Ebola

Am Wendepunkt

Die Ebola-Krise in der Demokratischen Republik Kongo (DRK) hält an. Im Juli gab es den ersten Fall in der Millionenstadt Goma. Zu vorsichtiger Hoffnung in einer sehr schwierigen Situation gibt der gut koordinierte humanitäre Einsatz dort Anlass. Der Blick der internationalen Gemeinschaft auf die Krise hat sich verändert. Dass es nötig ist, über medizinische Fragen hinauszuschauen, mahnt unser Autor, der Einsatzleiter des International Rescue Committee (IRC).
IRC-Mitarbeiter eines Ebola-Behandlungszentrums im Osten der DRK. IRC IRC-Mitarbeiter eines Ebola-Behandlungszentrums im Osten der DRK.

Als ein Priester aus Südkivu am 14. Juli in Goma ankam, erreichte die anhaltende Ebola-Krise in der DRK einen Wendepunkt. Ebola plagt den östlichen Teil des Landes seit fast einem Jahr. Mehr als 2700 Fälle wurden gemeldet, bis Mitte August gab es mehr als 1800 Tote. In einer Stadt der Größe Gomas trat die Krankheit aber lange nicht auf.

Ich selbst habe von dem Fall zuerst durch informelle Kontakte erfahren. Dann bestätigten das Gesundheitsministerium und die UNO die Information. Schockiert hat sie mich und andere Einsatzkräfte nicht. Wir hatten alle damit gerechnet – und zwar schon früher, als es dann tatsächlich eintrat.

Tatsächlich gab es positive Aspekte. Die Pflegekräfte im Gesundheitszentrum, zu dem der Priester ging, leisteten gute Arbeit. Sie stellten sofort die richtige Diagnose und isolierten ihn. Dass der Patient direkt dorthin ging, als er in der Stadt ankam, war ebenfalls positiv. Wie andere nichtstaatliche Akteure schult das IRC Gesundheitspersonal und die breite Öffentlichkeit für solche Situationen. Das Team im Gesundheitszentrum war bereit.

Leider gab es bald darauf den zweiten Ebola-Fall in Goma – diesmal mit Infektionen in der Stadt. Ein Vater von zehn Kindern kam von einem Arbeitseinsatz in der Provinz Ituri zurück und zeigte am 22. Juli erste Ebola-Anzeichen. In ein Ebola-Behandlungszentrum kam er aber erst acht Tage später. Der Aufschub zeigt, dass rund um Goma die Aufklärungsarbeit intensiviert werden muss. Inzwischen wurde bestätigt, dass die Frau und eine Tochter des Mannes sich angesteckt haben. Diese ersten Übertragungen innerhalb eine Großstadt bereiten uns Sorge.

Wir sehen, dass Menschen weiterhin an Orte reisen, wo Ebola droht. Leider bleiben viele, selbst wenn sie krank werden, den Behandlungszentren fern. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben beunruhigend viele Patienten ohne kompetente medizinische Betreuung und ohne die nötige Quarantäne.

Das liegt unter anderem an dem weitverbreiteten Misstrauen, das für Bürgerkriegsgebiete typisch ist. Der Ebola-Ausbruch in der DRK ist eine gesundheitliche Notlage, die sich im Kontext einer der komplexesten und hartnäckigsten humanitären Krisen weltweit abspielt. Das Land ist vom Krieg gebeutelt, seit 1994 wurden 5 Millionen Menschen getötet, und vermutlich haben 4 Millionen die DRK verlassen. Mehr als 13 Millionen Menschen benötigen humanitäre Hilfe – aber nicht alle bekommen sie.

Wegen des ersten Ebola-Falls in Goma wuchs das Medieninteresse. Wichtiger war aber die Reaktion der WHO. Sie erklärte am 17. Juli die Ebola-Krise in der DRK zu einer „gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite“ (public health emergency of international concern – PHEIC).


Strategiewechsel

PHEICs sind selten und werden nur angesichts prekärer Umstände ausgerufen. Tatsächlich geht es um den zweitgrößten Ebola-Ausbruch aller Zeiten, nur übertroffen von der westafrikanischen Epidemie 2014. Bislang gibt es kein Anzeichen der Besserung. Seit einer Weile forderten Fachleute den Strategiewechsel, der nun erfolgt.

Der Virus droht sich mit gravierenden sozialen Folgen über die Grenzen der DRK hinaus auszubreiten. Das Risiko für Nachbarstaaten ist hoch. Viele Menschen im Kongo pflegen verwandtschaftliche und wirtschaftliche Kontakte in ihnen. Tausende pendeln täglich zwischen Goma und Ruanda, dessen Behörden die Grenzkontrollen verschärft haben. Auch Uganda, Südsudan und Burundi sind akut gefährdet. In Uganda wurden bereits Fälle gemeldet, konnten aber eingedämmt werden. Wie in Goma war diese Entwicklung erwartbar und hätte schon früher eintreten können.

Der PHEIC-Alarm bestätigte, was wir Einsatzkräfte vor Ort längst wussten: Die Situation ist seit geraumer Zeit äußerst beunruhigend. Dennoch ist er wichtig, weil sowohl Medien als auch Geber ihn wahrnehmen. Es wurde schon viel Geld bereitgestellt, aber niemand rechnete damit, dass der Ausbruch so lange andauern würde. Weitere Mittel sind nötig, um den Kampf gegen Ebola fortzusetzen und zu gewinnen.

Wichtig ist zudem, dass die UNO im Juni David Gressly zum Koordinator für ihre Ebola-Bekämpfungsaktivitäten berufen hat. Sie hatte auch im Mai 2019 schon einen L3-Notstand ausgerufen. „Level 3“ ist die höchste Krisenkategorie. Derzeit gibt es weltweit nur vier weitere so hoch eingestufte Krisen: Syrien, Jemen und die Zyklone in Mosambik und Simbabwe. Jedenfalls ist der strategische Neubeginn bei WHO und UNO jetzt in vollem Gange.

Gressly ist der Hauptansprechpartner für alle internationalen Organisationen, die sich am Ebola-Einsatz beteiligen. Die Koordination läuft jetzt besser. Wie andere Institutionen hatte auch IRC betont, dass wir eine ganzheitliche humanitäre Sicht auf die Krise brauchen.

Die Teilhabe der örtlichen Bevölkerung ist besonders wichtig. Aufgrund jahrzehntelang andauernder Kriege und Konflikte herrscht im Osten der DRK ein starkes Misstrauen sowohl gegenüber Behörden als auch gegenüber Bevölkerungsgruppen, denen die Menschen nicht selbst angehören – insbesondere Ausländern. Wir müssen bedenken, wie örtliche Gemeinschaften den Einsatz sehen. Sie halten ihn für politisch motiviert, und diesen Verdacht hat die Absetzung der Wahlen im Ebola-Gebiet nur verstärkt. Dass Armee und Polizei staatliche Akteure und UNO-Personal schützen, nährt ihn weiter. Aus Sicht des IRC und anderer unabhängiger Organisationen muss das anders werden, und seit Gressly im Amt ist, sehen wir Wandel.

Wahr ist aber auch, dass seit einem Jahr trotz des massenhaften Einsatzes internationaler Helfer dieser Ebola-Ausbruch nicht eingedämmt wurde. Um diese Krise zu bewältigen, brauchen wir die Kooperationsbereitschaft und das Vertrauen der örtlichen Gemeinschaften. Beides können wir nur erreichen, wenn wir auf ihre Bedenken eingehen.

Grundsätzlich sind Maßnahmen zur Bekämpfung von hochansteckenden Krankheiten wie Ebola sehr hierarchisch und streng strukturiert. Leider behagt das vielen Menschen nicht, und sie lehnen manche Regeln auch ab. Gutes Community-Management erfordert, dass wir uns flexibel und pragmatisch auf die gegebenen Umstände einstellen.

Deshalb kehrt IRC nun behutsam von großangelegten Triage-Strukturen ab. Triage bedeutet, dass Patienten nach Dringlichkeit sortiert werden, damit diejenigen, denen sofortige Behandlung das Leben retten kann, sofort behandelt werden. Bei Ebola-Ausbrüchen werden Patienten in Gesundheitszentren untersucht und alle, bei denen Verdacht der Ansteckung besteht, kommen sofort in Quarantäne. Das macht vielen Menschen Angst. IRC arbeitet deshalb jetzt mit informelleren Empfangsräumen, weil sie weniger Furcht erregen als großangelegte Triage-Räume.

Außerdem erweitern wir unseren Fokus über Ebola hinaus. Dass wir ein Jahr nach dem Beginn des Ausbruchs nur über Ebola sprechen, macht Angst. Wir wollen deshalb von 2020 an unsere Behandlungszentren zu umfassenderen Gesundheitszentren ausbauen. Es geht um grundlegende Versorgung, nicht nur um Ebola.

Wenn Ebola sich trotz humanitären Einsatzes über Monate hinaus immer weiter verbreitet, ist das nicht nur ein medizinisches Problem. Es hat viel mit der Haltung der örtlichen Gemeinschaften zu tun. Die innovativen Wirkstoffe und Heilmittel, die wir haben, wirken – aber sie nutzen nicht viel, wenn die Menschen sie nicht annehmen. Wir müssen das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen – und dann bekommen wir die Krise auch in den Griff.


Tariq Riebl ist der Emergency Field Director des IRC (International Rescue Committee). Er hat jahrelange Erfahrung in der Leitung großangelegter humanitärer Einsätze, zum Beispiel im Jemen, in Liberia, Äthiopien, Tschad, im Südsudan oder auf den Philippinen. Das IRC ist eine zivilgesellschaftliche Organisation und hat seit einiger Zeit ein Berliner Büro.
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