Ambivalente Millenniumsziele
Franz Nuscheler und Michèle Roth (Hg.):
Die Millennium-Entwicklungsziele. Entwicklungspolitischer Königsweg
oder ein Irrweg?
EINE WELT Texte der Stiftung Entwicklung und Frieden, Band 20, Dietz Verlag, Bonn 2006, 251 S., 12,70 Euro, ISBN 3-8012-0364-6
Dieser Band fasst die Diskussion über die Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) der Vereinten Nationen zusammen. Die Herausgeber Franz Nuscheler und Michèle Roth versammeln elf Beiträge, die die Ziele kritisch würdigen und sich pointiert mit dem Stand der Verwirklichung sowie mit Folgerungen für die Entwicklungszusammenarbeit befassen.
Die MDGs zielen auf Entwicklung und Armutsbekämpfung. Sie vernachlässigen die anderen drei großen Anforderungen der UN-Millenniumserklärung aus dem Jahr 2000: Frieden und Sicherheit, Schutz der Umwelt sowie Menschenrechte, Demokratie und gute Regierungsführung. Das Credo von Willy Brandt „ohne Frieden keine Entwicklung und ohne Entwicklung kein Friede“ wird im MDG-Zielkatalog ausgeblendet, was angesichts der wachsenden Zahl fragiler Staaten eine entscheidende Schwachstelle darstellt. Uwe Holtz plädiert daher dafür, den Zielkatalog der MDGs um ein neuntes Ziel „Diktaturen überwinden“ zu ergänzen. Die Zahl der undemokratisch regierten Länder solle halbiert werden, zumal zusätzliche Enwicklungshilfe ohne rechtsstaatliche Strukturen nicht wirkungsorientiert eingesetzt werden könne. Ein weiterer Vorschlag stammt von der britischen Hilfsorganisation Christian Aid: Die Verminderung des CO2-Ausstoßes solle in die MDGs aufgenommen werden.
Für Karin Küblböck ist die MDG-Debatte mehr Schmerztherapie als Ursachenbekämpfung: Weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen und damit auch innerstaatliche sowie internationale Formen sozialer Ungleichheit würden ausgeblendet. Andere Beiträge hingegen fragen mit gutem Grund, ob die vielfältige Kritik den MDGs gerecht wird. Denn die Ziele sind keine umfassende Entwicklungsagenda, sondern skizzieren „Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben“. Nie zuvor wurden entwicklungspolitischen Zielvorgaben so breit akzeptiert. Die MDGs haben politische Veränderungen angestoßen, sie eignen sich für Kampagnen und legitimieren die internationale Zusammenarbeit. Vielleicht helfen sie der Entwicklungspolitik sogar, ihrer Rechtfertigungskrise zu entkommen.
Es ist ein großer Verdienst des Bandes, Ambivalenzen herauszuarbeiten. Mehr Geld allein kann die Armut nicht beseitigen, aber ohne zusätzliche finanzielle Mittel kann sie auch nicht verringert werden. Das Buch – hervorzuheben ist die kritische Synopse der Herausgeber – ermöglicht eine schnelle Orientierung über die Ziele, die nach Ansicht von Kofi Annan „das Antlitz der internationalen Entwicklungspolitik“ verändert haben.
Hinrich Mercker