierung soll in einer einjährigen Übergangsphase die PA verwalten und die finanzielle Unterstützung internationaler Geber sichern.

Legitimation und Mandat von PA und PLO werden dabei klar getrennt. Kurzfristig geht es um die administrative Zusammenführung von Westjordanland und ­Gazastreifen, langfristig um eine Wiederbelebung der PLO als politischer Vertretung aller Palästinenser. Mahmud Abbas wahrt damit als PLO-Vorsitzender seine Aufgabe, eine Verhandlungslösung mit Israel herbeizuführen. Hamas könnte durch eine mögliche Repräsentanz in PLO-Gremien mehr formalen politischen Einfluss gewinnen.

Fatah und Hamas spiegeln die politischen Machtverhältnisse der arabischen Welt vor 2011 wider; erst durch deren Erschütterung konnten sie sich einander annähern. Der ehemalige Chef des ägyptischen General Intelligence Directorate, Omar Sulaiman, hatte schon lange vor dem Sieg der Hamas in den Parlamentswahlen 2006 und dem folgenden Sicherheitschaos zwischen den palästinensischen Fraktionen zu vermitteln versucht. Mehr als die 2005 beschlossene vorläufige Aussetzung der bewaffneten Intifada gegen die israelische Besatzung erreichte er aber nicht.

Ägyptens Post-Mubarak-Regierung hat nun die Grenzöffnung zum Gazastreifen und eine kritische Neuinterpretationen des Camp-David-Abkommens mit Israel angekündigt. Ägypten wird künftig offenbar weniger US-amerikanische Interessen berücksichtigen und im Umgang mit Israel und den Palästinensern mehr eigene Akzente setzen. Nabil al-Arabi hat als ägyptischer Außenminister die Palästinapolitik an sich gezogen, die vorher dem Geheimdienst oblag. Mittlerweile wurde er zum Vorsitzenden der Arabischen Liga gewählt.

Hamas konnte das Abkommen nicht mehr ablehnen. Der arabische Frühling setzt sie unter Druck – im Gazastreifen ebenso wie in Damaskus. In Syrien muss sich Hamas nach der brutalen Unterdrückung der Aufstände durch die staatlichen Sicherheitskräfte neu positionieren. Bisher konnte die Bewegung das Bündnis mit dem Assad-Regime durch dessen Politik der Ablehnung Israels ideologisch rechtfertigen. Nach einer ersten Pro-Assad-Erklärung scheint dieser politische Spielraum jedoch aufgebraucht. Im Gazastreifen zeigten palästinensische Demonstranten am 15. März, dass sich der arabische Frühling auf die palästinensischen Gebiete ausdehnen kann. Nach intensiven Facebook-Diskussionen forderten zehntausende Palästinenser nun ein Ende „der Spaltung“ statt wie zuvor „der Besatzung“.

Die Fatah konnte das Abkommen ebenfalls nicht mehr ablehnen. Sie leidet seit einiger Zeit unter Legitimitätsverlust. 20 Jahre nachdem in Madrid der Friedensprozess mit Israel begann, hat der palästinensische Präsident wenig vorzuweisen, was in den Augen seines Volkes weitere Verhandlungen mit Israel rechtfertigen würde. Die ­palästinensische Einheit wird die Chancen auf Anerkennung eines palästinensischen Staates durch eine große Mehrheit in der UN-Vollversammlung erhöhen.

Eine von Hamas und Fatah gestützte Regierung unabhängiger Technokraten kann kaum in der vorgesehenen Zeit ihre Ziele erreichen. Dennoch ist sie ein erster Schritt zur Einigung politischer Institutionen der gespaltenen PA und somit zu einem Wiedereinstieg in den Demokratisierungsprozess.

Europäische Politik kann diesen Prozess unterstützen und so die Bedingungen für eine Durchsetzung palästinensischer Eigenstaatlichkeit und damit der Zweistaatenregelung verbessern. Das wäre auch ein Zeichen für einen Neuanfang der Beziehungen mit Ägypten. Ein unabhängiges Ägypten, das den neuen nationalen und regionalen Stimmungen entspricht und sich positioniert, ohne den Friedensvertrag mit Israel in Frage zu stellen, wäre in europäischem Interesse.

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