Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Armutsbekämpfung

Einsatz gegen soziale Ausgrenzung

Es ist bekannt, dass soziale Förderprogramme das Wohlergehen von Individuen und Haushalten stärken und etwa zu besserer Ernährung oder Zugang zu Gesundheits- und Bildungswesen führen. Seit einiger Zeit untersuchen Wissenschaftler, ob das auch zu gesellschaftlicher Inklusion und Empowerment im weiteren Sinne beiträgt. Forscher vom Londoner Overseas Development Institute haben dazu Fallstudien in Südasien durchgeführt.
Mütter vor einer ländlichen Kinder­klinik von BRAC in Afghanistan 2009. Shezad Noorani/Lineair Mütter vor einer ländlichen Kinder­klinik von BRAC in Afghanistan 2009.

Es heißt, dass soziale Sicherung nicht nur zur besseren Befriedigung der Grundbedürfnisse beiträgt, sondern auch langanhaltende positive Folgen hat. Sie fördere das langfristige Wohlbefinden und diene gesellschaftlichen Zielen wie Inklusion, Chancengleichheit, soziale Gerechtigkeit und Befähigung zu selbstbestimmtem Handeln (Sabates-Wheeler und Devereux, 2008; UNICEF, 2012). Soziale Förderprogramme sollen also soziale Ausgrenzung reduzieren. Um das zu prüfen, gilt es, die Ursachen und Dynamiken von Marginalisierung zu berücksichtigen.

Als Mitarbeiter des Overseas Development Institute (ODI) sind wir diesen Fragen nachgegangen. Untersucht haben wir Maßnahmen zur sozialen Unterstützung und zur Eingliederung in die Erwerbstätigkeit in Afghanistan, Bangladesch, Indien und Nepal. Wir beschäftigten uns mit Interventionen von staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen. Wichtig war uns, was sie hinsichtlich sozialer Exklusion bewirkten und ob sie die Ursachen der Ausgrenzung angingen.

Die Fallstudien stehen in einem inhaltlichen Zusammenhang, was hilft, verschiedene Dimensionen von Wohlergehen zu verstehen und Prozesse aufzudecken, die Mangel und Marginalisierung bewirken. Wir benutzten quantitative und qualitative Methoden. Unsere Fallstudien untersuchen soziale Interven­tionen, die auf spezifische marginalisierte Gruppen zugeschnitten waren, die nicht nur arm, sondern auch auf andere Weise vom ökonomischen und gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind:  

  • In Afghanistan bietet BRAC, eine internationale Nichtregierungsorganisation (NGO) aus Bangladesch, Ausbildungsmöglichkeiten zur Sicherung des Lebensunterhalts an. Unter anderem können junge Frauen in Lesezentren für Jugendliche lesen lernen. Unsere Fallstudie untersuchte diese Maßnahme in den Provinzen Kabul und Parwan.
  • Das Chars Livelihoods Programme (CLP) und das Vulnerable Group Development Programme (VGD) fördern in Bangladesch Frauen und Haushalte in benachteiligten Regionen. Das CLP unterstützt Haushalte in der Chars-Gegend mit Sach- und Dienstleistungen, während das VGD in den Chittagong Hill Tracts ethnischen Minderheiten Lebensmittel und Ausbildungsmöglichkeiten zur Verfügung stellt.  
  • In Indien ist Rashtriya Swasthya Bima Yojana (RSBY) ein staatliches Krankenversicherungsprogramm, das marginalisierten Muslimen, Adivasis und Angehörigen der untersten Kasten Zugang zum Gesundheitswesen verschaffen soll. Unsere Fallstudie fand in den Bundesstaaten Uttar Pradesh und Maharastra statt.  
  • In Nepal ist der Child Grant ein staatliches Kindergeld zur Unterstützung aller Haushalte mit Kindern im Alter von bis zu fünf Jahren in der abgelegenen Region Karnali. Außerdem sind im ganzen Land Dalithaushalte mit Kindern in dieser Altersgruppe bezugsberechtigt.

Uns ging es um die Wirkung mit Blick auf soziale Ausgrenzung. Wir stellten fest, dass die Programme soziale Inklusion unterschiedlich stark förderten. Die wichtigsten Effekte waren:

  • Haushalte gaben weniger für stationäre medizinische Versorgung aus (RSBY in Indien).
  • Nahrungsmittelsicherheit und Produktivität wurden besser (CLP und VGD in Bangladesch).
  • Die Zielgruppe wurde besser gebildet und stärker sozial vernetzt (Lesezentren in Afghanistan).
  • Der Haushaltskonsum stieg geringfügig (Child Grant in Nepal).

Uns interessierte aber auch, ob die Interventionen die Ursachen sozialer Exklusion bekämpften. Es waren positive, aber recht begrenzte Wirkungen zu verzeichnen. Alle Programme stärkten die soziale Vernetzung von Mitgliedern der Zielgruppe über ihre direkte Community hinaus. Die RSBY-Krankenversicherung in Indien führte zudem zur Inklusion in das Gesundheitswesen, was sich die Zielgruppen zuvor nicht leisten konnten. In Bangladesch erweiterte der integrierte ökonomische und soziale Ansatz der finanziellen Förderung die produktiven Möglichkeiten für Frauen und eröffnete ihnen neue Einkommensquellen.


Warum die Wirkung ­beschränkt bleibt

Die Studien zeigen aber, dass die Interventionen meist keinen nachhaltigen, transformativen Wandel bewirkten. Die eingeschränkte Wirkung lässt sich mit drei Faktoren erklären:

  • Es gab situationsspezifische ökonomische, soziale und institutionelle Aspekte.
  • Die Mittel und die Leistungsfähigkeit der Programme waren begrenzt.  
  • Aus Programmzielen und -konzepten ergaben sich Grenzen.  

Den Forschungsergebnissen zufolge sind soziale Diskriminierung und institutionelle Voreingenommenheit relevant. So berücksichtigte BRAC etwa die kulturellen und sozialen Normen, die in Afghanistan Frauen den Zugang zu Kapital und Märkten verwehren, nicht ausreichend. Selbst wenn Frauen die Schneidertätigkeit aufnehmen wollen, was realistisch und sinnvoll erscheint, weil das kulturell akzeptiert wird und zu Hause möglich ist, brauchen sie Kapital und Input (etwa für den Erwerb von Nähmaschinen) – und das steht den meisten Frauen nicht zur Verfügung. Ausbildung allein befähigt Frauen nicht, ökonomische Chancen zu ergreifen.

Ähnlich beeinträchtigten in Bangladesch ethnische und geschlechtsspezifische Diskriminierung sowie der Ausschluss der Armen von produktiven Ressourcen die Wirkung des VGD-Programms. Es stärkte zwar die Haushaltseinkommen, aber die Teilnehmerinnen berichteten, dass sie ihre Ausbildung nicht nutzen konnten, weil ihnen Startkapital und Land fehlten. Wenn derlei nicht bedacht wird, hat Ausbildung nur begrenzte Wirkung.

In Nepal arbeiteten die lokalen Behörden in Karnali nicht zuverlässig. Das Kindergeld wurde nicht  pünktlich und vollständig ausgezahlt. Wegen schlechter Amtsführung war die Umsetzung mangelhaft und blieb weniger effektiv als erhofft.

Unsere Studien zeigen zudem, dass soziale Programme nur mit genügend Geld wirkungsvoll sind. Das Kindergeld in Nepal etwa war schlicht zu gering und belief sich monatlich nicht mal auf den Gegenwert eines Huhns. Das reicht nicht, um die Ernährungssicherheit eines von Armut betroffenen Haushalts, der auf vielfältige Weise Mangel leidet, spürbar zu bessern.  

Im indischen Fall reichten die Kapazitäten nicht, um RSBY komplett umzusetzen. Es wäre mehr nötig,  um die Zielgruppen aufzuklären. Viele Anspruchsberechtigte wussten nicht, was ihnen zusteht, und konnten deshalb RSBY nicht nutzen.


Wichtige Lektionen

Die untersuchten Programme waren alle darauf ausgelegt, spezifische Mängel zu beheben, sie hatten aber über diese begrenzte Problematik hinaus nur wenig Wirkung. Das reicht nicht. Die betroffenen Menschen leiden unter multidimensionaler Armut, bei der verschiedene Aspekte sich wechselseitig verstärken. Deshalb sind langfristiges strategisches Engagement und struktureller Wandel nötig, um Chancengleichheit zu fördern, Vettern- und Misswirtschaft zu bekämpfen und starke Institutionen aufzubauen. Soziale Förderprogramme und Arbeitsförderung müssen Teil eines größeren Pakets politischer Maßnahmen und Programme gegen soziale Ausgrenzung sein.  

Aus den Fallstudien ergeben sich einige Lehren für stimmige Politik- und Programmgestaltung:

  • Interventionen müssen so geplant und umgesetzt werden, dass sie in den sozialen Kontext passen. Strukturelle Aspekte wie Genderdiskriminierung müssen berücksichtigt werden, um Wirkung zu steigern und transformativen Wandel zu fördern. Es reicht nicht, Frauen auszubilden, sie müssen auch ermächtigt werden, am öffentlichen und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, um vielfältige und tragfähige Erwerbstätigkeiten aufnehmen zu können.  
  • Adäquate finanzielle Ressourcen und hohe Umsetzungskompetenz sind unerlässlich. Dabei sind Höhe und Regelmäßigkeit der Zuwendung ebenso wichtig wie die Fähigkeit, die Zielgruppen zu erreichen.
  • Um strategisch vorzugehen, muss das Konzept einer Intervention von Anfang an die sozialen und institutionellen Aspekte berücksichtigen, die den Zugang der Menschen zu Ressourcen, Dienstleistungen und ökonomischen Chancen einschränken und soziale Exklusion bewirken. Eine sorgfältige Prüfung und Identifizierung dieser Faktoren sollte die konzeptionelle und technische Planung eines Programms leiten. Zudem wäre es sinnvoll, die Stärken und Schwächen bestimmter Instrumente zu identifizieren und Maßnahmen zur Veränderung von Faktoren zu ergreifen, die über die soziale Unterstützung hinausgehen.
  • Soziale Förderung und Arbeitsförderung können die Ursachen sozialer Exklusion und Armut nicht bekämpfen. Sie müssen Teil eines breiten Konzepts zur Förderung sozialer Inklusion sein. Aufgabe der Politik ist sicherzustellen, dass die verschiedenen Maßnahmen kohärent sind. Es gibt Verbindungen zwischen Sozialarbeit, Sozialhilfe, medizinischer Versorgung, Ernährung, Bildung, Zugang zum Arbeitsmarkt und so weiter. Für die Bekämpfung sozialer Exklusion sind alle diese Dinge relevant. Zudem sind bereichsübergreifende Strategien und Maßnahmen, die über die gesellschaftlichen Teilbereiche hinausgehen, Voraussetzung für den Abbau rechtlicher, administrativer und institutioneller Hürden, die dem Zugang zu Dienstleistungen und produktiven Möglichkeiten im Weg stehen.


Jessica Hagen-Zanker ist Wissenschaftlerin am Overseas Development Institute in London.
j.hagen-zanker@odi.org.uk


Quellen :

Adhikari, T. P., Thapa, F. B., Tamrakar, S., Magar, P. B., Hagen-Zanker, J., and Babajanian, B., 2014:
How does social protection contribute to social inclusion in Nepal? Evidence from the Child Grant in the Karnali Region. ODI Report.
Echavez, C., Babajanian, B., Hagen-Zanker, J., Akter, S., and Bagaporo, J. L., 2014: How do labour programmes contribute to social inclusion in Afghanistan? Evidence from BRAC’s life skills education and livelihoods trainings for young women. ODI Report.
Sabharwal, N. S., Mishra, V. K., Naik, A. K., Holmes, R., and Hagen-Zanker, J, 2014: How does social protection contribute to social inclusion in India? Evidence from the National Health Insurance Programme (RSBY) in Maharashtra and Uttar Pradesh. ODI Report.
Siddiki, O. F., Holmes, R., Jahan, F., Chowdhury, F., and Hagen-Zanker, J., 2014: How do safety nets contribute to social inclusion in Bangladesh? Evidence from the Chars Livelihoods Project and the Vulnerable Group Development programme. ODI Report.
Sabates-Wheeler, R., and Devereux, S., 2008: ‘Transformative Social Protection: The Currency of Social Justice’,in Barrientos, A., and Hulm, D., (eds): Social protection for the poor and poorest: concepts, policies and politics. Basingstoke and New York: Palgrave Macmillan.
UNICEF (UN Children’s Fund), 2012: Integrated social protection systems: enhancing equity for children: UNICEF Social Protection Strategic Framework. New York: UNICEF.