Lokale Politik

Mehrwert durch Migration

Deutsche Kommunen engagieren sich zunehmend auch in der Entwicklungspolitik, zum Beispiel durch Städtepartnerschaften oder Fairen Handel. Sie übernehmen damit globale Verantwortung und verbessern zugleich das Image der Stadt. Noch mehr erreichen können sie, wenn sie Bürger mit Migrationshintergrund in ihre Arbeit einbeziehen. Interview mit Stefan Wilhelmy
In many German cities, up to 40 % of the citizens are from families with migration histories: Schoolchildren in Aachen. joker/picture-alliance In many German cities, up to 40 % of the citizens are from families with migration histories: Schoolchildren in Aachen.

Die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt SKEW von ENGAGEMENT GLOBAL hat dieses Jahr ein „Gutachten zu Migration und kommunaler Entwicklungspolitik“ veröffentlicht. In welchem Zusammenhang stehen diese beiden Themen?
Viele Kommunen möchten sich entwicklungspolitisch engagieren oder tun es schon – sei es durch Städtepartnerschaften, Fairen Handel oder Mitarbeit in internationalen Netzwerken. Da dieses Engagement in der Regel stark von den Bürgern getragen wird, gehören auch Einwohner mit Migrations­hintergrund dazu, die in vielen deutschen Städten 30 bis 40 Prozent der Einwohner ausmachen. Da­rüber hinaus spielen Migranten für Entwicklungs­politik aber noch eine andere Rolle: Sie können Brückenbauer sein, weil sie häufig besondere interkulturelle Kompetenz haben, ihr Heimatland kennen sowie die Gebräuche und meist auch die Sprache.

Das Gutachten ist die Aktualisierung einer erstmals in 2007 veröffentlichten Studie. Wieso hat die SKEW diese Untersuchung damals durchgeführt?
Die Aufgabe der SKEW ist es, Kommunen zu unterstützen, die entwicklungspolitisch aktiv werden wollen. Wir hatten die Vermutung, dass es Kommunen einen Mehrwert bringen könnte, wenn sie mit Mi­granten zusammenarbeiten. Um diese These zu testen, haben wir das Gutachten erstellt sowie ein Projekt mit fünf Modellkommunen gestartet. Wir wollten dort Migrantenorganisationen und Eine-Welt-Vereine sowie Vertreter der meist getrennt agierenden Verwaltungsbereiche „Internationales“ und „Migration“ zusammenbringen.

Wie kann man solch einen Austausch zwischen Kommune und engagierten Bürgern anregen?
Über zwei Jahre hinweg haben wir Vernetzungsworkshops mit allen Beteiligten organisiert. Zusätzlich haben wir den Kommunen angeboten, eine Broschüre mit Steckbriefen über alle aktiven Vereine zu erstellen. Besonders gut gelungen ist dies in Kiel. Das Gutachten zeigt aber auch, dass zusätzlich Signale der Bundes- und Landespolitik wichtig sind, damit Kommunen ein solches Thema aufgreifen.

Ziel dieser Vernetzungstreffen muss ja sein, dass konkrete Projekte entstehen oder Veränderungen eintreten. Gibt es dafür Beispiele?
In Bonn beispielsweise hat sich ein Bürger, der ursprünglich aus Ghana stammt, für eine Zusammenarbeit mit Cape Coast stark gemacht. Dieses Engagement ist nun zu einer aktiven Projektpartnerschaft beider Kommunen geworden. Ein anderes Beispiel ist Kiel: Hier ist eine dauerhafte Arbeitsgruppe entstanden, in der das Forum Migration, die Stadtverwaltung und das Eine-Welt-Netz zusammen Projekte vorantreiben. Keine der fünf Modellkommunen, aber auch ein gutes Beispiel ist Ludwigsburg: Hier hat der Integrationsbeauftragte, der selbst aus dem Senegal stammt, die lokale afrikanische Diaspora zusammengebracht. Das ist eine ganz schöne Leistung, denn auch die Migranten kommen ja aus vielen unterschiedlichen Ländern und sind nicht so leicht zu vereinen. Sie veranstalten nun regelmäßig den Ludwigsburger „Afrika-Tag“, dessen Erlöse der Partnerstadt Kongoussi in Burkina Faso zugutekommen.

Wie geht es weiter, seit das Modellprojekt ausgelaufen ist?
Es ist uns sehr wichtig, dass unsere Projekte nicht im Sand verlaufen. Gerade im Integrationsbereich gibt es viele Projekte, die bei Migranten erst hohe Erwartungen wecken, dann aber nicht weitergeführt werden. Mit dem Modellprojekt wollten wir Erfahrungen sammeln, um dann in die Breite wirken zu können. Hierzu haben wir 2011 ein bundesweites Netzwerk „Migration und Entwicklung“ ins Leben gerufen, in dem sich kommunale Akteure austauschen und sich so gegenseitig stärken können. Für die Kontinuität sind aber auch die Kommunen verantwortlich. Die Politiker müssen ihrer Verwaltung einen klaren Auftrag dafür geben. Außerdem braucht es einen „Kümmerer“, also eine Person, die sich mit besonderem Herzblut für die Sache einsetzt.


In der Auswertung des Projekts heißt es, dass neue Initiativen meist nur entstehen, wenn der Austausch gezielt angestoßen wird. Will die SKEW nun in allen Kommunen Deutschlands diese Initialzündung geben?
Nein, das können wir nicht leisten. Im Modellprojekt wollten wir zunächst nur feststellen, ob die Vernetzung überhaupt Potenzial hat, womit wir sehr erfolgreich waren. In anderen Städten muss die Initialzündung aber von der Kommune ausgehen. Es gibt ja auch schon Städte, in denen das der Fall ist, wie zum Beispiel in Ludwigsburg, Stuttgart oder Aachen. Das genannte Netzwerk und die Serviceangebote der SKEW sollen weitere Kommunen dazu motivieren.

Wie hoch ist denn die Bereitschaft der Kommunen, mit Migrantenorganisationen zusammenzuarbeiten?
Bei den Kommunen, die sich ohnehin schon entwicklungspolitisch engagieren, war die Bereitschaft sehr hoch. Aber auch in anderen Städten ist das Interesse in den letzten Jahren deutlich gestiegen. 2007 mussten wir noch viel Überzeugungsarbeit leisten, um genug Modellkommunen zu gewinnen. Die Verwaltungen sind tendenziell überlastet und lassen sich nur ungern auf Projekte ein, die sich erst langfristig auszahlen. Heute ist es viel einfacher, sie auf das Thema anzusprechen. Und während früher nur Großstädte interessiert waren, sind mittlerweile auch kleinere Städte unter 100000 Einwohnern dabei.

Wie profitieren die Kommunen von der Zusammenarbeit?
Es wird allgemein immer wichtiger für Kommunen, alle gesellschaftlichen Gruppen mitzunehmen. Zudem fördert internationales Engagement die interkulturelle Kompetenz der Verwaltungsmitarbeiter. Vor allem aber prägt es ein positives und weltoffenes Image der Stadt, was wiederum auch den Wirtschaftsstandort attraktiver macht. Viele Städte erfahren zunehmend Fachkräftemangel aufgrund des demographischen Wandels: Die Zahl der Menschen im Rentenalter steigt, die erwerbstätige Bevölkerung schrumpft. Das macht es für die Kommunen wichtiger, Einwanderung zu fördern und die hier lebenden Migranten einzubinden.

Trotz Fachkräftemangels schien Europa in den letzten Jahren doch eher bemüht, der Einwanderung Grenzen zu setzen?
Auch auf EU- und Bundesebene ist die Diskussion ja durchaus im Gange, wie die Einführung der „blue card“, einem Aufenthaltstitel für Fachkräfte, zum 1. Juli 2012 zeigt. Auf lokaler Ebene hängt der Wunsch nach ausländischen Fachkräften oft von der regionalen Wirtschaft ab: Ein Oberbürgermeister in einer Wachstumsregion in Baden-Württemberg geht anders mit dem Thema um als sein Kollege in einer Region mit hoher Arbeitslosigkeit.

Beeinflusst die Einbindung von Migranten in die kommunale Entwicklungspolitik auch deren Integration?
Der Integrationsaspekt ist sogar sehr hoch. Migranten erhalten dadurch Anerkennung von Seiten der Kommune. Die Teilnehmer in Kiel zum Beispiel bewerteten die Integrationsleistung unter anderem deshalb als sehr hoch, weil in den Workshops immer nahezu alle Fraktionen des Stadtrates vertreten waren und es auch eine Veranstaltung mit dem damaligen Oberbürgermeister Thorsten Albig gab, der heute Ministerpräsident in Schleswig-Holstein ist. Dadurch haben sie sich stärker wertgeschätzt gefühlt und die Politik hat erkannt, wie viel die Migranten schon leisten. Dies sind für uns zwar eher Nebeneffekte, denn wir wollen ja in erster Linie kommunale Entwicklungspolitik stärken, aber sie sind sehr erfreulich. Außerdem rücken die Migrantenorganisationen auch näher an andere Eine-Welt-Organisationen heran. Erstaunlicherweise agieren beide Gruppen häufig getrennt, obwohl sie meist ähnliche Ziele haben. Sie besser zu vernetzen birgt daher sehr großes Potenzial! Die Fragen stellte Eva-Maria Verfürth.

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