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Energieversorgung

Javas Muslime gegen Atomkraft

In Indonesien kämpfen zivilgesellschaftliche Organisationen gegen Regierungs­pläne, Kernkraft einzuführen. Während Behörden wirtschaftlich attraktive, klimafreundliche Chancen wittern, sorgen sich Umweltaktivisten vor allem um Atommüll, Unfallrisiken und die Befreiung der Industrie von der Schadenshaftung. Die Debatte verläuft ähnlich wie in anderen Ländern, wo unabhängige Organisationen stärkere Teilhabe an öffentlichen Entscheidungen über riskante Technologien forderten.

[ Von Edith Koesoemawiria ]

Indonesien diskutiert derzeit intensiv über die Vor- und Nachteile der Atomkraft. Seit über einem Jahrzehnt wirbt die nationale Atomenergiebehörde BATAN für die Nutzung dieser Technologie. Auf ihrer Webseite schreibt sie, „gewisse Interessengruppen“ versuchten deren Akzeptanz zu untergraben, indem sie suggerierten, Indonesien plane ein Kraftwerk vom Tschernobyl-Typ.

Jahrelang redete die Regierung über die nukleare Option, ohne jedoch einen offiziellen Plan zum Bau entsprechender Einrichtungen zu haben. Bis 1998 war das Interesse an Kernenergie angesichts der indonesischen Ölvorkommen weitgehend theoretischer Natur. Doch dann geriet das Land in eine vielschichtige Krise, und die Energiefrage wurde neu gestellt. Unterstützt von der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA kam ein von BATAN und der nationalen Technologieagentur BPPT koordiniertes Team zu dem Schluss, dass Atomenergie zukünftig wichtig werden würde. Im vergangenen Jahr kündigte die Regierung dann an, sie werde bis 2016 acht Milliarden Dollar in den Bau von vier 1000-Megawatt-Reaktoren investieren, weil sonst die Wachstumsregionen auf den Inseln Java, Madura und Bali in eine Energiekrise stürzen würden.

Die indonesische Umweltgruppe Pelangi sieht das anders. Ihrer Ansicht nach werden die Inseln weniger stark wirtschaftlich wachsen als die Regierung erwartet. Außerdem gibt es ernste Warnungen von unabhängigen Experten, etwa angesichts der Kosten und Risiken der Endlagerung, die von der Regierung unterschätzt würden. Atommüll bleibt für Jahrtausende gefährlich, und selbst in reichen Ländern wie Deutschland ist die Endlagerung ein ungelöstes Problem.
Die Umweltschützer betonen zudem die regional große Gefahr von Erdbeben und Tsunamis, die auch Atomanlagen bedrohen. Im August meldete beispielsweise die Organisation WALHI (Friends of the Earth Indonesia): „Erdbeben in der Javasee zeigt: Region für Kernkraft ungeeignet.“

Entsprechend kritisch sehen die Oppositionsgruppen Gesetze, nach denen die Atomindustrie für Schäden durch natürliche oder menschenverursachte Ka­tastrophen sowie durch Konflikte oder durch Dritte verursachte Unfälle nicht haften muss. Solche Haftungsfreistellungen sind aus anderen Ländern wohlbekannt.

Die Regierung hält an ihrem Vorhaben fest. Sie argumentiert, Kernkraft sei billig und verringere die Abhängigkeit des Landes von fossilen Brennstoffen. Nach ihren Daten wird eine Kilowattstunde aus einem modernen Atomkraftwerk 0,015 US-Dollar kosten – knapp die Hälfte der Kosten für fossile Energie und nur ein Drittel des aktuellen indonesischen Strompreises. BATAN betont, die Technologie sei ungefährlich und kli­maneutral. Die IAEA werde alle Projekte prüfen, Baugenehmigungen gebe es nur nach Vorschrift und unter strenger Aufsicht. Die Botschaft lautet: Überlasst die Sache professionellen Fachleuten.

Es gibt jedoch Grund, der offiziellen Expertokratie nicht zu vertrauen. Im Katastrophenfall fallen Hilfeleistungen und Kompensationszahlungen in Indonesien in der Regel sehr dürftig aus. Viele Menschen erinnern sich zum Beispiel noch an einen Bohrunfall auf Java mit anschließendem Schlammausfluss, der mehrere Dörfer begrub. Die Unfallopfer sind heute bettelarm. Ein weiteres Beispiel: Über eine Explosion in einem konventionellen Elektrizitätswerk haben die Behörden kürzlich nicht einmal offiziell Bericht erstattet.

Niedrige Sicherheitsstandards und die Intransparenz der Regierung empören die Umweltschützer. Auch Korruption sorgt sie. Strom ist für indonesische Verbraucher schließlich deshalb so teuer, weil Bestechung zu schlechtem Management führt. Die Umweltorganisationen unter dem Dach von MANI, der Gesellschaft gegen Atomkraft in Indonesien, informieren daher nicht nur über Stärken und Schwächen verschiedener Technologien, sondern setzen sich auch für eine öffentliche Beteiligung an der Entscheidungsfindung ein.

Bei einem Treffen der größten muslimischen Organisation Indonesiens „Nahdatul Ulama“ im September im zentral-javanischen Jepara berieten Islam-Gelehrte über Atomkraft. Die Argumente der Regierung und der Umweltaktivisten wurden geprüft. Nach der Diskussion war Konsens, dass Kernkraft Vor- und Nachteile habe, die Nachteile auf Java aber überwögen. Da andere Energiequellen erschlossen werden könnten, entschied die Versammlung, Kernkraft sei auf Javas Muria-Halbinsel „haram“ – also vom Islam verboten. Dass eine Sache einen gewissen Nutzen habe, so das Argument, bedeute nicht, dass sie ein Segen sei.


Grenzüberschreitende Bedenken

Bedenken gegen Kernenergie gibt es nicht nur in Indonesien. Ende September veranstalteten das indonesische Zentrum für Strategische und Internationale Studien CSIS und das Institut für Internationale Angelegenheiten SIIA aus Singapur den „1st Regional Work­shop on Environment, Energy and Nuclear Safety” in Jakarta. Ziel war, den ASEAN-Gipfel im November in Singapur vorzubereiten.

Die Abschlusserklärung spricht die Atomfrage mehrfach an: Die Regierungen sollten sich auf die Förderung ausreichender, ungefährlicher und zukunftsfähiger Energien konzentrieren, um das Wohlergehen der Menschen zu steigern, heißt es. Deshalb solle Energiepolitik folgende Aspekte betonen:
– Erhöhung der Effizienz bei der Produktion und beim Verbrauch von Energie;
– Investitionen in alternative und erneuerbare Energien, einschließlich Solar- und Windenergie sowie Geothermie, insbesondere dort, wo das Potenzial solcher Quellen groß ist;
– Öffnung der Märkte für Investitionen in die Entwick­lung, Produktion und Nutzung von Energie sowie in höhere Energieeffizienz und neue Technologien und
– Erwägung einer Politik und entsprechenden Infrastruktur für „Mikroenergie“, um sämtlichen sozialen Gruppen Zugang zu Energie zu verschaffen, auch solchen, die nicht in der Nähe der Hauptstadt leben.

Das Dokument warnt, Atomkraft berge viele Unsicherheiten bezüglich Kosten, Sicherheit, Uranversorgung und Endlagerung. Angesichts dieser Risiken sei diese Technologie nur eine letzte Option. Auch die wirtschaftliche Rentabilität sei keineswegs sicher, da beispielsweise Uranpreise deutlich steigen könnten.

Die Abschlusserklärung verweist zudem auf die Gefahr von Terrorangriffen auf Atomanlagen und betont nochmals die Gefahr durch Naturkatastrophen. Die ASEAN-Mitglieder werden aufgerufen, im Interesse der Sicherheit die größte Vorsicht walten zu lassen und alle erdenklichen Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen.

Was jedoch die geplanten Projekte in Indonesien betrifft, haben das Parlament und die IAEA bereits die ersten Entwürfe für eine Atomkraftanlage gebilligt; die IAEA hat 1,34 Millionen Dollar für technische Hilfe freigegeben. Bürokratie und unvorhergesehene Baukosten könnten einer nuklearen Zukunft Indonesiens jedoch immer noch im Weg stehen – wie auch die zivilgesellschaftliche Opposition. Die Erfahrungen anderer Länder lehrt, dass der Kampf gegen Atomenergie viele Jahre andauern kann.