Regionale Integration

„Länder rücken zusammen“

Die Volkswirtschaften der südostasiatischen Nationen sind sehr unterschiedlich. Singapur ist eines der reichsten Länder der Welt, Kambodscha und Laos hingegen zählen zu den ärmsten. Aladdin D. Rillo ist Vize-Direktor des ASEAN-Sekretariats (Association of Southeast Asian Nations) in Jakarta. Er ist verantwortlich für regionale Initiativen zur finanziellen Integration. Bei der ersten InWEnt-Alumnikonferenz für Südostasien in Hanoi sprach er mit Eva-Maria Verfürth von E+Z über seine Erwartungen.

Welche Vorteile hat finanzielle Integration für eine Region wie Südostasien?
Finanzielle Integration macht die Region wettbewerbsfähiger. Der Finanzmarkt wird effizienter und stabiler. Wenn es in der Region eine Krise gibt, die Länder dann aber nicht an Gelder kommen, um ihre Wirtschaft zu unterstützen, wird die gesamte Region betroffen sein.

Welche ASEAN-Initiative zur regionalen finanziellen Integration ist derzeit die wichtigste?
Ich halte die Chiang-Mai-Initiative Multilateralisation – kurz CMIM – für die wichtigste. Dieses multilaterale Abkommen zum Währungsaustausch gilt seit dem 24. März dieses Jahres und hilft Ländern, die Schwierigkeiten mit der Zahlungsbilanz haben. CMIM gilt als einer der konkretesten Ansätze zur Bewältigung der globalen Finanzkrise der ASEAN+3-Staaten – den zehn ASEAN-Mitgliedern plus Japan, China und Südkorea.

Inwieweit trägt CMIM zu finanzieller Stabilität bei?
CMIM kann für Liquidität sorgen. Die teilnehmenden Länder haben sich darauf ge­einigt, einen bestimmten Prozentsatz ihrer Fremdwährungsreserven in einen Fonds einzuzahlen. Sollte ein Land plötzlich Probleme mit seiner Zahlungsbilanz bekommen, kann es sich an diesen Fonds wenden.

Wie wird der CMIM-Fonds verwaltet?
Es gibt immer zwei Länder, die das Ganze koordinieren: ein ASEAN-Mitglied und eines aus den übrigen drei Nationen. Momentan sind das Vietnam und China, im kommenden Jahr sind Indonesien und Japan an der Reihe. Wenn beispielsweise Kambodscha Geld aus dem Fonds leihen möchte, kann es sich an eines der beiden koordinierenden Länder wenden. Diese nehmen dann mit den anderen Mitgliedern Kontakt auf und entscheiden, ob Kambodscha das Geld bekommt oder nicht.

Birgt regionale finanzielle Integration nicht auch Gefahren?
Finanzielle Integration bedeutet, dass der Kapitalmarkt für ausländische Investoren geöffnet wird. Ein mögliches Risiko ist also, dass der wachsende Zustrom von externem Kapital die Inflation verschärft und zu einem instabilen Wechselkurs führt.

Glauben Sie, dass Ihre Region mit diesem Risiko umgehen kann?
Ich bin sicher, dass wir gut aufgestellt sind. Um makroökonomischen Risiken vorzubeugen, brauchen wir einen stabilen Finanzsektor. Außerdem muss es angemessene Regulierungen geben, die den Banksektor stärken, so dass dieser in der Lage ist, das zusätzliche Kapital zu verwalten. Alle diese Themen wurden von den Mitgliedstaaten der ASEAN angesprochen. Die Lage in den einzelnen Ländern ist jedoch sehr unterschiedlich. Singapur ist ein sehr reiches Land mit einem starken Bankwesen und einem starken Finanzsektor. Was Regulierung angeht, ist es weit fortgeschritten. In ärmeren Ländern wie Myanmar, Laos oder Kambodscha ist der Finanzsektor noch nicht sehr weit entwickelt, und er ist auch nicht in dem Maße reguliert, wie es die internationale Gemeinschaft verlangt. Aber das ist genau ein Grund, warum regionale Kooperation gut ist: Sie hilft diese Unterschiede zu verringern. Durch die Integration werden sich unsere Ökonomien einander annähern.

Wie wird sich finanzielle Integration in Südostasien entwickeln?
Ich glaube, finanzielle Integration wird voranschreiten, wenn auch in kleinen Schritten. Es ist eine gewaltige Herausforderung, beispielsweise Singapurs Finanzsektor mit dem von Kambodscha zusammenzubringen. Unsere Region wird in den kommenden zehn Jahren nicht komplett integriert sein, das wird länger dauern. Aber die Integration wird stärker. Wir können die Globalisierung nicht rückgängig machen – und finanzielle Globalisierung ist ein Teil davon.

Was ist der Unterschied zwischen regionaler Integration in der Euro­päischen Union und in ASEAN?
Wir haben verschiedene Ansätze. In Europa läuft das peu à peu, dem Handel folgte erst die finanzielle Integration und schließlich die Währungsunion. ASEAN macht zwei Schritte auf einmal: Wir vereinen den Handel und den Finanzmarkt zugleich. Eine monetäre Integration – die Einführung einer einzigen Währung für alle ASEAN-Staaten – ist bislang kein Thema, aber wir wollen bei den Wechselkursen stärker zusammenarbeiten.

Sie haben gesagt, dass Finanz- und Handelsunion die nationalen Volkswirtschaften stärken werden. Aber wird diese ökonomische Entwicklung die ganze Bevölkerung erreichen – insbesondere auch die armen Menschen?
Die Grundidee der regionalen Integration ist es, die Region stabiler, reicher und friedlicher zu machen. Daher konzentriert sich die ASEAN nicht nur auf wirtschaftliche, sondern auch auf soziale, kulturelle und politische Fragen. Die ASEAN-Gemeinschaft steht auf drei Säulen: Neben der Wirtschaftsgemeinschaft gibt es die Gemeinschaft für sicherheitspolitische und die für soziokulturelle Themen. Die soziokulturelle Gemeinschaft hat die Aufgabe, sich um Gesundheit, Armut und andere Entwicklungsfragen zu kümmern. Ich würde aber sagen, dass auch die Aktivitäten der Wirtschaftsgemeinschaft auf Armut abzielen. Immerhin ist es ihr ultimatives Ziel, eine fortschrittliche Ökonomie zu schaffen. Und eine gutgehende Wirtschaft verbessert die Lebensqualität der Menschen.

In Ihrer Rede auf der InWEnt-Alumnikonferenz sagten Sie, dass es eine regionale Aufsichtsbehörde unter dem Dach des ASEAN-Sekretariats geben solle. Welche Rolle spielt das ASEAN-Sekreta­riat und warum sollte die Aufsichtsbehörde dort angesiedelt sein?
Das ASEAN-Sekretariat ist dafür zuständig, regionale ASEAN-Programme einzuführen und zu koordinieren. Dazu zählen auch Finanzierungsprogramme wie das CMIM oder die ABMI (Asian Bond Markets Ini­tiative). Seit 2008 hat jedes Mitgliedsland die ASEAN-Charter – eine Verfassung für die ASEAN – unterzeichnet. Die ASEAN hat damit eine legale Körperschaft, die sie unabhängiger macht. Auch ihre Teilnahme an regionalen Programmen ist damit verbindlicher geworden. Die Rolle der Aufsichtsbehörde wäre es, die ökonomischen und finanziellen Entwicklungen in der gesamten Region zu überwachen. Sie muss von rein nationalen Interessen unabhängig sein und sollte deshalb im ­ASEAN-Sekretariat angesiedelt sein. Nur so können Ideen und Initiativen, die für die gesamte Region förderlich sind, entwickelt werden.

Wie sieht es künftig mit regionaler Integration in Südostasien aus?
Ich halte die Zukunft für sehr vielversprechend. Mit der Ratifizierung der ASEAN-Charter und der fortschreitenden finanziellen Integration wird die Region zunehmend wettbewerbsfähiger und das internationale Interesse wächst. Die Volkswirtschaften Südostasiens werden Stück für Stück zu einem einzigen großen Markt werden – und das wird Investoren noch mehr anlocken. Aber natürlich gibt es auch Herausforderungen. Die Länder müssen sich der Integration wirklich verpflichten. Regionale Initiativen werden nur dann Erfolg haben, wenn die Mitgliedsländer sie auf nationaler Ebene umsetzen. Fehlt der politische Wille dafür, so können wir auf regionaler Ebene diskutieren, was wir wollen – wirklich etwas verändern werden wir nicht.

Glauben Sie, dass der politische ­Wille der ASEAN-­Mitgliedsländer stark genug ist für eine effiziente ­Kooperation?
Die Länder realisieren, dass wir in einer Welt leben, deren Wirtschaft eng verflochten ist, und dass sie isoliert nicht überleben können. Daher wachsen der politische Wille und die Kooperationsbereitschaft. Die ASEAN-Länder rücken wirklich näher zusammen.