Fachliteratur
Deutschland ist nicht allein
Energiewende bedeutet die Realisierung einer nachhaltigeren Energieversorgung. Die deutsche Debatte darüber kreist häufig um die damit verbundenen Probleme – ihre Kosten und Risiken – und sie hat einen stark nationalen Fokus. Dabei findet die hiesige Energiewende weltweit große Beachtung, wie die Studie „Wahrnehmung der deutschen Energiewende in Schwellenländern“ der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) zeigt.
Die Schwellenländer erkennen darin ein Zukunftspotenzial. Sie sehen nicht nur die umwelt- und klimapolitischen Ziele, sondern auch Aspekte wie Versorgungssicherheit und Technologieentwicklung. Andere Länder sehen Deutschland als „Vorreiter im Bereich der Nutzung von erneuerbaren Energien“ und erwarten, dass von der deutschen Energiewende „globale Ansteckungseffekte ausgehen“.
Energiewende im internationalen Vergleich
Deutschland ist nicht das einzige Land, das seine Energieversorgung transformieren will. 138 Länder haben sich den Ausbau regenerativer Energien zum Ziel gesetzt. Besonders ambitioniert ist Schweden, das bis 2020 den Gebrauch fossiler Energieträger zumindest zu Heizzwecken vermeiden und bis 2030 ganz auf den Import von fossilen Energieträgern verzichten will.
Aber nicht nur hochentwickelte Länder verfolgen ambitionierte Ziele. So will etwa Marokko bis 2020 einen regenerativen Anteil an der installierten Erzeugungskapazität von 42 Prozent erreichen. Schwellen- und Entwicklungsländern geht es häufig weniger um den Klimaschutz, sondern darum, ihrer Bevölkerung überhaupt eine moderne Energieversorgung zu ermöglichen und ihre Importabhängigkeit von fossilen Energieträgern zu reduzieren.
Neuhoff et al. sehen für Europa die Chance einer technologischen Vorreiterrolle: Europa könne „im internationalen Vergleich neben Japan die größte Zahl an Patenten im Bereich grüner Technologien vorweisen“. Dies sei auch durch die Energie- und Klimapolitik der vergangenen Jahre gefördert worden, schreiben die Verfasser von „Europa ist nicht allein“.
Die Autoren verweisen aber auch auf die Fortschritte anderer Länder, die in den vergangenen Jahren stark aufgeholt haben. Deutschland und Italien sind zwar beim weltweiten Bestand von Photovoltaikanlagen führend, und die EU-Länder haben immer noch den größten Anteil an der weltweit installierten Windkraftleistung. Aber sowohl die USA als auch China verzeichnen bei diesen beiden Techniken hohe Zuwachsraten. So weist China zwischen 2009 und 2012 „39 Prozent des weltweiten Zubaus an Windkraftleistung“ auf, so Neuhoff et al. Beim internationalen Effizienzvergleich der Zementherstellung, die „für fünf Prozent der weltweiten CO2-Emissionen“ verantwortlich ist, stehe Indien an der Spitze.
Neuhoff et al. sprechen sich für eine „ambitionierte europäische Energie- und Klimapolitik“ aus. Diese gehöre nicht nur zur Glaubwürdigkeit Europas im Hinblick auf den globalen Klimaschutz, sondern sie sichere auch langfristig eine zuverlässige und wirtschaftliche Energieversorgung und fördere „Innovationen in Wachstumsbranchen“.
Das Handelsblatt Research Institute (HRI) untersuchte die Fortschritte beim Umbau der Energiesysteme von 24 Industrie- und Schwellenländern. Ziel war es, „den Blick über den Tellerrand der nationalen Energiepolitik zu richten und aus Erfolgen und Fehlschlägen anderer Länder zu lernen“. Ausgangspunkt der Analyse „Neue Impulse für die Energiewende“ sind die drei Hauptindikatoren Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit.
Im Niveau-Ranking, das den aktuellen Stand der Energieversorgungen vergleicht, schneidet Deutschland mit Platz 8 leicht überdurchschnittlich ab. Auf den ersten Rängen befinden sich vier wasserkraftreiche Länder, nämlich Schweden (1) sowie Norwegen (2) und auf gleichem Niveau Österreich (3) und die Schweiz (3). Auch Dänemark rangiert auf Platz 3. Das Land nutzt seinen Windreichtum konsequent und weist den höchsten Anteil an Kraft-Wärme-Kopplung bei der Stromerzeugung auf. Die Studienverfasser heben den 10. Rang Brasiliens hervor, „das sich aufgrund seiner Wasserkraftkapazitäten“ als einziges Schwellenland in der oberen Hälfte platziert.
Das Dynamik-Ranking zeigt Veränderungen bei der Energieversorgung im Vergleich zum Stand vor fünf Jahren. Dabei weicht die Reihenfolge der Länder deutlich vom Niveau-Ranking ab. Deutschland rutscht sogar auf den letzten Platz ab. Maßgeblich hierfür sind laut HRI-Analyse die gestiegenen Stromkosten, die anhaltend hohe Abhängigkeit von Importen und der hohe Anteil der Kohleverstromung in Deutschland. Die meisten anderen Länder haben dagegen ihren Gaskraftanteil gesteigert. Es erstaunt zunächst, dass Deutschland bei der Versorgungssicherheit nur mäßig abschneidet, obgleich es zu den Ländern mit den niedrigsten Ausfallzeiten in der Stromversorgung zählt. Dieser Aspekt wurde jedoch in Ermangelung valider Daten nicht berücksichtigt .
Der Report empfiehlt der Bundesregierung eine stärker europäische und an kosteneffizienter CO2-Reduktion ausgerichtete Energiepolitik, einen stärkeren Fokus auf Energieeffizienz und die „Verlagerung von Güterverkehr von der Straße auf die Schiene“. Entscheidende Faktoren für eine erfolgreiche Energiewende seien „die topografischen und meteorologischen Bedingungen, die Kosten sowie die gesellschaftliche Akzeptanz“. Topografie und Wetter sind nach Einschätzung des HRI in Deutschland relativ ungünstig. Aber immerhin werde die Energiewende „von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung“ unterstützt.
Neben den erneuerbaren Energien liefert auch die Kernenergie CO2-neutralen Strom. Allerdings birgt sie hohe sicherheitstechnische Risiken. Deshalb hat sich Deutschland zum Atomausstieg entschlossen. Darüber hinaus sieht die HRI-Studie auch aus Kostensicht in der Kernenergie „nur bedingt eine Alternative zu den Erneuerbaren“ und verweist auf die steigenden Strompreise in Frankreich, „die durch die sicherheitstechnische Nachrüstung der Reaktoren verursacht werden“.
Was Deutschland von anderen lernen kann
In der Studie „Chancen für die deutsche Energiewende“ beschäftigt sich McKinsey mit der Frage, was Deutschland von anderen Ländern lernen kann. Die Verfasser stellen 20 konkrete Maßnahmen vor, die sich in anderen Ländern bewährt haben, und untersuchen ihre Übertragbarkeit auf die Bundesrepublik. Alleine durch die Umsetzung der elf volkswirtschaftlich attraktiven Beispiele ließen sich die CO2-Emissionen in Deutschland bis 2020 um jährlich zusätzlich 25 Millionen Tonnen reduzieren. Damit käme die Bundesregierung ihrem Ziel, die CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, um immerhin zwei Prozentpunkte näher. Setzt sich die aktuelle Entwicklung fort, würde Deutschland lediglich eine Einsparung von 30 bis 33 Prozent erreichen.
Drei rentable Energiesparmaßnahmen sind:
- Industrielle Abwärme wird zur klimaneutralen Stromerzeugung genutzt. „In China und Indien ist die Abwärmeverstromung zum Beispiel im Zementsektor aufgrund regulatorischer Vorschriften weit verbreitet“, stellt die McKinsey-Studie fest. Würden die in Deutschland infrage kommenden Zement- und Glaswerke nachgerüstet, könnten so ab 2020 etwa zwei Milliarden Kilowattstunden Strom (entspricht dem Jahresverbrauch von rund 570 000 Privathaushalten) erzeugt und damit jährlich rund eine Million Tonnen CO2-Emissionen vermieden werden. Die Investitionen würden sich bereits nach rund drei Jahren amortisieren.
- Elektrische Antriebe verbrauchen in der deutschen Industrie jährlich rund 85 Milliarden Kilowattstunden (rund 14 Prozent des deutschen Stromverbrauchs) und weisen erhebliches Potenzial zur Effizienzsteigerung auf. „Für Madrids Wasserversorgung amortisierte sich die Aufrüstung zu drehzahlvariablen Pumpen zum Beispiel bereits nach zwei Jahren“, so die Studie. Eine Übertragung auf Deutschland ergäbe ab 2020 eine Reduktion des Stromverbrauches um sechs Milliarden Kilowattstunden und der CO2-Emissionen um 2,6 Millionen Tonnen. Der Austausch der Antriebe würde sich bereits nach maximal drei Jahren rechnen.
- U-Bahnen könnten wie in China mit Fahrerassistenzsystemen ausgestattet werden. Laut McKinsey verbrauchen diese U-Bahnen gegenüber einer U-Bahn mit konventioneller Steuerung 15 Prozent weniger Strom. Eine entsprechende Aufrüstung der Züge in Deutschland würde sich bereits nach einem Jahr rentieren.
Achim Neumann arbeitet als Sektorökonom Energie im Kompetenzcenter Energie, Wasser und Landwirtschaft der KfW Entwicklungsbank.
achim.neumann@kfw.de
http://energiewende.kfw.de/
Literatur:
Handelsblatt Research Institute (HRI), 2014: Neue Impulse für die Energiewende. Was die deutsche Energiepolitik aus dem internationalen Vergleich lernen kann.
http://files.gecompany.com/gecom/de/GE_Studie_Energiewende.pdf
Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), 2013: Wahrnehmung der deutschen Energiewende in Schwellenländern. Ergebnisse einer qualitativen Expertenbefragung in Brasilien, China und Südafrika.
http://www.kas.de/wf/de/33.34940/
McKinsey, 2013: Chancen für die deutsche Energiewende. Was kann Deutschland aus ausgewählten internationalen Fallbeispielen lernen? In Zusammenarbeit mit Siemens.
http://www.siemens.com/press/pool/de/events/2013/corporate/2013-06-energiewende-dialog/studie-energiewende-dialog-d.pdf
Neuhoff, K., et al., 2014: Energie- und Klimapolitik: Europa ist nicht allein. DIW Wochenbericht Nr. 6.
http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.436814.de/14-6-1.pdf