Entwicklung und
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Fachpersonal

Apotheker als Helfer in der Not

Medikamente sind in Notsituationen lebenswichtig. Oft wird vergessen, dass zwar Ärzte sie verschreiben, aber Pharmazeuten sie bestellen, lagern, verteilen und erklären müssen. In Krisenregionen muss eine stabile Arzneimittelversorgung aufgebaut und pharmazeutisches Fachpersonal ausgebildet werden.


[ Von Christian Splett ]

„Dringend Apotheker gesucht!“ So lautete kürzlich die Überschrift einer Stellenanzeige von Ärzte ohne Grenzen Deutschland. Von den Bewerbern werden zwei Jahre Berufserfahrung, gute Englischkenntnisse, multikulturelle Sensibilität sowie die Bereitschaft, für sechs bis neun Monate in Krisengebieten zu arbeiten, erwartet. Während oder nach Kriegen sei das Fachwissen von Apothekern besonders wichtig, um Zugang zu lebenswichtigen Arzneimitteln zu gewährleisten, heißt es bei Ärzte ohne Grenzen.

Dieses Jobangebot verdeutlicht ein Umdenken in der Katastrophenhilfe und Entwicklungszusammenarbeit. „Es gibt zu wenige Apotheker in den Hilfsorganisationen“, sagt Wolfgang Wagner, früherer Bundesapotheker beim Malteser Hilfsdienst. Im Gegensatz zu Ärzten werden Apotheker zuweilen stark unterschätzt und sind deshalb tendenziell unterrepräsentiert – oder umgekehrt.

Nichtregierungsorganisationen (NROs) sollten Apothekern mehr Beachtung schenken, denn Apotheker haben andere Kompetenzen als Ärzte. Sie sind nicht nur eine Unterstützung für die Ärzte, sondern bringen auch zusätzliches Wissen mit.

Die richtigen Medikamente

Viele Apotheker engagieren sich freiwillig in der Entwicklungshilfe – sie arbeiten in Kirchen- und Ärzteorganisationen oder in berufsständischen Organisationen. Hilfsinitiativen von Pharmazeuten rufen gezielt Apotheken, deren Kunden und andere Förderer zu Geldspenden auf, denn Arzneimittelspender – Privathaushalte oder Arztpraxen – wissen meist nicht genau, welche Medikamente die Empfänger wirklich brauchen. So berichtet das Deutsche Institut für Ärztliche Mission (DIFÄM), dass die Entsorgung von ­17 000 Tonnen nichtverwendbarer Arzneimittelspenden in Bosnien-Herzegowina rund 34 Millionen Dollar kostete.

In Übereinstimmung mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verbreitet das DIFÄM deshalb die „Leitlinien für Arzneimittelspenden“, die sich direkt am Bedarf des Empfängers orientieren. So müssen ihre Verpackung, Beschriftung, Qualität und Wirkstärke im Zielland üblich sein. Gemäß diesen Vorgaben verschickte das Medikamentenhilfswerk action medeor 2009 rund 119 000 Tabletten eines Antibiotikums von einem deutschen Pharmahersteller an ein Krankenhaus in Simbabwe. Als Grundlage gilt die „Modelliste unentbehrlicher Arzneimittel“ der WHO, die die wichtigsten 350 Wirkstoffe gegen die meisten Krankheiten enthält.

In der Katastrophenhilfe ist es wichtig, schnell zu handeln. Deshalb kommt oft das weltweit anerkannte, knapp eine Tonne schwere Emergency Health Kit mit Schmerzmitteln, Antibiotika, Infusionen und Verbandszeug zum Einsatz. Rund 10 000 Menschen können damit drei Monate lang grundlegend versorgt werden. Das Kit besteht aus einer Basiseinheit für Helfer mit medizinischen Grundkenntnissen sowie einer Zusatzeinheit für Fachpersonal. Je nach Region können auch Malaria-Mittel eingepackt werden.

Notfall-Apotheker im Einsatz

Bei Apotheker ohne Grenzen, dem deutschen Partner von Pharmaciens sans Frontières, steht die personelle Hilfe im Vordergrund. Nach Naturkatastrophen reisen Pharmazeuten im Team mit Ärzteorganisationen wie Humedica und LandsAid in die Krisenregion. Die schnelle Hilfe ist nur dank eines ausklügelten Noteinsatzplans möglich: Jederzeit stehen zwei Apotheker bereit, die kurzfristig Urlaub nehmen und zwei Wochen im Krisengebiet verbringen können.

Großen Wert legt die Organisation auf die Vorbereitung solcher Einsätze. So bietet LandsAid in Kooperation mit Apotheker ohne Grenzen ein Outdoor-Seminar „Grundlagen der humanitären Arbeit für Pharmazeuten“ an. Von Gefahren durch Landminen über Konfliktbewältigung in Extremsituationen bis hin zur Kooperation mit internationalen Organisationen werden Themen abgedeckt, die für Apotheker in West­europa nicht zum Alltag gehören.

Im Einsatzgebiet ist das dringendste Problem dann der Aufbau einer Infrastruktur – von der Lebensmittelversorgung bis zu den Sanitäranlagen. Zu den Aufgaben der Apotheker gehören zudem die pharmazeutische Visite von frisch operierten Patienten, die Ausgabe von Arzneimitteln an Kranke und die Pflege des Medikamentenlagers, aber auch das Wechseln von Verbänden. Sie beraten Ärzte beim Medikamenteneinsatz und assistieren zuweilen bei Operationen. Zum Teil müssen Medikamente immer wieder auf Feuchtigkeitsschäden hin überprüft oder mehrere Standorte gleichzeitig von einer Apotheke versorgt werden. Auch die ordnungsgemäße Entsorgung von Medikamenten ist wichtig. „Zwei bis drei Ärzte pro Apotheker wären ein gutes Verhältnis“, sagt Ulrich Brunner, Vorsitzender von Apotheker ohne Grenzen.

Von Januar bis Mai dieses Jahres stand für Apotheker ohne Grenzen die Soforthilfe für die Opfer des Erdbebens in Haiti im Vordergrund. Zwei bis drei Apothekerinnen war ein Koordinator zur Seite gestellt. Dieser musste dafür sorgen, dass die Medikamente dort ankamen, wo sie gebraucht wurden. Treffen mit anderen NROs und Institutionen gehörten ebenso dazu wie der Besuch in Kliniken und Gesundheitsposten. So entwickelten sich Tauschbörsen zum Ausgleich von Fehlbeständen und Überkapazitäten. Der Koordinator in Haiti berichtete, dass Paracetamol-Tabletten im Überfluss da waren, dagegen zu wenig andere Schmerzmittel und Antibiotika in Form von Kindersäften.

Oft wird aus akuter Hilfe langfristiges Engagement. So baute „Apotheker ohne Grenzen“ nach dem Tsunami 2004 eine Krankenhausapotheke in Sri Lanka, die Anfang 2010 eingeweiht wurde. Mit der Flutkatastrophe in Pakistan stieß die Organisation jedoch in diesem Jahr an ihre Kapazitätsgrenzen.

Ehrenamt reicht nicht

Nicht bei jedem Katastropheneinsatz muss neben dem Arzt auch ein Apotheker anwesend sein. Wenn jedoch nationale Gesundheitssysteme aufgebaut und gestärkt werden sollen, ist pharmazeutisches Wissen unabdingbar – nicht nur in Referenzkrankenhäusern oder pharmazeutischen Zentrallagern, sondern auch auf kommunaler Ebene in Städten und Dörfern. Dafür braucht es bessere Ausbildung in den betreffenden Ländern, so dass Apotheker nicht nur als Medikamentenlagerverwalter, sondern auch als kompetente Ansprechpartner für Arzneimittel- und Gesundheitsfragen akzeptiert werden.

Gerade bei solch langfristigen Projekten reicht freiwilliges Engagement nicht mehr aus; es werden lokale Partner und hauptamtliche Beschäftigte gebraucht. Apotheker ohne Grenzen suchten etwa kürzlich einen Projektkoordinator für den Aufbau des pharmazeutischen Bereichs eines Gesundheitszentrums in Léo­gâne, 30 Kilometer westlich von Port-au-Prince (Haiti). Dabei müssen auch lokale Fachleute aus- und fortgebildet werden. action medeor unterstützt ein Forschungslabor in Dar-es-Salaam (Tansania), wo ein Dreifachkombinationspräparat gegen HIV/Aids entwickelt wird, zugleich aber auch Studenten ihre Praktika in „Pharmazeutischer Technologie“ absolvieren. Apotheker ohne Grenzen schult Gesundheitsarbeiter in der Bergregion von Baglung (Nepal) im Umgang mit und in der Lagerung von Medikamenten. In Mexiko bildet man seit Jahren „Gesundheitsverantwortliche“ fort und weiter.

Fachleute sind sich einig, dass es in vielen Entwick­lungsländern Mangel und somit großen Bedarf an gut ausgebildeten Apothekern gibt. Als Mitglied im Ecumenical Pharmaceutical Network (EPN), das die Qualität pharmazeutischer Dienstleistungen verbessern will, plant das DIFÄM in Malawi, alle Krankenhäuser mit mehr als 50 Betten bis 2014 mit einer pharmazeutischen Fachkraft auszustatten. Derzeit verfügen nur wenige Klinikmitarbeiter über pharmazeutische Grundkenntnisse. DIFÄM will drei Jahre Ausbildung und Unterkunft von Pharmazietechnikern finanzieren. Jeder Student kostet 2 400 Euro pro Jahr. Nach der Ausbildung sollen sie natürlich in Malawi arbeiten.

Diese Art von pharmazeutischem Capacity Building kann einen Beitrag zur Erreichung der Millen­niumentwicklungsziele (MDGs) leisten. Bis 2015 sollen Mütter- und Kindersterblichkeit verringert sowie Aids und andere Infektionskrankheiten eingedämmt sein. Dass diese drei Gesundheitsziele tatsächlich erreicht werden, gilt derzeit als unsicher. Wenn man ihnen allerdings nahe kommt, könnte es auch ein Verdienst von Apothekern sein.