Niger

Leid in Libyens Schatten

Mit dem Ausbruch des bewaffneten Widerstandes verwandelte sich Libyen für afrikanische Migranten vom Land der Hoffnung in einen Albtraum. Die Lawine von Rückkehrern trifft das benachbarte Niger besonders hart.

Vor Ausbruch des Krieges in Libyen ließ Machthaber Muammar Gaddafi mehrere Tausende junger Westafrikaner ins Land. Umschlagplatz für die Migranten war die Stadt Agadez im Norden des Niger. Auf ihrem Weg durch die Sahara riskierten viele dieser jungen Menschen, die eine bessere Zukunft erhofften, ihr Leben. Um die gewaltigen Rückströme der Menschen zu bewältigen, beauftragte die Regierung von Niger eine Koordinierungsgruppe damit, die Lage aller Migranten aus Nigeria und anderswo im Auge zu behalten. Die Experten sprechen von rund 100 000 afrikanischen Rückkehrern aus Libyen, darunter 80 000 Nigerianer.

Überlastete Auffanglager

Die mittellosen und traumatisierten Flüchtlinge hausen in der nigerischen Grenzstadt Dirkou (Region Agadez) in Notunterkünften. Weitere Lager befinden sich in Tahoua und Niamey, der Hauptstadt von Niger. Um Hilfsmaßnahmen kümmert sich das vom Staat Niger gemeinsam mit internationalen Organisationen wie IOM, OCHA, dem Welternährungsprogramm WFP und dem Roten Kreuz organisierte Komitee. Es ließ mehrere Auffanglager bauen, um die Flüchtlinge mit Nahrung und Medizin zu versorgen, bevor sie an ihre einzelnen Zielorte geschickt werden, mit einer Spottprämie von umgerechnet rund drei Euro pro Kopf. Die Durchgangslager in Dirkou und Agadez sind mit dem immer noch wachsenden Flüchtlingsstrom völlig überfordert. Dort leben die Migranten eng zusammengepfercht, bedroht von Krankheit und Seuchen. Das Gesundheitsamt von Agadez berichtete schon über mehrere Dutzend Fälle von Masern und Meningitis.

Abgesehen von den sozialen Schwierigkeiten, beschert Libyens Bürgerkrieg der Republik Niger auch wirtschaftlichen und politischen Schaden, und schafft innere Unsicherheit. Einige der Flüchtlinge dienten leider auch als Kämpfer in Libyen und sind potenziell zu Gewalt bereit. Für den Norden des Landes war Libyen bislang der wichtigste Lebensmittellieferant. Als Bindeglied zwischen nördlicher und südlicher Sahara hat die Stadt Agadez aber ausgedient und ist heute nicht mehr wiederzuerkennen. Auch von den katastro­phalen Folgen des bewaffneten Aufstandes im Jahr 2007 hat sich die Region kaum erholt. Der Krieg in Libyen könnte die Wüstenregion, die mehr schlecht als recht unter Aufsicht der Hauptstadt Niamey steht, unregierbar machen. Höchstwahrscheinlich verhalfen die allgemeinen Ängste um die Sicherheit des Landes auch Brigi Rafini, einem Tuareg aus Agadez, am 7. April unerwartet ins Amt des Ministerpräsidenten. Die 23-köpfige Regierungsmannschaft unter seinem Vorsitz amtiert seit 21. April.

Schlechter Start für die neue Regierung

Die Flüchtlingslawine in Niger, einem der ärmsten Staaten der Welt, belastet die neuen Behörden des Landes zusätzlich. Wie das Unglück in Hoffnung umgemünzt werden könnte, ist für alle Politiker eine offene Frage. Der Vorsitzende des Komitees für Flüchtlingsprobleme, Agali Abdoulkader, schätzt die zur Abwendung der Katastrophe nötigen Kosten auf etwa zwei Millionen Euro. In einem Land, dem alles fehlt, ist auch diese Bagatellsumme kaum aufzutreiben. Tausende Flüchtlinge warten deshalb bis heute auf eine Rückkehrmöglichkeit zu ihren Familien, denen sie einst einen Teil ihrer Einkünfte zum Überleben nach Hause schickten. Premierminister Brigi Rafini meinte in einer Presse­runde, die Aussichten der ankommenden Rückkehrer auf soziale und wirtschaftliche Eingliederung in ihrer Heimat seien gut. Wegen Nigers leerer Staatskasse werden die im Elend lebenden Rückkehrer aus Libyen aber große Geduld brauchen, bis sie dem Leid entkommen.

Yahouza Sadissou

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