Staatliche Entwicklungshilfe

Portrait eines „neuen Gebers“

Die ökonomischen Erfolge Brasiliens erregen internationales Aufsehen. Zugleich tritt seine Regierung international mit wachsendem Selbstbewusstsein auf. Die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas engagiert sich zunehmend in der Entwicklungs­zusammenarbeit mit ärmeren Ländern.

Von Elton Hubner

In den vergangenen Jahren konnten Millionen Brasilianer Armut und Exklusion entkommen. Laut Daten der OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development) wurde die Armut im Land seit 1993 halbiert. Der Wandel greift tief, denn die Motoren des Erfolgs waren der starke Arbeitsmarkt, erfolgreiche Umverteilungspolitik und allgemeines Wirtschaftswachstum.

Brasiliens Spitzenpolitikern bot der ökonomische Erfolg die Chance, auch die Außenpolitik zu überdenken. Seit dem Beginn des Millenniums, so schreibt Claudia Zilla von der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP), ist diese „umfassender, vielschichtiger und komplexer“ geworden. Der Forscherin zufolge war die starke Süd-Süd-Orientierung ein Hauptmerkmal der Außenpolitik unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, der von 2003 bis 2010 im Amt war. Das sei beispielsweise in der intensiveren technischen Zusammenarbeit mit anderen Ländern in Südamerika und Afrika deutlich geworden.

Zilla sagte kürzlich, dass Präsidentin Dilma Rousseff diesen Kurs beibehalten dürfte. Sie räumte aber ein, dass die neue Staatschefin „technokratische Diskretion“ der „politischen Show“, in der Lula brillierte, vorziehe.

Heute ist die größte Ökonomie Lateinamerikas mit mehr als 70 anderen Nati­onen in bilateralen Partnerschaften verbunden. Laut Regierungsangaben hat Brasilien von 2005 bis 2009 rund 1,4 Milliarden Dollar für Entwicklungszusammenarbeit aufgewendet. Davon waren fast 1,1 Milliarden Beiträge zu internationalen Organisationen. In die technische Zusammenarbeit flossen 126 Millionen, in Stipendien 139 Millionen und in die humanitäre Hilfe 79 Millionen Dollar. Das Budget für technische Zusammenarbeit wuchs rasant von 11 Millionen im Jahr 2005 auf 49 Millionen im Jahr 2009, wobei der Anteil am gesamten Haushalt für Entwicklungszusammenarbeit von 7,2 Prozent auf 13,5 Prozent stieg. Brasiliens Kooperationsagentur (ABC – Agência Brasileira de Cooperação) bezeichnet technische Zusammenarbeit (TZ) als die größte Stärke des Landes.

Die ABC untersteht dem Außenministerium und steuert nicht nur Brasiliens Projekte als Geber, sondern verwaltet auch die Mittel aus den Industrieländern, die Brasilien als Empfänger erhält. Sie ist für die Aushandlung der Verträge sowie für Koordination, Umsetzung und Nach­betreuung solcher Vorhaben zuständig. Wenn sie als Geberagentur auftritt, sind ihre übergeordneten Ziele
– die Vertiefung der Beziehungen Brasiliens zu anderen Entwicklungsländern,
– der Transfer und die Verbreitung von technischem Wissen,
– die Förderung von Capacity Building und
– die Stärkung staatlicher Institutionen in Entwicklungsländern.

ABC-Direktor Marco Farani vermeidet, wenn er über Süd-Süd-Kooperation spricht, die Begriffe „Entwicklungshilfe“ und „Geber“. Er hat schon oft gesagt, Brasilien leiste Unterstützung durch die Bereitstellung von Fachpersonal, gewähre aber keine Budgethilfe oder sonstige Kapitalspritzen. Grundsätzlich entsendet Brasilien in der Entwicklungszusammenarbeit Mitarbeiter aus dem öffentlichen Dienst, die spezifische Fähigkeiten für klar umrissene Aufgaben mitbringen. Die Unterstützung beruht auf heimischer Erfahrung und ist auf die Bedürfnisse der Partner zugeschnitten. Zu den relevanten Sektoren gehören Landwirtschaft, Bildung und innere Sicherheit.

Aus ABC-Sicht hat diese Herangehensweise zwei Vorteile:
– Sie ist nicht sehr teuer, weil über die Entsendung des Personals hinaus kaum Kosten entstehen.
– Sie trägt zum Austausch von Wissen und Erfahrung zwischen Entwicklungsländern bei und dient der internationalen Vernetzung von Fachleuten.

Außenpolitische Dimension

In einem Essay, den das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik im Mai 2010 veröffentlichte, urteilte Sarah-Lea John de Sousa, Brasilien gehe es um sein internatio­nales Ansehen und um mehr Einfluss im Weltgeschehen. Das lasse sich beispielsweise daran ablesen, wo die Mittel investiert würden. So flössen 23 Prozent nach Südamerika, 12 Prozent nach Zentralamerika und die Karibik und 50 Prozent nach Afrika, wo Länder mit der Amtssprache Portugiesisch eine besonders große Rolle spielten.

Auch das britische Institute of De­velopment Studies (IDS) meint, dass Brasiliens Entwicklungspolitik nicht nur dazu dient, schwächere Partner zu unterstützen, sondern „eindeutig auch ein Instrument der Außenpolitik ist“. In einem Aufsatz, den das IDS im November auf seine Website stellte, stand, es sei „wahrscheinlich, dass Interessen des Staates mit denen des Privatsektors abgestimmt“ würden.

Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang Brasiliens Entwicklungsbank BNDES (Banco Nacional do Desenvolvimento). Sie ist, wie Zilla zusammen mit Christoph Harig (2012) in einer aktuellen Studie ausführt, gemessen an Kapital und Kreditvergabe mittlerweile zu einer der größten weltweit geworden. Dabei war sie noch bis in die 90er Jahre ausschließlich im Inland aktiv. Sie investiert den Angaben zufolge zwar nur einen kleinen Teil ihrer Gelder in offizielle finanzielle Zusammenarbeit (FZ). Aber gerade auch die BNDES-Aktivitäten, die Brasilien als FZ werte, hätten auf andere Entwicklungsländer besonders große Auswirkungen. So vergebe die Bank beispielsweise gebundene Kredite für Projekte, an denen brasilianische Unternehmen beteiligt sind. Außerdem unterstütze sie private und staatliche Unternehmen aus Brasilien, die im Ausland expandieren wollen. Oft gehe es dabei um den Rohstoffsektor.

Viele lateinamerikanische Nachbarn stehen dieser Art der Zusammenarbeit zwar kritisch gegenüber, wie die beiden SWP-Autoren erläutern, weil sie darin „das Streben nach einseitiger Ausweitung des wirtschaftlichen Machtbereichs“ erkennen. Gleichzeitig vergrößerten solche Investitionen den Handlungsspielraum von Entwicklungsländern, weil sie weniger abhängig von Direktinvestitionen aus Industrieländern würden. Im Gegensatz zur brasilianischen TZ, die zumindest offiziell unabhängig agiert, wird die Wirtschaftsförderung der BNDES stark von den ökonomischen Interessen des Landes beeinflusst.

Zilla und Harig empfehlen den etablierten Gebern dennoch explizit die Zusammenarbeit mit Brasilien – beispielsweise in Dreieckskooperationen. Sie betonen, dass Brasilien sich zwar formal nicht allen OECD-Standards unterordne, diese bei der TZ aber durchaus beachte. Zudem halte sich Brasilien allgemein an seine Zusagen – ganz im Gegensatz zu einigen Industrienationen, die sich zwar offiziell internationalen Richtlinien verschrieben, sie de facto aber nicht umsetzten.

Dreieckskooperation

In der Tat engagiert sich Brasilien bereits in Dreieckskooperationen mit vielen anderen Regierungen und internationalen Organisationen. Dabei geht es häufig darum, durch intelligente Nutzung von Infrastruktur, Finanzmitteln und Fachkenntnissen optimale Ergebnisse zu erzielen. Dreieckskooperationen haben oft ehrgeizigere Ziele als Brasiliens bilaterale TZ.

Viele etablierte Geber arbeiten mit Brasilien in solchen Vorhaben zusammen. Dazu gehören Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Britannien, Norwegen, Japan und die USA. Otávio Briones von der ABC nennt ein gemeinsames Projekt von Brasilien, Deutschland und Mosambik als vorbildlich. Es soll das Nationale Institut für Maße, Standards und Industriequalität in Maputo fördern. Daran beteiligt sind INMETRO (die brasilianische Behörde für Maße, Standards und Industriequalität), die GIZ und die Physikalisch-Technische Bundesanstalt aus Deutschland.

Brasilien verspricht, die TZ weiter auszubauen. Bei dem High Level Forum on Aid Effectiveness in Busan Ende vorigen Jahres stellte es „vertikale“ Kooperation in Frage und lobte die Vorzüge „horizontaler“ Kooperation. In einem Papier, das auf dem Gipfel verteilt wurde, betonte die ABC als Merkmale der Süd-Süd-Zusammenarbeit
– die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten,
– den Verzicht auf Bedingungen und Konditionalitäten,
– den Respekt vor örtlichen Hoheitsrechten und
– die Nachfrageorientierung.
Die ABC betonte, sie befürworte „stimmigere und funktionalere Lösungen zur Bekämpfung von Armut und Hunger weltweit“.