Klimawandel
Pakistans ungenutzte Chancen
Von Noor Fatima
Die Regierung Pakistans ist sich der Herausforderungen bewusst, aber ihr Handeln bleibt bislang halbherzig. Derzeit hat das Land eine Stromerzeugungskapazität von fast 21 600 Gigawatt (GW). Herkömmliche Kraftwerke, die Öl, Gas und Kohle verbrennen, machen davon fast 68 Prozent aus. Wasserkraft bringt rund 30 Prozent, Atomkraft etwa zwei Prozent. In diesem Energie-Mix spielen teure fossile Brennstoffe die Hauptrolle. Um mit der wachsenden Nachfrage Schritt zu halten, will der Staat die Stromerzeugung bis 2014 um 50 Prozent steigern.
Derzeit importiert Pakistan etwa ein Drittel seines Energiebedarfs. Folglich sind die Devisenreserven knapp. Außerdem hängt Pakistan von ausländischen Lieferungen ab. Da nicht genug Strom erzeugt wird, sind Ausfälle, die acht bis 16 Stunden dauern, normal. Dabei haben höchstens 70 Prozent der Menschen überhaupt Zugang zu Strom, wie die Wettbewerbsbehörde des Landes festgestellt hat. Die offizielle Wirtschaftsstatistik (Pakistan Economic Survey) für 2006/07 besagt, dass 40 000 Dörfer nicht an das Stromnetz angeschlossen sind. Die Lage ist offensichtlich unbefriedigend. Sie dürfte sich weiter verschlechtern, weil die Bevölkerung wächst.
Pakistan nutzt Energie auch nicht auf effiziente Weise. Pro Einheit des BIP verbraucht das Land zehn bis 30 Prozent mehr Energie als Industrienationen. Dabei ist der Pro-Kopf-Verbrauch recht gering und beträgt nur etwa ein Drittel des Weltdurchschnitts.
Angesichts des Klimawandels bieten fossile Energieträger auf Dauer keine Lösung, und Fukushima hat die Risiken der Atomkraft deutlich gemacht. Wenn selbst ein Hochtechnologieland wie Japan diese Technik nicht sicher beherrscht, gibt es wenig Grund anzunehmen, Entwicklungsländer könnten das.
Zweifellos braucht Pakistan erneuerbare Energien. Diese sind nicht nur sauber und stützen sich auf lokale Ressourcen, sie schaffen auch Beschäftigung. Dezentrale Stromerzeugung schafft Jobs an vielen Orten. Allerdings scheinen erneuerbare Ansätze den Entscheidungsträgern nicht zu behagen. Das liegt sicherlich mit daran, dass die reiche Welt diese Techniken nur zaghaft nutzt. Pakistans Regierung sollte dem Beispiel Chinas folgen, wo der Staat erneuerbare Energien entschlossen fördert.
Bundesweit hat das Ministerium für Wasser und Strom im Jahr 2006 Pakistans erste nationale Strategie für erneuerbare Energie (Renewable Energy Policy) verkündet. Für große Wasserkraftanlagen mit mehr als 50 MW hatte die Regierung schon 2002 die Policy for Power Generation Projects verabschiedet. Weitere Richtlinien sollen im Lauf der Zeit beschlossen und verkündet werden.
Die Strategie für erneuerbare Energie soll kleine Wasserkraft- sowie Wind- und Solaranlagen fördern. Zu den zentralen Punkten gehören:
– die Deregulierung von Stromerzeugung über kleine Anlagen mit erneuerbaren Quellen (bis zu fünf MW für Wasserkraft und ein MW für andere Techniken),
– klare und transparente Regeln für die Bestimmung des Strompreises,
– die Möglichkeit, für eingesparte Treibhausemissionen geldwerte Zertifikate zu erwerben, die den Umsatz steigern und mit Betriebskosten verrechnet werden können,
– die Vorgabe, bis zum Jahr 2020 Windkraftanlagen mit einer Gesamtkapazität von 3730 MW und bis 2030 von 9700 MW zu installieren, sowie
– Investitionsanreize für den Privatsektor, wie etwa Steuerabzugsfähigkeit, Zollbefreiung für einschlägige Technik und unbeschränkter internationaler Handel mit Wertpapieren, die auf erneuerbaren Energien beruhen.
Die Strategie soll erneuerbare Quellen zu einem Standardelement aller Entwicklungspläne in Pakistan machen. Sie fordert, dass mindestens zwei Prozent aller Investitionen in die Stromerzeugung auf regenerative Energie ausgerichtet werden sollen. Außerdem sollen erneuerbare Träger 2015 mindestens für zehn Prozent der nationalen Energieversorgung aufkommen.
Gemessen an den Wachstumsherausforderungen, die Pakistan meistern muss, sind diese Ziele allerdings nicht sonderlich ehrgeizig. Mehr wäre möglich – und nötig. Denn das Potenzial für erneuerbare Energie ist laut Regierungsangaben gewaltig.
– Pakistan könnte bis zu 50 000 MW mit Wasserkraft erzeugen, tatsächlich aber wurde in den vergangenen 50 Jahren nur eine Kapazität von 6600 MW installiert. Es gibt vor allem in den Bergen viele Standorte, wo Strom generiert werden könnte, wobei pro Stelle ein bis zehn MW erreichbar wären.
– In Pakistan scheint die Sonne sehr viel. Im Schnitt ließen sich photovoltaisch pro Quadratmeter 5,5 Kilowatt (kW) erzeugen. Die Technik ist besonders wichtig, um im Gebirge und in der Wüste netzunabhängige Stromversorgung zu ermöglichen (siehe auch Aufsatz von Joe Fischbeck auf Seite 27 f.).
– Auch das Potenzial der Windkraft beläuft sich auf 50 000 MW. Die Küste ist 1000 Kilometer lang; dort ließen sich Windparks einrichten. Bisher gibt es aber im gesamten Land noch keine Anlage, die mehr als 500 Watt liefern würde.
Handlungsbedarf
Die Regierung könnte mit einigen Entscheidungen das Wachstum der erneuerbaren Energien beschleunigen. Das Land braucht ein Konzept für Mikronetze, die unabhängig von Hochspannungsleitungen Verbraucher in abgelegenen Gebieten versorgen können. Bundes- und Provinzbehörden arbeiten an diesem Thema. Zwar dürfen Privatfirmen, Behörden, regierungsunabhängige Organisationen und sogar Individuen kleine Stromerzeugungs- und -versorgungssystem betreiben, aber es gibt keine klaren Regeln dafür, wie sie mit ihren Kunden umgehen sollen.
Außerdem braucht Pakistan einen Einspeisetarif, damit die Betreiber kleiner Anlagen Geld verdienen können, indem sie das nationale Netz mit ihrem Strom unterstützen. In Deutschland und anderen reichen Ländern gibt es solche Tarife. Die Erfahrung lehrt, dass attraktive Preise zum schnellen Wachstum der erneuerbaren Energieerzeugung beitragen.
Alles in allem bewegt sich Pakistan in die richtige Richtung – aber leider nur recht langsam. Das liegt auch daran, dass riesige Verwaltungen eine Rolle spielen (siehe Kasten). Allerdings ist es in einem Land mit mehr als 170 Millionen Menschen, die verschiedene Regionalsprachen sprechen, sinnlos, über die Größe der Bürokratie schlechthin zu klagen.
Fraglich ist aber, ob die politischen Entscheidungsträger, die für Investitionen heimischer wie internationaler Geldgeber sorgen müssen, erneuerbaren Energien und der Umweltbewegung generell wirklich die nötige Aufmerksamkeit schenken. Offensichtlich wurde aber bisher nicht so effektiv gehandelt, wie es zu wünschen wäre. Die Regierung und ihre Behörden – allen voran der Pakistan Council of Renewable Energy Technology (PCERT), der 2001 gegründet wurde, und das Alternative Energy Development Board (AEDB), das 2003 ins Leben gerufen wurde – stehen vor der Aufgabe, mehr Geld für erneuerbare Lösungen zu mobilisieren.
Sie täten gut daran, die technische und finanzielle Unterstützung anzunehmen, die Geberinstitutionen bereitwillig anbieten. Das Land hat, was erneuerbare Energien angeht, viel zu gewinnen, aber nichts zu verlieren. Die Haupthindernisse für den Technologietransfer bezüglich der erneuerbaren Energien sind Finanz- und Infrastrukturengpässe. Der Markt für erneuerbare Energie muss wachsen, nicht nur in Pakistan, sondern auch in anderen Entwicklungsländern ebenso wie in reichen Nationen.
Der Staat kann bei der Markteinführung erneuerbarer Technik eine wichtige Rolle spielen. Der Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung ist in Pakistan nicht leicht, aber er ist vorgezeichnet. Dennoch herrscht bislang eine Stimmung der Untätigkeit und des Abwartens. Ein Durchbruch ist nicht abzusehen. Solange es am politischen Willen und an entschlossener politischer Führung fehlt, wird Pakistan den Herausforderungen der Zukunft nicht gerecht werden können.
Die Regierung muss erneuerbare Energien zur Priorität erklären. Die Nation braucht ein neues Gesetz, das die Nutzung alternativer Technik bei der Stromversorgung der Haushalte zur Pflicht macht und hilft, Energieengpässe zu überbrücken. Das bringt mehr als der teuere Versuch, das nationale Netz auszubauen, das ohnehin nie alle Menschen erreichen wird.