Kommentar

Überraschender Sieg

Die maoistischen Ex-Rebellen sind aus den Wahlen vom 10. April in Nepal unerwartet als stärkste Kraft in der Verfassunggebenden Versammlung hervorgegangen. Welche Hoffnungen sie werden erfüllen können, ist noch unklar. Fest steht dagegen, dass viele Wähler die etablierten Parteien und die Monarchie leid waren.

[ Von Thomas Bärthlein ]

Der maoistische Triumph überraschte die meisten Beobachter im In- und Ausland. Vor den Wahlen hatten sie die Ex-Rebellen auf dem dritten Platz hinter den beiden großen etablierten Parteien, dem Nepali Congress und dem Linksbündnis UML, gesehen. Selbst die Maoisten schienen Angst vor einem Debakel zu haben. Sie forderten bis zuletzt von den anderen Parteien Garantien, dass wenigstens ihre Spitzenpolitiker Mandate bekommen würden.

Nach zahlreichen Gesprächen mit Wählern und politischen Beobachtern in Nepal scheinen mir drei Motive den Ausschlag gegeben zu haben:
– Protest: Viele Wähler waren enttäuscht von den anderen Parteien, und sie waren der Monarchie überdrüssig. Sie wollten daher den Maoisten „eine Chance geben“, wie viele es ausdrückten. Der Wunsch nach einem „neuen Nepal“ ging einher mit dem nach neuen Gesichtern. Dazu passt auch das sehr gute Abschneiden der neuen Regionalpartei „Madhesi Forum“ im Grenzgebiet zu Indien, die freilich mit den Maoisten verfeindet ist.
– Hohe Erwartungen: Bisher diskriminierte Gruppen hoffen, dass sich ihre Lage unter den Maoisten bessern wird. Dazu gehören Frauen genauso wie unterdrückte Kasten, ethnische Minderheiten und die ländlichen Armen. Privilegierte Eliten in Südasien neigen dazu, das Ausmaß der Unzufriedenheit der Massen zu unterschätzen: So hat ja auch die Niederlage der BJP bei den letzten Wahlen in Indien die meisten Experten überrascht. Es sind aber nicht nur klassisch „linke“ Themen der sozialen Gerechtigkeit, die Maoisten-Wähler überzeugt haben. Die ehemaligen Rebellen gelten auch als weniger korrupt. Interessanterweise ist sogar die Hoffnung verbreitet, die Maoisten könnten Nepal zu einer Art „Schweiz“ machen.
– Frieden: Die Maoisten hatten immer wieder damit gedroht, im Falle einer Niederlage wieder zu den Waffen zu greifen. Viele Wähler wollten offenbar sicherstellen, dass der Friedensprozess weitergeht. Dafür müssen die Maoisten in den politischen Mainstream integriert werden.

Auf den ersten Blick scheint das parlamentarische System auch stabilisiert worden zu sein. Die hohe Wahlbeteiligung von 60 Prozent ist ein Vertrauensbeweis. Den Maoisten dürfte der Weg zurück in den Un­tergrund nun erst mal verbaut sein. Sie stellen – ohne absolute Mehrheit – die stärkste Fraktion in der Verfassungsgebenden Versammlung. Andererseits hat sich wieder gezeigt, dass die Grenze zwischen Politik in gewählten Gremien und außerparlamentarischer Militanz in Südasien recht durchlässig ist. Die Hemmschwelle, Gewalt anzuwenden, ist niedriger – aber auch die Chance ist größer, Guerilla-Bewegungen in den Main­stream zurückzuholen.

Inzwischen bemühen sich die Maoisten darum, gemäßigt aufzutreten und Vertrauen im In- und Ausland aufzubauen. Sie haben sich zum Mehrparteiensystem, zum Friedensprozess und der Zusammenarbeit mit allen Parteien bei der Ausarbeitung der neuen Verfassung bekannt. Die internationale Gemeinschaft sollte dieser durch Wahlen legitimierten Kraft eine Chance geben, sich im Amt verantwortungsbewusst zu bewähren. Der Versuch, die „Terroristen“ zu marginalisieren, würde sich vermutlich als sich selbst erfüllende Prophezeiung erweisen.

In Nepal selbst zeichnet sich derweil eine Art Rollentausch unter den Parteien ab. Bislang spielten die Maoisten in der Allparteien-Übergangsregierung die Störenfriede – etwa mit der permanenten Drohung, die Wahlen platzen zu lassen. Nach ihrer Wahlniederlage hat nun dagegen die UML ihren Rückzug aus dem Kabinett angekündigt; und die Maoisten umwerben plötzlich die anderen Parteien. Dass sogar das „Madhesi Forum“ Gesprächsbereitschaft zeigt und in die Regierung eintreten will, ist ein positives Zeichen.

Der größte Erfolg für Frieden, Stabilität und Demokratie in Nepal war es, dass die zweimal verschobenen Wahlen trotz Bedenken und Widerstands stattgefunden haben und relativ friedlich verliefen. Sicherlich wird die starke Zivilgesellschaft in Nepal Druck auf die Parteien ausüben, beim Friedens- und Verfassungsprozess Kurs zu halten.

Ein Verlierer steht indessen fest: Der unpopuläre König Gyanendra muss seinen Palast bald räumen.

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