Jugendliche
Fremde Realität
Warum interessieren sich junge Leute für Freiwilligenarbeit im Rahmen von Fernreisen?
Ich kann darüber nur mutmaßen, und ich glaube, es geht auch nicht nur um junge Leute, wie sie bei weltwärts mitmachen. Es gibt auch Menschen, die mit Mitte 30 Kurzzeiteinsätze leisten wollen. Es wird als positiv wahrgenommen, sich zu engagieren und altruistisch zu handeln.
Spielen Neugier oder sogar Sensationslust eine Rolle, wenn Leute Armut in der Dritten Welt kennen lernen wollen?
Von Sensationslust würde ich nicht sprechen, aber Neugier und Offenheit sind natürlich wichtig – der Wunsch, mal abseits der Touristenpfade etwas zu sehen, andere Dinge zu erleben, sich einer bislang unbekannten Welt zu öffnen.
Ermöglichen kurze Einsätze von ein, zwei oder drei Wochen das überhaupt?
Es ist sicherlich nur in sehr begrenztem Maß möglich, die fremde Realität eines fernen Landes in so kurzer Zeit zu verstehen. Die Eindrücke können nur oberflächlich sein. Deshalb dauern weltwärts-Einsätze auch mindestens sechs Monate. Die allermeisten Teilnehmenden sind ein Jahr lang fort. Das ist auch sinnvoll, denn es dauert, bis Freiwillige aus Deutschland in der Lage sind, sich in einem Entwicklungsland nützlich zu machen – sich einzubringen. Ihre Anfangserfahrung ist meist, dass sie die Partner nicht unterstützen können. Sie kosten die Partner sogar viel Zeit, weil ihnen so viel erklärt werden muss. Es geht eben nicht um Hilfe aus einer überlegenen Position heraus, sondern um eine echte Partnerschaft.
Was haben denn die Partnerorganisationen in den Entwicklungsländern von weltwärts?
Das Programm bietet ihnen eine Reihe von Vorteilen:
- Wenn sich die jungen Deutschen erst einmal eingelebt und eingearbeitet haben, werden sie oft zu echten Stützen in der Alltagsarbeit.
- Die Mitarbeit von ausländischen Freiwilligen stärkt die Reputation der Organisationen und ermutigt unter anderem auch die Menschen vor Ort, sich in den Projekten einzubringen.
- Die Interaktion mit den deutschen Entsendeorganisationen wird stärker – zum Beispiel, wenn sie gemeinsam geeignete Kandidaten für ein Vorhaben prüfen. Die Partnerschaft wächst durch eine intensivere Zusammenarbeit.
Grundsätzlich kann jede Organisation davon profitieren, wenn jemand von außen einsteigt und vieles hinterfragt, was im Alltag selbstverständlich erscheint.
Ja, das ist oft wertvoll. Es kann aber auch komplett nach hinten losgehen, wenn Fragen von Freiwilligen als frech oder arrogant wahrgenommen werden, Ihnen vorgeworfen wird, respektlos zu sein, weil etwa Hierarchien oder Arbeitsabläufe in Frage gestellt werden. Es entstehen aber in jedem Fall menschliche Beziehungen im Projekt und auch darüber hinaus. Der persönliche Austausch ist intensiv und die interkulturelle Kompetenz wächst auf beiden Seiten.
Welchen Effekt hat weltwärts langfristig auf die deutschen Teilnehmenden?
Die jungen Leute kommen selbstständiger und selbstbewusster zurück. Oft ändern sie während des Einsatzes ihre politischen und sonstigen Einstellungen. Viele gehen nach der Schule oder der Ausbildung mit weltwärts zum ersten Mal von zu Hause weg und müssen sich dann in einer ganz anderen Umwelt zurecht finden und arbeiten, in der sie sich nicht auf Deutsch verständigen. Der Einsatz erfordert Mut. Die Freiwilligen werden dann aber auch Teil einer neuen Gemeinschaft. Die Bindung an ihre Projekte hält oft noch sehr lange an. Sie wollen wissen, wie es dort weiter geht und wer dort aktuell ihr Nachfolger ist. Viele engagieren sich auch nach ihrem Freiwilligendienst weiter, im Projekt, bei ihrer Entsendeorganisation oder gründen selbst Vereine.
Prägt die weltwärts-Erfahrung dann auch die Berufsentscheidung?
Das ist unterschiedlich. Klar ist, dass junge Leute, die bei Freiwilligendiensten mitmachen, immer auch ausprobieren, ob ihnen eine bestimmte Tätigkeit oder ein bestimmtes Arbeitsumfeld liegen. Wichtiger ist aber vermutlich, dass weltwärts mit sehr intensiven Erfahrungen in einem recht jungen Alter die Persönlichkeit der Teilnehmenden prägt. Diese Erfahrungen nehmen sie in ihr weiteres Leben mit – und sie sprechen darüber mit ihren Angehörigen, ihren Freunden, ihren Kollegen. Das heißt, es gibt eine bleibende Wirkung, auch wenn sie selbst gar nicht einen entwicklungspolitisch relevanten Beruf ergreifen. Und so soll das auch sein. weltwärts ist ein Bildungsprogramm, das in die deutsche Gesellschaft zurück wirkt.
Seit 2013 gibt es auch Süd-Nord-Freiwillige, die aus einem Entwicklungs- und Schwellenland nach Deutschland kommen. Was ist da anders?
Es gibt eine Reihe von Unterschieden. Die deutschen Einsatzstellen achten auf gute Deutschkenntnisse und formale Qualifikationen. Der größte Unterschied scheint mir aber zu sein, dass es schwerer ist, Freiwillige in den Partnerländern zu finden, weil die Familien mit ihnen schon andere Dinge vorhaben oder schlicht nicht für ein ganzes Jahr auf ihren Nachwuchs verzichten können.
Die Motivation ist sicherlich auch anders. Ich glaube nicht, dass beispielsweise junge Inder auf die Idee kommen, nach Deutschland zu gehen, um hier Notleidenden zu helfen.
Das Hauptmotiv ist sicherlich, das Leben in Deutschland kennenzulernen und zu sehen, was hier anders ist als zu Hause. Das gilt aber ganz ähnlich auch für die deutschen Freiwilligen. Wer in erster Linie karitativ helfen will, entscheidet sich nicht für weltwärts. Dafür muss schon der Wunsch, sich mit einer fremden Realität auseinanderzusetzen, stark ausgeprägt sein.
Astrid Neumann leitet die Abteilung Förderung Freiwilligenaustausch bei Engagement Global und ist damit auch für weltwärts zuständig.
astrid.neumann@engagement-global.de
http://www.weltwaerts.de