Politikwissenschaft als DIN-Normierung
Regeln für die globalisierte Wirtschaft.
Eine empirische Analyse aus der Global-Governance-Perspektive.
DIE Studies Nr. 17, Bonn 2006, 160 S.,
ISBN 3-88985-320-X,
Der Begriff „Global Governance“ gehört zu den modernen Zauberwörtern der Politikwissenschaft. Er bedeute „Weltregieren ohne Weltregierung“, formulierte der Friedensforscher Ernst-Otto Czempiel: Zahlreiche sich überlagernde globale, regionale und nationale Regeln sollen einen Ordnungsrahmen schaffen, nicht zuletzt für die globalisierte Wirtschaft.
Wie die unterschiedlichen Regelwerke für den Welthandel, den Investitionsschutz oder Arbeitnehmerrechte mit ihrer Vielfalt an Beteiligten zur Lösung globaler Probleme zusammenwirken können, gehört zu den Kernfragen der Diskussion über Global Governance. Die Studie von Holger Mürle verheißt eine „empirische Analyse“ dieses Zusammenwirkens. Tatsächlich wirft das Buch – es ist zugleich eine Dissertation – eher die Frage auf, was unter „Empirie“ zu verstehen ist. Wissenschaftstheoretisch mag das interessant sein, für das Verständnis der Wirkungsweise und der Chancen globaler Regelwerke ist es unerheblich.
Das Buch besticht zunächst durch eine klare Gliederung und präzise Fragen: Dominieren tatsächlich solche Regeln, die eine Liberalisierung festschreiben? Sind die Regeln tatsächlich so fragmentiert und inkohärent wie allgemein wahrgenommen? So klar diese Fragen herausgearbeitet werden – die empirische Antwort darauf bleibt Mürle schuldig. Stattdessen liefert er eine bis ins Letzte aufgegliederte Darstellung seiner Methode und eine Begriffsdefinition nach der anderen. Am Ende der ermüdenden Lektüre möchte man fast glauben, politikwissenschaftliches Arbeiten sei mit DIN-Normierung vergleichbar.
Die Analyse etwa des Regimes der Welthandelsorganisation (WTO), des Global Compact der Vereinten Nationen oder der OECD-Regeln zur Bekämpfung von Geldwäsche erschöpft sich in Beschreibungen der jeweiligen Normen sowie der maßgeblichen Beteiligten. Welche Wirkung diese sehr unterschiedlichen Regelwerke entfalten und was ihr jeweiliges politisches Gewicht ist, bleibt dagegen offen. Es ist aber kaum überzeugend, das internationale Handelsrecht mit seinem verbindlichen Streitbeilegungsverfahren auf eine Ebene mit rein deklaratorischen Instrumenten wie dem Global Compact zu stellen.
Viele der Schlussfolgerungen sind banal. Es mag ja sein, dass ebenso viele Regelwerke Regulierungen verschärfen wie abbauen, doch was folgt daraus? Dass bei der Regelsetzung nichtstaatliche Akteure nach wie vor keine große Rolle spielen, kann nicht überzeugen. Nichtstaatliche Organisationen können zwar keine verbindlichen Normen setzen, aber die Frage ist doch, wie die Regelsetzung durch Staaten und internationale Organisationen wohl ohne zivilgesellschaftliche Lobbyarbeit und Kampagnen aussähe.
Immerhin: Das Buch liefert einen umfassenden Überblick über wichtige Abkommen und Institutionen zu sozialen und ökologischen Fragen des Welthandels und zur Stabilisierung des Weltfinanzsystems. Es ist nützlich, um sich darüber rasch zu orientieren. Doch analytisch ist die Studie enttäuschend.
Carel Mohn