Biodiversität und Armut
Die Ausplünderung Westafrikas
[ Von Frithjof Schmidt und Janna Schönfeld ]
Fisch und Holz sind wichtige Exportgüter für Westafrika. Sie bringen den Regierungen dringend benötigte Devisen ein. Daraus resultieren jedoch die Überfischung knapper Bestände und die Zerstörung der Wälder. Weite Teile der Bevölkerung in Westafrika leben aber vom Meer und vom Wald.
Die EU ist mit rund 80 Prozent Hauptabnehmer der Fisch- und Holzexporte aus der Gemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS). Doch diese Ressourcen fehlen den Menschen vor Ort. Darüber hinaus beteiligen sich europäische Firmen an den in Westafrika weit verbreiteten illegalen und destruktiven Methoden zum Fischfang und Holzabbau. Sie tragen damit zur Zerstörung des Ökosystems und der Bedrohung der Artenvielfalt weit über die eigentliche Ressourcengewinnung hinaus bei.
Jüngste Studien belegen, dass der Klimawandel den Druck auf die Ökosysteme Wald und Meer noch verstärkt, insbesondere, wenn diese schon vorher geschädigt sind. Wegen ihrer großen Bedeutung für die Artenvielfalt wird sowohl den Wäldern als auch den Meeren besondere Aufmerksamkeit bei der Ende Mai in Bonn stattfindenden Vertragsstaatenkonferenz der UN-Biodiversitäts-Konvention gewidmet werden.
Der Raubbau der biologischen Ressourcen aus Westafrika läuft den Zielen der europäischen Umwelt- und Entwicklungspolitik zuwider. Von Armutsbekämpfung oder Nachhaltigkeit kann keine Rede sein. Aktuelle Reformen und Vorschläge der Europäischen Kommission stellen allenfalls erste Schritte in die richtige Richtung dar.
Notwendige Maßnahmen sind insbesondere:
– gründlichere Kontrollen, Zertifizierung und Begrenzung von Fischerei und Waldnutzung,
– bessere Koordinierung beim Management der Ressourcen in Westafrika und regionale Aktionspläne,
– Vorrang für lokale und regionale fisch- und waldabhängige Bevölkerungen sowie deren Mitsprache bei der Nutzung der Ressourcen und ihre faire Beteiligung an den Gewinnen,
– höhere Wertschöpfung und nachhaltige Nutzungskonzepte vor Ort sowie
– finanzielle, politische und wissenschaftliche Unterstützung der afrikanischen Länder durch die EU.
Bei aller Kritik an der EU darf jedoch eines nicht übersehen werden: Es findet heute ein neuer internationaler Wettbewerb um die kostbaren Ressourcen Afrikas statt. Besonders aufstrebende asiatische Nationen wie China oder auch einige ASEAN-Staaten treten zunehmend als alternative Abnehmer zur EU auf, die keine ökologischen oder sozialen „Bedingungen“ beim Handel stellen. Ein partnerschaftliches Vorgehen und Hilfe zur Erreichung der gesteckten Ziele für die afrikanische Bevölkerung sind daher das Gebot der Stunde.
In Westafrikas Gewässern sind Arten wie Garnelen und Oktopus überfischt, der weiße Zackenbarsch ist vom Aussterben bedroht. Welche Arten wie stark betroffen sind, ist aber nur teilweise bekannt. Es mangelt an verlässlichen Daten.
Die Überwachung der Fischbestände in den Weiten des Meeres ist aufwendig, teuer und wissenschaftlich anspruchsvoll. Den westafrikanischen Küstenländern fehlen dazu oft das Geld und das Know-how. Im Senegal wurden die Gesamtbestände von fünf Arten untersucht. Sie gingen in den vergangenen 15 Jahren um 75 Prozent zurück. Im gleichen Zeitraum haben sich die Fischereiaktivitäten verdoppelt.
Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) schätzt, dass nicht einheimische Schiffe rund 80 bis 90 Prozent des Fischfangs vor Westafrika betreiben. Neben europäischen Flotten sind in den vergangenen Jahren auch zunehmend asiatische Schiffe und solche mit Billigflaggen präsent. Zudem haben Länder wie der Senegal in den Fischereisektor investiert, um die heimische Branche gegen die technisch überlegene internationale Konkurrenz zu wappnen.
Moderne High-Tech-Kutter aus der EU fischen die durchpflügten Gewässer oft leer. Industrielle Großfischer ziehen riesige Netze durch das Wasser und zerstören die Meeresfauna. Sie fangen Lebewesen, die sie gar nicht aus dem Wasser ziehen wollen. Die Welternährungsorganisation (FAO) schätzt den ungewollten „Beifang” auf rund ein Viertel. So werden nicht nur kommerziell genutzte Arten reduziert, sondern auch die Ökosysteme belastet, in denen sie gedeihen. In den Netzen traditioneller afrikanischer Fischer zappeln dagegen immer weniger Meerestiere.
Die Bilder von afrikanischen Flüchtlingen, die ihr Leben in kleinen Booten auf dem Mittelmeer riskieren, sind bekannt. Doch nicht jedem Betrachter ist der Zusammenhang zwischen Migration aus Westafrika und gestiegenem Fischkonsum in Europa klar. Eine Fallstudie von Juliette Hallaire (2007) über die senegalesische Küstenstadt Yoff belegt eindrucksvoll, was auch die OECD (2007) bestätigt: Da sich die Fischerei für viele Küstenbewohner kaum noch lohnt, nutzen sie ihre Boote zunehmend als Flüchtlingstransporter.
Für viele westafrikanische Länder sind die Einnahmen aus der Fischwirtschaft so bedeutend, dass sie sich eine Begrenzung der Ausfuhr und der Aktivitäten ausländischer Schiffe kaum leisten können. Mauretanien etwa hat in den vergangenen Jahren höhere Einnahmen aus Fischereiabkommen mit der EU erzielt, als es von der EU Entwicklungshilfe erhielt. Wegen solcher Finanzflüsse erteilen westafrikanische Regierungen der EU und anderen ausländischen Partnern zu umfangreiche Fangrechte.
Zusätzlich zu den zu hoch angesetzten Fangquoten stellt die illegale, ungemeldete und unregulierte Fischerei eine enorme Herausforderung dar. Laut FAO werden in den Gewässern Guineas zusätzlich zu den offiziell genehmigten 54 000 Tonnen weitere 34 000 Tonnen aus dem Wasser geholt – sowie 10 000 Tonnen Beifang. Ob Fisch legal gefangen wurde, ist bisher schwierig nachzuvollziehen, auch wenn in der EU verkaufter Fisch eine Herkunftsbezeichnung tragen sollte. Die Kontrollen werden erschwert durch Praktiken wie das Umladen auf See von illegal fischenden auf registrierte Schiffe, das häufige Umbenennen von Schiffen und das Fahren unter Billigflaggen.
Eine Studie der Environmental Justice Foundation stellte 2007 fest, dass mehr als die Hälfte von 104 überprüften Schiffen in illegale Tätigkeiten vor Westafrika verstrickt war. Die Europäische Kommission geht davon aus, dass jedes Jahr illegal gefischte Ware aus der ganzen Welt im Wert von einer Milliarde Euro in die EU gelangt. Die Kanarischen Inseln sind dafür ein Haupteinfallstor. Aufgrund ihres Status als Sonderwirtschaftszone und lascher Hafenkontrollen können die sowieso schon schwachen EU-Regeln zur Verhinderung der Einfuhr von illegalem Fisch leicht umgangen werden.
Umsteuern wird ein hohes Maß an Koordinierung aller beteiligten Akteure erfordern – in Westafrika und Europa. Die maritime Zusammenarbeit muss insbesondere auf regionaler Ebene in Westafrika ausgebaut und auf nachhaltige Entwicklung ausgerichtet werden. Gemeinsame westafrikanische Aktionsprogramme wären hilfreich, um zu überwachen, wie sich einzelne Fischbestände, aber auch das gesamte Ökosystem entwickeln. Wenn Bestände knapp werden, müssen ausländische Fischer als erste ihren Fang unterbrechen oder einstellen, damit die Afrikaner keine Einbußen erleiden. Die EU sollte hier mit einer Selbstverpflichtung international vorangehen.
Illegale und ungemeldete Fischerei muss sowohl auf Seiten der EU als auch in Westafrika rigoros bekämpft werden. Dafür wären ein besserer Informationsaustausch, strengere Herkunftsnachweise, empfindlichere Strafen, schwarze Listen illegaler Fischer sowie regelmäßige Kontrollen in den Häfen und auf See sinnvoll. Nur wenn alle internationalen Fangflotten im Rahmen des Seerechtes konsequent kontrolliert werden, lässt sich das irreversible Leerfischen westafrikanischer Gewässer stoppen.
Darüber hinaus sollten die afrikanischen Fähigkeiten zur Anlandung und Weiterverarbeitung von Fisch gestärkt werden. Ein weiterer unterstützenswerter Ansatz ist die Fortentwicklung des 2007 gegründeten Westafrikanischen Netzwerks der Maritimen Schutzzonen. Die EU sollte in höherem Maße als bisher solche Vorhaben finanziell, technisch und politisch unterstützen.
Positiv ist, dass die EU ihre Subventionen für den Ausbau und Export von Fangkapazitäten endlich beendet hat. Auch wurden erste Schritte zur Umgestaltung der kommerziellen Fischereiabkommen hin zu echten Partnerschaftsverträgen zwischen der EU und Westafrika eingeleitet.