Repression
Loyalitätsbekundung
In arabischen Ländern wird öffentlichen Statements meist misstraut. Das ist eine Folge jahrzehntelanger autoritärer Herrschaft. Gerüchte prägen das Leben. In Ägypten wird die neue Verfassung daran nichts ändern. Die Regierung sagt zwar, sie werde zur Demokratie führen. Das ist aber unglaubwürdig.
Staatliche Stellen dürfen natürlich bei einem Verfassungsreferendum für Zustimmung werben, aber sie dürfen nicht – wie geschehen – den Wahlkampf der Opposition unterbinden. Gegner wurden reihenweise festgenommen und Oppositionsgruppen riefen zum Boykott auf. Also war die Stimmabgabe ebenso sehr eine Loyalitätsbekundung zur Regierung wie Ausdruck politischer Überzeugungen.
Dass in diesem Kontest mehr als 98 Prozent der Teilnehmer das Ja angekreuzt haben, überrascht nicht. Die Wahlbeteiligung von knapp 39 Prozent zeigt aber, dass die Regierung dennoch nicht sonderlich stark unterstützt wird. Sie mag stolz darauf sein, dass die Beteiligung höher war als die 33 Prozent bei dem Referendum von Ende 2012, in dem die von den Moslembrüdern getragene Regierung ihre Verfassung durchdrückte. Die damalige Abstimmung hatte aber mehr Legitimität, weil alle politischen Lager für ihre Sicht werben konnten.
Das neue Grundgesetz verspricht die Gleichstellung von Frauen und mehr Religionsfreiheit. Das ist gut – aber zu wenig. Zugleich werden nämlich die Meinungs- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt und Militärprivilegien festgeschrieben. Das widerspricht jedem demokratischen Anspruch. Dafür haben junge Leute nicht ihr Leben riskiert, als sie 2011 gegen das Mubarak-Regime demonstrierten. Beobachter berichten, dass Angehörige ihrer Generation in den Wahllokalen unterrepräsentiert waren.
Es ist eine Farce, wie General Abdel Fattah al-Sisi, der Verteidigungsminister und starke Mann im Kabinett, das Referendum in eine Abstimmung über seine persönliche Zukunft umgewandelt hat. Er deutete an, er könne für das Präsidentenamt kandidieren, wenn “das Volk” das wolle und das Militär ihn beauftrage. Er wird das Referendum nun wohl als persönliches Mandat auslegen.
Die meisten Ägypter sehnen sich nach Ruhe. Ihnen missfiel, wie sich die Islamisten an der Macht verhielten. Mohamend Mursi, der zum Präsidenten gewählte Moslembruder, versuchte nicht einmal, die Nation mit der Suche nach Konsens und Kompromissen zu einen. Aus Sicht vieler Bürger wollte er sich nur mit Intrigen und Tricks möglichst große Macht sichern, um langfristig ein orthodox-islamistisches Regime durchzusetzen. Viele wollen jetzt Stabilität.
Leider werden sie aber keine echte Stabilität bekommen. Das zeigten schon die blutigen Krawalle, die auf das Referendum folgten. Leider haben auch die Konterrevolutionäre sich bisher nicht um die Einheit der Nationen bemüht. Seit das Militär Mursi im Sommer stürzte, dämonisieren staatliche Stellen die Muslimbrüder und ihre Unterstützer. Sie bezeichnen sie als Terroristen – was sich als selbsterfüllend erweisen dürfte. Der extremistischtischste Rand wird Gewalt mit Gewalt beantworten wollen.
Die Moslembrüder haben vermutlich Anhänger verloren, aber sie hatten in den vergangenen drei Jahren bei jeder Wahl und Abstimmung rund ein Viertel der Stimmberichtigten für sich mobilisiert. Angesichts niedriger Wahlbeteiligungen reichte das für Mehrheiten. Leider kippten ihre Demonstrationen in den vergangenen sechs Monaten immer wieder in hässliche Gewalt um – dazu trug aber auch bei, dass das Regime legitimer Opposition keinen legitimen Raum lässt.
Der Militärführung ist klar, dass ihr Gewalt letztlich dient. Jeder Anschlag wird zum Anlass, noch härter durchzugreifen. Und wenn aus gelegentlichen Krawallen doch kein ausgewachsener Terrorismus entstehen sollte, würden viele Ägypter den Generälen durchaus zutrauen, selbst Bomben zu legen, um dann “Terroristen” die Schuld zu geben.
Ägyptens Machthaber sollten sich daran erinnern, dass es Hosni Mubarak nicht gelang, sich mit dem hohlen Motto “ich oder die muslimischen Spinner” an der Macht zu halten. Sein Schicksal beweist, dass Repression keine echte Stabilität schafft. Ägypten braucht Versöhnung. Das Nullsummen-Denken, wonach der Sieger alles bestimmen darf, muss überwunden werden. Nötig ist ein politisches System, dass auf Konsens und Kompromiss aufbaut – und zwar möglichst bald.