Kinder
Schulpartnerschaft mit Palästina
Bethlehem – der Name dieser kleinen Stadt in Palästina löst bei vielen Menschen unseres Landes Emotionen aus. Erinnerungen an die Weihnachtsgeschichte werden wach. Aber ist nicht unser Kinderarzt ein Palästinenser, und hat er uns nicht letzthin erst von den Grenzkontrollen erzählt?
So ging es mir, als die Stadt Köln 1996 eine Städtepartnerschaft mit Bethlehem beschloss. Damals bestand große Hoffnung bei den Menschen der Region: Zwei Jahre zuvor hatten Israels damaliger Ministerpräsident Jitzhak Rabin, sein Außenminister Schimon Peres und Palästinenserpräsident Jassir Arafat den Friedensnobelpreis erhalten. Ich war Schulleiter an der Kölner Grundschule Irisweg und elektrisiert von dem Gedanken, mit dieser Stadt eine Schulpartnerschaft zu begründen. Wie bereichernd würde es für unsere Schüler sein, mit Kindern aus einem so anderen Land in Kontakt zu kommen.
Mit Hilfe der Stadt Köln und des Städtepartnerschaftsvereins waren die Kontakte schnell geknüpft. Und als wenige Monate später die Schulrätin für die palästinensischen Autonomiegebiete, Viola Raheb, unsere Schule besuchte, begeisterte sie mit Herzlichkeit, Engagement und Freude die gesamte Schulgemeinschaft. Sie überzeugte selbst die Skeptiker, hatten wir uns doch auch des Vorwurfs des Antisemitismus erwehren müssen. Und so begannen wir, eine Schulpartnerschaft mit der Dar-Al-Kalima-Schule in Bethlehem zu planen.
Die deutsche Grundschule Irisweg ist eine staatliche Schule für Kinder der Primarstufe, also im Alter von etwa sechs bis zehn Jahren. Die Dar-Al-Kalima-Schule hingegen, eine Einrichtung der Evangelisch-lutherischen Gemeinde, begleitet ihre Schüler vom Kindergarten bis zur 12. Klasse. Gemeinsam arbeiteten wir ein Konzept für unsere Partnerschaft mit folgenden Leitsätzen aus:
- Wir begegnen uns auf Augenhöhe, nicht: hier Geberland – dort Entwicklungsland.
- Wir tauschen themenbezogene Materialien zu Land, Kultur, Religion und Alltag aus und setzen sie in unserem Unterricht ein.
- Wir berichten unserer Partnerschule vom Unterricht, dem Schulleben, den Festen.
- Wir nutzen alle möglichen Wege der Kommunikation: Post, Internet, Telefon, Fax.
- Ein regelmäßiger Lehreraustausch soll stattfinden, ebenso Schüleraustauschprogramme je nach politischer Lage.
Am 6. 10. 1999 wurde die Vereinbarung offiziell unterzeichnet: Es war die erste Partnerschaft einer Kölner Grundschule mit einer palästinensischen Schule. Mittlerweile hält sie seit über 15 Jahren und hat auch schwierige politische Zeiten überstanden.
Wer Gastfreundschaft nicht schön findet
Wir schrieben uns von da an regelmäßig und starteten gemeinsame Projekte – wie zum Beispiel zum Thema „Wie leben Kinder, getrennt durch eine Mauer?“, das auf die Mauer in Deutschland vor 1989 und den Mauerbau in Bethlehem Bezug nahm. Das eigentliche Herzstück von Schulpartnerschaften aber sind persönliche Begegnungen. Diese waren angesichts der politischen Lage aber lange kaum möglich (siehe Kasten).
Erst nach über 10 Jahren Partnerschaft, im Dezember 2010, fand zum ersten Mal ein Schüleraustausch statt. Zehn Schüler aus Bethlehem kamen zu uns, lebten bei Gastfamilien, nahmen vormittags am Unterricht teil und nachmittags an einem Freizeit- und Kulturprogramm. Die Erfahrung war so wunderbar, dass wir sofort einen Gegenbesuch vereinbarten. Das Austauschprojekt wurde sogar gefördert und unterstützt vom Ministerium für Schule und Weiterbildung Nordrhein-Westfalen. Aber: Kann man mit Grundschülern in den Nahen Osten reisen?
Viele Eltern hatten Sorge, ihre noch sehr jungen Kinder so weit weg reisen zu lassen und noch dazu in eine Krisenregion. Die zündende Idee hatten sie aber schließlich selber: Sie boten an, ebenfalls mitzufahren. Die Kinder sollten in den Gastfamilien leben, während die Erwachsenen im Gästehaus der Schule untergebracht wurden. So war es ein richtiger Schüleraustausch – aber für den Notfall war immer ein Elternteil in der Nähe.
So stiegen wir am 9. 10. 2011 in den Flieger nach Tel Aviv, zehn Kinder, acht Mütter, zwei Lehrerinnen und ich: der Beginn einer unglaublichen Erfahrung. Wir hätten sicher 50 Kinder mitnehmen können, so groß war das Interesse unserer Gastschule an der Aufnahme unserer Kinder. Vormittags nahmen sie am Unterricht teil, nachmittags machten sie gemeinsame Aktionen, Exkursionen und Familienprogramm.
Trotz aller Bedenken, wie es den Kindern in den Gastfamilien ergehen würde, kamen sie dort wunderbar zurecht. Kinder können sich auch ohne gemeinsame Sprache erstaunlich gut verstehen und ausgelassen zusammen spielen. „Zain und ihre Familie waren sehr nett zu uns und haben uns sogar noch extra Bettwäsche und ein neues Bett gekauft“, schrieb Inka, 9 Jahre, nach der Reise. „Wer die Gastfreundschaft nicht schön findet, dem ist meiner Meinung nach nicht mehr zu helfen. Also ich und meine Mutter haben bestimmt 20 Kilo zugenommen. Wir hatten sehr viel Spaß, haben viel gelacht und tolle arabische Lieder gesungen. Ich hoffe, ich sehe meine palästinensische Freundin bald wieder und wir können wieder zusammen lachen.“
Einige Familien haben bis heute Kontakt gehalten und besuchen sich weiterhin gegenseitig. „Die unglaubliche Gastfreundschaft war wohl das eindrucksvollste Erlebnis für die deutsche Gruppe“, schreibt auch die Lehrerin Annelie Kuhn. „Dass wir mit Kindern zu Besuch gekommen waren, unterschied uns sehr von anderen Besuchergruppen und wurde als besonders zur Kenntnis genommen und als hoffnungsvolles Zeichen gewertet.“
Die Schüler haben von dieser Reise unvergessliche Eindrücke mitgebracht. Auch die politische Lage ist an ihnen nicht vorbeigegangen. „Die Mauer ist schrecklich anzusehen“, schrieb Inka. „Vor allen Dingen war ich sehr frustriert, als die Soldaten, die die Mauer bewachen, in den Bus kamen. Sie hatten riesige Maschinengewehre unter dem Arm und den Finger schon am Abzug.“ Auch Annelie Kuhn erinnert sich: „Dass die Bewohner Bethlehems sehr in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind, wurde auch bei unserem Ausflug nach Jerusalem klar. Bis auf zwei Mütter und deren Kinder, die einen besonderen Pass hatten, konnte kein palästinensisches Kind mitfahren.“
Natürlich stellt sich die Frage, ob man Grundschüler schon mit solch schwierigen Themen belasten muss. Wir haben dies im Vorfeld mit den Kindern diskutiert und uns bewusst dafür entschieden. Kinder haben ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden, besonders wenn es um ihresgleichen geht. Dabei denken sie nicht in Schwarzweiß- oder Gut-böse-Bildern, sondern differenzieren nach Menschlichkeit. Das politische Kalkül der Mächtigen interessiert sie nicht, das Wohlergehen der Menschen um sie herum ist ihre Prämisse. Wenn man die Widersprüche, die sich daraus ergeben, mit ihnen erörtert, entwickeln sie Engagement für Menschlichkeit, Völkerverständigung und Frieden.
Politisch, menschlich und nachhaltig
Für unsere Schulpartnerschaft sind wir mehrfach ausgezeichnet worden: Wir erhielten eine Ehrung durch den Oberbürgermeister, die Auszeichnung als Schule der Zukunft, den Hans-Jürgen-Wischnewski-Preis und gewannen den Wettbewerb „Kölner Schulen für nachhaltige Entwicklung“. Durch Wechsel der Schulleitungen in beiden Schulen findet gerade eine Neuorientierung statt, beide möchten die Partnerschaft aber fortführen.
Schulpartnerschaften sind eine hohe Kunst für die Leitungen von Schulen. Sie sind für alle Beteiligten – Schüler, Lehrer, Eltern, Schulleitung – das Besondere im Schulalltag. Sie schaffen Begegnungen, öffnen Herzen und bilden Menschen. Schulpartnerschaften sind politisch, menschlich und wirken nachhaltig.
Martin Verfürth ist Schulleiter a. D. und Initiator der Schulpartnerschaft zwischen der Grundschule Irisweg in Köln und der Dar- Al-Kalima-Schule in Bethlehem.
martin.verfuerth@koeln.de
Link:
Informationen zur Schulpartnerschaft:
http://grundschule-irisweg.de/CMS01/index.php?page=102