Kommentar

Neuer Supermann

In China erblüht ein neuer autoritärer Personenkult um Präsident Xi Jinping. Das Versprechen des Regimes, die Zivilgesellschaft und Partizipationsmöglichkeiten zu stärken, klingt hohl.
Der Staatschef lässt sich manchmal im Alltag blicken, und sein Volk macht Fotos. picture-alliance/dpa Der Staatschef lässt sich manchmal im Alltag blicken, und sein Volk macht Fotos.

Vor zwei Jahren kannten nur Insider Xi Jinping, heute ist er auf dem besten Wege ein omnipotenter Diktator zu werden. Das ist das Bild, welches das offizielle China  geschickt vermittelt, und es zeigt, wie kurz das politische Gedächtnis oft ist. Denn vor dem Machtwechsel wurde gemutmaßt, Xi sei zu schwach, um sich im Postengeschacher zu behaupten. 

Heute ist von dem Konflikt, der damals wichtig schien, nicht mehr die Rede. Das maoistische „Chongqing-Modell“, vertreten durch Bo Xilai, rang mit dem marktliberalen „Guangzhou-Modell“, vertreten durch Wang Yang. Bo sitzt heute im Gefängnis, während Wang Vizepremier ist. Die Hoffnung, dass mit Wangs Sieg auch größere Spielräume für zivilgesellschaftliche Akteure entstehen, entpuppte sich als Trugschluss.

Xis Kernanliegen ist, die Partei zu stärken und ihre „Regierungskapazität“ auszubauen, um „Chinas Traum“ zu verwirklichen: eine global anerkannte Weltmacht zu werden. Xi hat den politischen Apparat so umgestaltet, dass sich alle Macht nun vor allem in seiner Person bündelt. Er positioniert sich  als „moderner Supermann“, der aufräumt. Manch ein westlicher Politiker scheint sich nach solcher Machtfülle zu sehnen.

China erlebt neue Machtkonzentration in der Parteizentrale. Im Juni 2014 machte Xi sich zum neuen Chef der internen Planungsgruppe Finanzen. Zudem leitet er drei neugeschaffene Führungsgruppen, die sich um die Vertiefung von Reformen, die nationale und die Cyber-Sicherheit kümmern. Ein neues Gesetz für zivilgesellschaftliche Organisationen wird in direkter Verbindung mit Antiterror- und Sicherheitsgesetzen in einer dieser Führungsgruppen formuliert.

Diese Politik wirkt streckenweise paradox. Denn die Partei beansprucht einerseits, Zivilgesellschaft, Mitwirkungsmöglichkeiten und Rechtssicherheit zu stärken. Das neue Umweltgesetz weist auch in diese Richtung. „Zivilgesellschaft“  wird andererseits häufig als Instrument „feindlicher Kräfte“ dargestellt. Ohnehin sucht das Regime nach einem alternativen Begriff, um bürgerschaftliches  Handeln mit Servicecharakter zu loben, das Probleme und potenzielle Konflikte reibungslos und harmonisch glätten soll. Für Feministinnen, die mit Aufklebern gegen sexuelle Nötigung im öffentlichen Raum protestieren, gibt es aber keinen Platz. Im vergangenen Monat wurden fünf Frauen wegen solcher Aktionen verhaftet.

Seit dem Machtantritt Xis wurden mehr regierungsunabhängige Organisationen geschlossen und Mitarbeiter von ihnen verhaftet als jemals zuvor. Vorrangig handelte es sich um Aktivisten im Bereich Arbeitsrecht, Korruptionsaufklärung und Bürgerrechte. Dazu passt, dass eine neue staatliche „Cyber-Verwaltung“ die Medienöffentlichkeit lenken soll, was zu einer netzbasierten „effektiven Propaganda“ führen kann.

Auch die ideologische Reinheit von Thinktanks, Universitäten und Schulen wird überprüft. Auf dem kürzlich zu Ende gegangenen 4. Plenum des 18. Parteikongresses wurden alle Thinktanks und Bildungseinrichtungen der Parteiführung unterstellt. Alleingänge von Thinktanks darf es nun nicht mehr geben.

Schon Mitte 2014 wurden der berühmten Chinese Akademie for Social Sciences (CASS) „ideologische Probleme“ vorgeworfen und alle Forscher auf Reinheit hin überprüft. Die Presse berichtet dann im Oktober, Thinktanks seien angehalten, „in die richtige Richtung“ gemäß den Parteivorstellungen zu denken. Im Dezember startete eine Kampagne zur stärkeren Kontrolle der Universitäten, und Ende Januar rief Erziehungsminister Yuan Guiren die Hochschuldirektoren zusammen, um die neue Politik zu erläutern.

Polizei, Armee und Behörden überschreiten immer wieder Gesetze und verstoßen gegen Menschenrechte. Um aus einer kränkelnden, korruptionsanfälligen Bürokratie einen modernen Rechtsstaat zu machen, ist laut offizieller Lesart zunächst hartes Durchgreifen nötig – und dafür sorgt der neue Supermann.

Wenn die Aufräumarbeiten fertig sind, werden die neuen Partizipationsideen vielleicht umgesetzt. Es bleibt nur zu hoffen, dass es dann noch Menschen mit einer eigenen Meinung zum Partizipieren gibt.


Nora Sausmikat leitet das Chinaprogramm der Stiftung Asienhaus in Köln.
n.sausmikat@asienhaus.de