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Schwerpunkt

Syrien sucht Paradigma

Um die lange Zeit strikt planwirtschaftlich organisierte Wirtschaft zu öffnen und zu stärken, braucht Syrien Reformen. Das deutsche Modell der Sozialen Marktwirtschaft wirkt attraktiv, zumal es Parallelen zu muslimischen Vorstellungen von gesellschaftlicher Gerechtigkeit gibt. In der Bundesrepublik treibt die Dynamik des Wettbewerbs die Wirtschaft an, während staatliche Sicherungssysteme die Risiken für die Ver­braucher­haushalte begrenzen.


[ Von Ronny Bechmann und Stefanie Reiher ]

Im Jahr 2000 übernahm Baschar al-Assad das Präsidentenamt von seinem Vater Hafez al-Assad. Er hat in London studiert, gilt als relativ liberal und forcierte die wirtschaftliche Öffnung. In der Tat ließen bei seinem Amtsantritt wirtschaftliche Engpässe, niedrige Produktivität und stagnierende bis sinkende Pro-Kopf -Einkommen einen Kollaps befürchten. Reformen wurden im Bankensektor eingeleitet, der seit 2001 für private Banken geöffnet ist. Saudische und libanesische Beteiligungen an den zehn privaten Banken sind inzwischen normal.

Auch die Handelsbestimmungen lockerten sich. Bis 1990 durfte nur der Staat international handeln. Die Zahl der Güter, die nicht eingeführt werden dürfen, wurde gesenkt, Zollsenkungen und die Gründungsmitgliedschaft in der Großen Arabischen Freihandelszone erleichtern seit 2005 den Handel. Auch das Steuerwesen wurde reformiert, die Ertragssteuern deutlich gesenkt.

Für ausländische Investoren verbesserten sich die Bedingungen ebenfalls – auch dank des Investitionsgesetzes Nr. 10. Direktinvestitionen sind mittlerweile überall möglich, seit 2007 dürfen ausländische Investoren sogar Land und Immobilien in Syrien besitzen.

Gesellschaftspolitische Ziele

Im bis 2010 geltenden Fünfjahresplan bekennt sich die Regierung zur weiteren Öffnung der Wirtschaft. Auch soll ein System der Sozialen Marktwirtschaft aufgebaut werden: Der aktuelle Plan benennt Maßnahmen zur Armutsminderung, sozialen Absicherung und Schaffung produktiver Arbeitsplätze. Interessanterweise soll dabei zum einen das marktwirtschaftliche Modell mit einem Mehrjahresplan, also einem Instrument zentralwirtschaftlicher Planung, implementiert werden. Zum anderen war die Soziale Marktwirtschaft bisher nur in Deutschland als Bezeichnung für eine bestehende Wirtschaftsordnung anerkannt, auch wenn es in anderen europäischen Staaten ähnliche ordnungspolitische Ansätze gibt. In Syrien wird dieses Modell erstmals außerhalb Europas adaptiert. Die Leitideen traditioneller arabischer Sicherungssysteme stimmen mit denen der Sozialen Marktwirtschaft überraschend gut überein: Leistungsgerechtigkeit und sozialer Ausgleich bilden gemeinsame Eckpfeiler (siehe Kasten). Soziale Marktwirtschaft ist zudem eine Alternative zum Kapitalismus nach angelsächsischer Prägung.

Die deutsche Entwicklungspolitik unterstützt die syrische Regierung auf ihrem Reformweg hin zu einer Sozialen Marktwirtschaft. Ähnlich wie im Fall Chinas besteht die Hoffnung, dass ökonomische Öffnung langfristig auch zu politischer Liberalisierung führt.

Die GTZ arbeitet bei einem Projekt in Damaskus unter anderem mit dem reformorientierten syrischen Vizepremier Abdullah al-Dardari zusammen. Durch einen Mix aus Politikberatung, Institutionenentwicklung und Aufbau von Kapazitäten soll die Analyse, Planung und Implementierung marktwirtschaftlicher Reformen verbessert werden. „Auch die Sozial-, Arbeits- und Beschäftigungspolitik sind wichtige Themen“, sagt Michael Krakowski von der GTZ. „Es geht uns vor allem darum, eine Ordnungspolitik zu unterstützen, die soziale Verwerfungen mindert.“

Die wirtschaftliche Entwicklung scheint den Reformern Recht zu geben: Seit 2004 ist eine leichte Erholung zu beobachten. Während das jährliche Wirtschaftswachstum laut Weltbank 2003 noch zwei Prozent betrug, stieg es 2004 auf sechs, 2007 sogar auf sieben Prozent.

Ungelöste Schwierigkeiten

Selbstverständlich finden Pessimisten Gründe, den syrischen Reformprozess negativ zu sehen. Etliche Probleme sind auch nach Jahren ungelöst, selbst in weitgehend reformierten Branchen. Der Bankensektor etwa wurde zwar für private Banken geöffnet – diese müssen aber zu mindestens 51 Prozent in syrischer Hand sein. Das erschwert ausländische Investitionen.

Die Kreditvergabe ist wegen mangelnden Eigenkapitals syrischer Banken und der schwierigen gerichtlichen Durchsetzbarkeit von Forderungen eingeschränkt. Bei der Handelspolitik geht es nur langsam voran. Ein Assoziierungsabkommen mit der EU lag lange auf Eis, weil Syrien politische Vorgaben der EU nicht erfüllte. Inzwischen ist es paraphiert, im Sommer 2009 soll es unterschrieben werden.

Trotz deutlicher Zollsenkungen ist der Warenfluss nicht frei. Bürokratie, Intransparenz und fehlende Informationen über Vorschriften erschweren den Handel für ausländische Unternehmen und treiben die tatsächlichen Kosten in die Höhe – weit über die offiziellen Zollsätze hinaus. Diese Diskrepanz zwischen Regeln und Realität zeigt sich auch im Steuerwesen: Die noch unreformierte Verwaltung ist ineffizient und unberechenbar.

In anderen Bereichen beginnen die Reformen erst. Vorschläge, staatliche Unternehmen, die einen Großteil der Erwerbstätigen beschäftigen, zu privatisieren, werden politisch kaum unterstützt. Immerhin wird über die so genannte „corporatisation“ diskutiert – die Trennung des weiterhin staatlichen Eigentums vom nach privatwirtschaftlichen Regeln arbeitenden Management bei Unternehmen.

Viele Mitarbeiter möchten im staatlichen, den Haushalt stark belastenden Sektor arbeiten. Die Löhne sind niedriger als bei privaten Arbeitgebern, attraktiv sind aber Pensionsansprüche und Arbeitsplatzsicherheit.

Auch Energiesubventionen beanspruchen die öffentlichen Haushalte. 2004 machten diese, neben Subventionen für Agrarprodukte, Wasser und Elektrizität, 14,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Zwar senkte die Regierung im Mai 2008 die Treibstoff-Subventionen und erhöhte damit den Benzinpreis von umgerechnet 0,38 Euro auf 0,55 Euro pro Liter. Doch schon heute fehlen Raffineriekapazitäten, Syrien wird bald zum Nettoölimporteur.

Kürzt die Regierung die Subventionen nicht weiter, wird sie Erdölprodukte zu Weltmarktpreisen importieren und zu Niedrigpreisen im Inland weiterverkaufen müssen. Schon heute führen die Subventionen zu der absurden Situation, dass das teuer importierte und dann subventionierte Benzin wieder außer Landes geschmuggelt wird, um es gewinnbringend etwa im Libanon zu verkaufen. Kernelement des aktuellen Fünfjahresplans ist, die Subventionen zu senken. Der Plan wird jedoch nur zögerlich umgesetzt. Die syrische Wirtschaftspolitik schwankt zwischen mutigen Reformen und vorsichtiger Zurückhaltung.

Syriens Verschuldung wächst – 2007 betrug das Haushaltsdefizit fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Und es wird weitergehen: Ohne Öleinnahmen hätte es im Jahr 2006 bereits 10,2 Prozent des BIP betragen. Da die Ölreserven bald erschöpft sind, ist abzusehen, dass das Defizit und damit die Schulden unweigerlich wachsen. Will die Regierung die Reformen fortführen, kann sie mittelfristig die für die politische Stabilität im Land so wichtigen Subventionen nicht mehr finanzieren. Der Machtverlust droht.

Höherer Lebensstandard

Sinnvolle Wirtschaftsreformen können mehr Produktivität und einen höheren Lebensstandard bringen – langfristig. Selbst wenn sie ausgabenneutral durchgeführt und eingesparte Subventionen besser eingesetzt würden, kann es Jahrzehnte dauern, bis sich die Situation der Bevölkerung spürbar und nachhaltig verbessert. Verwaltungsangestellte und Führungspersonal staatlicher Betriebe müssten mit Einbußen etwa bei der Arbeitsplatzsicherheit rechnen. Dass der Staat zwischen Öffnungsbemühungen und dem Wunsch, alte Strukturen zu erhalten, schwankt, ist deshalb verständlich.

Auch bei weiterer Öffnung ist ungewiss, ob die Regierung ihre Autorität erhalten kann. Um die Bevölkerung für sich zu gewinnen, müssen Reformen sozialen Ausgleich mit sich bringen. Bei Ausfall der Öleinnahmen bleibt die Hoffnung auf steigende Investitionen aus den Golfstaaten, auf Tourismus, Landwirtschaft – und auf Entwicklungshilfezahlungen. „Die syrische Regierung hat längst erkannt, dass eine Marktöffnung der meistversprechende Weg aus der Armut ist. Wir werden die Reformkräfte innerhalb der syrischen Regierung auf diesem Weg geduldig unterstützen“, so Michael Krakowski, der in seinem GTZ-Projekt auch bei wirtschaftspolitischen Fragen berät.

Das bedeutet aber auch, soziale Ausgleichsmaßnahmen zugleich mit den Reformen einzuführen und sie nachhaltig zu finanzieren. Dazu gehört, das Assoziierungsabkommen der Europäischen Union mit Syrien zu realisieren und den von Syrien seit 2001 angestrebten WTO-Beitritt zu unterstützen. Um den innenpolitischen Rückenwind nicht zu velieren und Zugang zum Weltmarkt zu bekommen, brauchen die syrischen Reformer die Unterstützung westlicher Länder. Trotz aktueller Weltwirtschaftskrise ist das eine attraktivere Perspektive, als in nationaler Planwirtschaft zu stagnieren.