Regionale Integration
Viertel der Menschheit
[ Von Eduardo Araral ]
Das ASEAN-China-Freihandelsabkommen (ACFTA) ist ein Pakt zwischen zwei Riesen. China ist das bevölkerungsreichste Land der Erde mit einer schnell wachsenden Wirtschaft. Zur Vereinigung südostasiatischer Staaten ASEAN gehören zehn Länder: Brunei, Indonesien, Thailand, Malaysia, die Philippinen, Vietnam, Singapur, Kambodscha, Laos und Burma. Eine bedeutende Anzahl japanischer, amerikanischer und europäischer multinationaler Unternehmen unterhalten Produktionsstätten und Vertriebsbüros in der Region. Zusammen sind die ASEAN-Ökonomien größer als die Indiens.
Das Abkommen ist auf verschiedenen Ebenen ein Meilenstein:
– Die ACFTA ist, an der Bevölkerung gemessen, die größte Freihandelszone der Welt. Chinas 1,3 Milliarden Menschen plus die 580 Millionen der ASEAN-Länder machen ein Viertel der Weltbevölkerung aus.
– Die ACFTA hat das drittgrößte nominale BIP der Welt, nach NAFTA und EU.
– Das Abkommen ist geopolitisch von Bedeutung, da es die Konsolidierung des zunehmenden Einflusses Chinas in Südostasien repräsentiert, das die USA als drittgrößten Handelspartner verdrängt hat – nach Japan und der EU.
Im vergangenen Jahrzehnt stieg der Anteil Chinas am gesamten ASEAN-Handel von vier auf 11,3 Prozent, während der Anteil der USA von 15 auf 10 Prozent zurückging. Zudem stieg ASEANs Handelsdefizit mit China seit 2000 um das Fünffache an, während sein Handelsüberschuss mit den USA in der gleichen Zeitspanne um 12 Prozent zurückging. China – die zweitgrößte Ökonomie nach den USA – hat 2009 zudem Deutschland als Exportweltmeister abgelöst.
Gemessen an konkreten Veränderungen, war die ACFTA ein eher symbolischer Schritt. Experten weisen darauf hin, dass Zölle abgeschafft wurden, die bereits niedrig waren. Das Abkommen tut wenig, um andere Barrieren abzubauen. Zudem gilt es am Anfang nicht für alle ASEAN-Länder. Im zweiten Schritt werden 2015 auch Kambodscha, Vietnam, Laos und Burma die Zölle abschaffen, wie es die anderen ACFTA-Mitglieder bereits getan haben.
Dennoch ist die ACFTA ein Signal an den Rest der Welt, dass die Länder der Region in der Lage sind, zusammenzuarbeiten, um die Transaktionskosten für wirtschaftliche Aktivitäten zu reduzieren. Die Auswirkungen des Abkommens auf die chinesische Wirtschaft und die ASEAN-Ökonomien werden nicht plötzlich und spektakulär, sondern erst im Laufe der Zeit spürbar sein. Es wird Gewinner und Verlierer in bestimmten Bereichen und Ländern geben.
Allgemein profitieren die Verbraucher in der Region davon, dass die Einfuhrzölle für 90 Prozent der Handelsgüter in 7000 Kategorien gesenkt werden. Künftig liegen die Zölle zwischen null und fünf Prozent. Zudem werden die Länder mit großen natürlichen Ressourcen wahrscheinlich von Rohstoffexporten nach China profitieren. Sechs ASEAN-Mitglieder (Malaysia, Indonesien, die Philippinen, Burma, Vietnam und Kambodscha) gelten als rohstoffreich.
Andererseits werden die Länder, die zur Herstellung industriell gefertigter Güter auf billige Arbeitskraft angewiesen sind, den stärkeren Wettbewerb durch China spüren. Allerdings wächst der Druck hin zu höheren Löhnen im Industriegürtel Chinas, so dass es auch möglich wäre, dass Unternehmen die Produktion von China in ASEAN-Länder wie Vietnam, Indonesien und Kambodscha verlagern, wo die Löhne noch recht niedrig sind.
Arbeiter und Unternehmer aus Industrien, die bisher durch hohe Zölle geschützt waren, werden aber sicherlich leiden, wobei das Indonesien und die Philippinen am stärksten betrifft. Die indonesische Textilindustrie könnte etwa die Hälfte ihres heimischen Marktes verlieren.
Sorgen um den Wechselkurs
Die ASEAN-Regierungen sind auch besorgt wegen Chinas Wechselkurspolitik. Die streng kontrollierte Währung hält Exporte künstlich billig. Im vergangenen Jahr veränderte sich der chinesische Yuan im Vergleich zum Dollar praktisch nicht, während die indische Rupie um 15,5 Prozent anstieg.
Die Außenhandelsdefizite zwischen China und einzelnen ASEAN-Ländern werden wachsen, wenn diese Länder sich im Wettbewerb nicht besser behaupten. Vietnams Handelsdefizit mit China für das Jahr 2008 wuchs deutlich auf zwölf Milliarden Dollar an. Malaysia, Thailand und Singapur dagegen gelang es, ihre Handelsdefizite stabil zu halten.
Es ist noch unklar, wie viele Arbeitsplätze durch die neue Freihandelszone verlorengehen oder geschaffen werden, aber der verschärfte Wettbewerb erhöht den Druck auf ineffiziente Industrien. Es ist auch offen, wie die ACFTA sich auf die bestehenden ökonomischen Ungleichheiten unter den ASEAN-Staaten auswirken wird. Im Jahr 2009 lag die Kaufkraft der vier reichsten ASEAN-Länder zehn Mal höher als die der anderen Mitglieder.
Angesichts der Unterschiede zwischen den ASEAN-Staaten in Bezug auf Human Ressources, Wirtschaftsstruktur, Regierungsführung, Produktivität und Infrastruktur ist es unwahrscheinlich, dass die wirtschaftlichen Unterschiede durch das ACFTA kleiner werden. Allerdings könnten einige Wirtschaftsbereiche, wie die Landwirtschaft, in der 60 Prozent der ASEAN-Bevölkerung ihren Lebensunterhalt verdienen, von dem Abkommen profitieren. Doch es gibt ein paar Haken:
– Bei Lebensmitteln und in der Landwirtschaft gelten viele Produkte als „sensibel“. Mit anderen Worten: Sie unterstehen speziellen Regelungen, die den Handel nicht fördern.
– Viele Bauern betreiben Subsistenzwirtschaft. Wenn ihre Produktivität keinen massiven Auftrieb erfährt, wird ihnen die Handelsliberalisierung nichts nützen, da sie gar keine Güter für den Markt produzieren. Die Regierungen aber könnten und sollten in die ländliche Infrastruktur und ländliche Förderprogramme investieren, um die Menschen auf dem Land zu unterstützen.
Sicher ist, dass die wachsende ökonomische Integration und Kooperation zwischen ASEAN-Staaten und China wahrscheinlich einen positiven Kreislauf in Gang setzt. Ob das zu einer Integration in Währungs- und Sicherheitsfragen wie in der EU führt, ist aber offen.
In jedem Fall ist die Zusammenarbeit Chinas mit ASEAN weit gediehen und hat eine breite Basis, auf der sich aufbauen lässt. Zusätzlich zur ökonomischen Integration umfasst sie unter anderem Bereiche wie Außenpolitik, Transport, Zoll, öffentliches Gesundheitswesen und die Bekämpfung transnationaler Verbrechen.
Tatsächlich haben Chinas politische Führer und Diplomaten jahrelang daran gearbeitet, die ASEAN-Partner von ihren friedlichen Absichten zu überzeugen. Schon 2003 einigten sich China und ASEAN auf eine „Gemeinsame Erklärung über eine strategische Partnerschaft für Frieden und Wohlstand“, die diese Botschaft unterstützt. Derzeit plant China, einen China-ASEAN-Fonds für Investitionszusammenarbeit in Höhe von zehn Milliarden Dollar einzurichten. Zudem will es den ASEAN-Ländern Kredite in Höhe von 15 Milliarden Dollar geben, darunter 6,7 Milliarden Dollar als konzessionäre Kredite.
Bisher basiert die Zusammenarbeit von China und ASEAN auf Dialog und Konsensfindung sowie Kooperation. Das Abkommen geht davon aus, dass Differenzen durch Dialog und gute nachbarschaftliche Beziehungen bereinigt werden. Langfristig aber wird die Freihandelszone einen stabilen Mechanismus zur Schlichtung von Streitigkeiten brauchen. Bisher gibt es kein Gericht und keine regionale Kommission, die Vereinbarungen zwischen den Mitgliedsstaaten durchsetzen könnte.
Allerdings gibt es weiche Mechanismen, die die Einhaltung fördern. Die Mitgliedsstaaten haben sich auf soziale Kontrollmechanismen durch ein Punktesystem (score cards) und „öffentliches Anprangern“ geeinigt. ASEANs Generalsekretär ist dazu ermächtigt, den ASEAN-Spitzen die Länder zu melden, die sich nicht an Vereinbarungen halten.
Langfristig besteht die Hoffnung, dass die neue ASEAN-Charta dazu beiträgt, das Einhalten unter den Mitgliedsstaaten zu fördern. Allerdings braucht die Entwicklung einer solchen Kultur Zeit und Einsatz. Sie hängt stark davon ab, wie sehr sich die einzelnen Mitgliedsstaaten für den Regionalismus einsetzen, sich mit der ASEAN-Gemeinschaft identifizieren und davon überzeugt sind, dass, was für ASEAN gut ist, auch gut für ihr Land und die Menschen ist. In Ländern mit gewählten Regierungen wie den Philippinen und Indonesien ist das vermutlich leichter gesagt als getan.