Biologische Vielfalt
Schwierige Gespräche
[ Von Linda Siegele ]
Neben der Klimarahmenkonvention und dem Übereinkommen zur Bekämpfung der Wüstenbildung verabschiedete die UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro auch die CBD. Keine Konferenz hatte je zuvor Größe, Umfang und nachhaltige Wirkung dieses „Erdgipfels“. Aber es gab auch Spannungen. Ein Streitpunkt waren der Zugang zu genetischen Ressourcen und der gerechte Vorteilsausgleich.
Dieses Thema offenbarte beispielhaft die große Kluft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Erreicht wurde in der CBD ein ABS-Kompromiss, der als „Grand Bargain“ gilt. Kern dieser „großen Übereinkunft“ ist, dass Entwicklungsländer Zugang zu ihren genetischen Ressourcen gewähren und dafür an Vorteilen, die sich aus der Nutzung durch die Industrienationen ergeben, beteiligt werden. In der Praxis ist das nur sehr schwer zu bewerkstelligen.
Vielfältige Interessen
Die Idee von Zugang und Vorteilsausgleich ist nur auf den ersten Blick einfach. Tatsächlich handelt es sich aber um ein komplexes Bündel von Konzepten. Die Konvention definiert genetische Ressourcen als „genetisches Material von tatsächlichem oder potentiellem Wert“ und genetisches Material als „jedes Material pflanzlichen, tierischen, mikrobiellen oder sonstigen Ursprungs, das funktionale Erbeinheiten enthält“. Zusammengenommen heißt das nicht nur, dass genetische Ressourcen wirtschaftlichen Wert haben, sondern auch, dass dieser Wert im Erbgut – der DNA – liegt. Diesen zu extrahieren erfordert aber normalerweise hohe technische Kompetenz.
Der vermutlich wichtigste Grundsatz der CBD steht in Artikel 3. Er besagt, dass Staaten souverän über die Ressourcennutzung entscheiden. Dabei sind die Vertragsparteien aber auch verpflichtet, die herkömmliche Nutzung der Ressourcen im Einklang mit traditionellen Kulturen zu schützen und zu fördern. In der CBDPräambel wird diese Pflicht direkt an Praktiken lokaler beziehungsweise indigener Gemeinschaften geknüpft. Also zählen zu den Interessengruppen des „Grand Bargain“ souveräne Staaten (Industrie- und Entwicklungsländer), indigene Völker und lokale Gemeinschaften und die Biotech-Industrie.
In Übereinstimmung mit dem Grundsatz der Staatshoheit über natürliche Ressourcen besagt die CBD, dass Staaten für den Zugang zu genetischen Ressourcen zuständig sind – und zwar auf Basis gemeinsam vereinbarter Bedingungen und mit wohlinformiertem Einverständnis des Ursprungslandes. Die Vertragsstaaten haben anerkannt, dass für das stimmige Funktionieren eines ABS-Regimes die Partizipation aller relevanten Interessengruppen einschließlich indigener und lokaler Gemeinschaften wesentlich ist.
Die Vorteile der Nutzung genetischer Ressourcen müssen ebenfalls auf der Basis gemeinsamer Vereinbarungen fair geteilt werden. Wieder ist Klarheit darüber nötig, wer die relevanten und entsprechend zu beteiligenden Interessengruppen sind. Unter „Vorteilen“ werden dabei nicht nur wirtschaftliche Erlöse verstanden; vielmehr zählen dazu auch die biotechnische Forschung sowie die Beteiligung daran. Entwicklungsländer, die Zugang zu ihren genetischen Ressourcen gewähren, müssen also im Gegenzug Zugang zu den Technologien erhalten, dank derer solche Ressourcen genutzt werden, selbst wenn diese patent- oder urheberrechtlich geschützt sind. Es bleibt unklar, wer genau Zugang zur Technologie erhalten soll. Indigene und lokale Gruppen beteiligen sich zwar schon lange am Verhandlungsprozess – doch letztlich fällen weiterhin nationale Regierungen die Entscheidungen (siehe unten).
2001 definierte eine von den Vertragsstaaten einberufene ABS-Arbeitsgruppe freiwillige Richtlinien zur „Entwicklung von Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und politischen Maßnahmen über ABS“. Sie heißen in Anlehnung an die Stadt, in der sie entwickelt wurden, „Bonn Guidelines“. 2002 einigten sich die Vertragsstaaten auf diesen Kanon, der auf Nationalstaaten gemünzt ist.
Im selben Jahr diskutierte der Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung (WSSD) in Johannesburg ABS als Gegenstand globaler Regeln. Es wurde vereinbart, „ein internationales Regime zur Förderung und Sicherstellung der gerechten und ausgewogenen Aufteilung der Vorteile der Nutzung genetischer Ressourcen“ auszuhandeln. Dabei bezog sich der Johannesburger Implementierungsplan ausdrücklich auf die Bonn Guidelines.
In Johannesburg legten die CBD-Partner eine Frist bis 2010 fest, um das WSSD-Mandat umzusetzen. Doch bislang gibt es kaum Fortschritt. Im Prinzip klafft weiterhin derselbe Nord-Süd-Graben auf wie 1992. Die Industrienationen befürworten ein freiwilliges Regime und stützen sich dabei insbesondere auf Grundsätze des Urheber- und Vertragsrechts, die der Privatwirtschaft nutzen. Die Entwicklungsländer dagegen bestehen auf ein rechtlich verbindliches, internationales Protokoll samt umfassendem Überwachungssystem.
Schlussfolgerung
In den ABS-Verhandlungen streiten nicht einfach souveräne Staaten um Geld und Einfluss. Es steht mehr auf dem Spiel. Es geht unter anderem um die Rechte der Ureinwohner an genetischem Material und entsprechendem Wissen aus ihrer Heimat, die Frage, ob genetische Ressourcen und entsprechendes traditionelles Wissen patentiert werden und sich in Privatbesitz befinden können, und um die Entwicklung eines globalen Rahmenwerks, das den Zugang zu genetischen Ressourcen und den gerechten Vorteilsausgleich regelt, unter Berücksichtigung unterschiedlicher Kategorien von genetischen Ressourcen mit unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten.
Den wahren Ursprung genetischer Ressourcen zu ergründen und ihren Weg von der Quelle zur kommerziellen Nutzung zu verfolgen, erfordert hochkomplexes technisches Wissen und Koordination. Es bleibt abzuwarten, ob ein gesetzliches Regelwerk, dessen Art, Umfang und Ziele ja zu einem bestimmten Zeitpunkt festgeschrieben werden müssen, flexibel genug sein kann, um mit dem schnellen technologischen Wandel Schritt zu halten.
Letztlich sind die ABS-Verhandlungen deshalb ein Test, ob internationales Recht vielschichtige und hochkomplexe globale Problemstellungen effektiv regeln kann. Erfahrungen aus den ABS-Verhandlungen können sich für die internationale Gemeinschaft bei der Lösung anderer globaler Umweltprobleme als hilfreich erweisen.