Partizipation

Kinderrechtskonvention unterstützt politische Beteiligung

In mehreren Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen gibt es Bemühungen, Kinder und Jugendliche stärker politisch zu beteiligen. Beispielsweise ist die Neigung, Jugendliche schon mit 16 Jahren wählen zu lassen, in Lateinamerika besonders ausgeprägt. Hier und anderswo zeigt sich: Es lohnt sich, junge Menschen früh in politische Entscheidungsprozesse einzubinden.
Junge Menschen machen politischen Einfluss geltend. Auch in São Paulo gehen sie im Rahmen der Fridays-for-Future-Proteste auf die Straße. Junge Menschen machen politischen Einfluss geltend. Auch in São Paulo gehen sie im Rahmen der Fridays-for-Future-Proteste auf die Straße.

Dass sich junge Menschen für politische Anliegen engagieren, ist kein neues Phänomen. Wie wichtig ihnen das ist, zeigen in jüngster Zeit vor allem die Fridays-for-Future-Proteste. Sie beweisen, dass keineswegs nur Volljährige dazu in der Lage sind, sich intensiv und sachkundig mit aktuellen gesellschaftlich relevanten Fragen auseinanderzusetzen. Sie möchten gehört werden und politisch Einfluss nehmen.

Völkerrechtlich sind solche Protestaktionen durch die UN-Kinderrechtekonvention (KRK) geschützt, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit garantiert. Die KRK geht aber noch weiter: Sie fordert in Artikel 12 auch eine „angemessene“ Berücksichtigung des Willens des Kindes in allen Angelegenheiten, die es betreffen. Und der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes fordert, dass Staaten die politische Beteiligung von Jugendlichen ausweiten sollten, um die Entwicklung einer aktiven Staatsbürgerschaft zu unterstützen (CRC 2016).

Wenn Staaten Jugendliche politisch partizipieren lassen möchten, ist es eine naheliegende Möglichkeit, das Wahlalter herabzusetzen. Bislang erlauben aber nur wenige Länder Jugendlichen unter 18 Jahren, an Parlamentswahlen teilzunehmen. Die Weltregionen mit den meisten Ländern, die ein Jugendwahlrecht ab 16 Jahren eingeführt haben, sind Lateinamerika und die Karibik. Wie kam es dazu, und was kann der Rest der Welt davon lernen?

Jugendwahlrecht in Lateinamerika

Zu den Staaten, die jungen Menschen Partizipationsrechte gewähren, zählen Argentinien, Brasilien, Ecuador, Nicaragua und Kuba, wobei diese Rechte im autoritär regierten Kuba mangels Demokratie und unabhängiger Justiz nur begrenzte Relevanz haben. Nicaragua, Brasilien und Kuba billigten jedenfalls Jugendlichen ab 16 Jahren noch vor 1989 das Wahlrecht zu – dem Jahr, in dem die UN die KRK verabschiedete. Argentinien zog 2012 nach. In Bolivien, Chile, Venezuela und Uruguay gab es zwar Debatten zum Jugendwahlrecht, diese führten aber nicht zu dessen Einführung (Sanhueza Petrarca 2020).

Eine Ursache für diese besondere Entwicklung ist sicherlich darin zu sehen, dass in dieser Weltregion im vergangenen Jahrhundert mehrere rechtspopulistische Diktaturen zu Ende gingen. Die neuen Regierungen versprachen sich von der Senkung des Wahlalters neben mehr Partizipation für Jugendliche sicherlich auch Stimmgewinne. Für die später eingeführten Wahlrechte in Ecuador und Argentinien ist davon auszugehen, dass die Verabschiedung der KRK der Auslöser war.

Für Ecuador, das als erster Staat dieser Region die KRK bereits im März 1990 unterzeichnete, gipfelte dies 2008 in der Verankerung des Wahlrechts für Jugendliche ab 16 Jahren in der Verfassung. Nach Erhebungen der lokalen Presse wird das Wahlrecht seither von rund 60 Prozent der 16- bis 17-jährigen Wählerinnen und Wähler genutzt.

Als wichtige politische Themen nennen junge Menschen in Argentinien, Brasilien, Ecuador und Nicaragua unter anderem: Wirtschaft, Arbeitslosigkeit, die politische Situation, Korruption, Kriminalität und Armut. Wie auch Ältere informieren sich Jüngere über traditionelle Medien wie Zeitungen, Radio und Fernsehen. Sie nutzen daneben aber auch stark das Internet und soziale Medien.

Will man Chancen und Folgen des Jugendwahlrechts in lateinamerikanischen Ländern bewerten, muss man den demografischen Kontext im Blick haben: In Staaten, in denen junge Menschen die Mehrheit der Bevölkerung stellen, bedeutet das Jugendwahlrecht ein größeres Wählergewicht für diese Gruppe. Das war auch in lateinamerikanischen Staaten so: Durch die Herabsetzung des Wahlalters konnten in erheblichem Umfang Neuwählerinnen und Neuwähler gewonnen werden.

Zugleich bedeutet eine solche Ausweitung der Wählerschaft mehr Partizipation und mehr politische Bildung. Junge Menschen können ihre Sichtweisen und Interessen einbringen, sie können sich im politischen Austausch üben. Und sie erleben, dass ihre Stimmen relevant werden.

Eine wichtige Erkenntnis für einige lateinamerikanische Staaten ist außerdem: Das Wahlrecht mit 16 Jahren führt zwar nicht unbedingt zu einem höheren Vertrauen in die jeweilige Regierung. Wohl aber zu höherem Vertrauen in nationale Parlamente und Parteien. Wenn junge Wählerinnen und Wähler dieses Bürgerrecht wahrnehmen dürfen, verringert dies letztlich Gefühle der Unzufriedenheit und des Ausgeliefertseins. Das eröffnet die Chance auf eine höhere Legitimität staatlichen Handelns – und damit auch auf größeren gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Kinder- und Jugendparlamente weltweit

Dass Minderjährige nationale Parlamente wählen dürfen, ist in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen bislang die Ausnahme. Allerdings sind vielfältige andere Bemühungen erkennbar, jungen Menschen die Teilhabe am politischen Geschehen zu ermöglichen.

So sind zum Beispiel in mehreren Staaten auf regionaler oder landesweiter Ebene Kinder- und Jugendparlamente eingerichtet worden, etwa in Indien, Pakistan, Nigeria, Ruanda, Sambia, Malawi, Burundi, Mozambik, Tansania, Ghana, Sierra Leone, Lesotho und Südafrika. Das gibt jungen Leuten nicht nur einen Einblick in die parlamentarische Praxis, sondern bringt sie auch in Kontakt mit führenden Politikern.

Ob die Staaten auf diese Weise allerdings tatsächlich Möglichkeiten der politischen Mitgestaltung schaffen, wird man in vielen Fällen kritisch hinterfragen müssen. Nach Einschätzung des UN-Kinderhilfswerks UNICEF und der Interparlamentarischen Union (IPU) sind Kinderparlamente oft nur einmalige, symbolische Ereignisse, die eher wenig Einfluss auf die konkrete Politik und Gesetzgebung haben (IPU/UNICEF 2011).

Damit solche Institutionen die politische Partizipation junger Menschen wirklich verbessern, sind folgende Bedingungen nötig:

  • Sie müssen einen regelmäßigen und intensiven Austausch zwischen Parlamentariern und Kindern oder Jugendlichen ermöglichen und
  • die in den gemeinsamen Beratungen erzielten Ergebnisse sind in den Gesetzgebungsverfahren explizit zu berücksichtigen.

Unterm Strich lässt sich sagen: Es lohnt sich, junge Menschen früh in politische Entscheidungsprozesse einzubinden. Wenn sie demokratische Abläufe einüben, hilft das sowohl den Jugendlichen als auch der Gesellschaft. Außerdem sind Jugendliche „Agents of Change“. Sie gestalten den Wandel, den die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung von uns allen fordert. Und sie tun das nicht nur in Fragen des Klimawandels, wie Fridays for Future, sondern auch in Fragen der sozialen Sicherung, Reduzierung von Armut und Ungleichheit, Good Governance und Bildung.

Schließlich eröffnen die Sichtweisen der jungen Menschen und ihr Interesse an nachhaltiger Entwicklung auch neue Per­spektiven und Denkmodelle. Sie können zu innovativen Lösungen beitragen. Darauf sollte die Welt nicht länger verzichten, zumal Jugendlichen das Recht auf Beteiligung gemäß der KRK in nahezu allen Staaten weltweit zusteht.


Links

Committee on the Rights of the Child (CRC), 2016: General comment No. 20 on the implementation of the rights of the child during adolescence. UN-Doc. CRC/C/GC/20.
https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/15/treatybodyexternal/TBSearch.aspx?Lang=en&TreatyID=5&DocTypeID=11

Inter-Parliamentary Union (IPU) / UNICEF, 2011: A Handbook on child participation in parliament. Handbook for Parliamentarians No. 18-2011. https://www.ipu.org/resources/publications/handbooks/2016-07/handbook-child-participation-in-parliament

Sanhueza Petrarca, C., 2020: Does voting at a younger age have an effect on satisfaction with democracy and political trust? Evidence from Latin America. In: Eichhorn, J. and Bergh, J. (eds.): Lowering the Voting Age to 16. Palgrave Studies in Young People and Politics.


Markus Kaltenborn ist Professor für Öffentliches Recht und Direktor des Instituts für Entwicklungs­forschung und Entwicklungs­politik (IEE) der Ruhr-Universität Bochum.
markus.kaltenborn@ruhr-uni-bochum.de

Heike Kuhn leitet das Referat Bildung im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
heike.kuhn@bmz.bund.de

Anna Pichl ist Studentin der Rechtswissenschaft und Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Finanzverfassungsrecht und Gesundheitsrecht an der Ruhr-Universität Bochum.
anna.pichl@rub.de

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