Zivilgesellschaft
Chinesische Wege zum Klimaschutz
[ Von Miriam Schröder und Melanie Müller ]
Nichtstaatliche chinesische Organisationen, die sich mit Umweltschutz befassen, sind zum Modethema in der westlichen Berichterstattung geworden. Und das nicht ohne Grund: Sie vereinen, was China betrifft, zwei der größten Hoffnungen des Westens: das Aufblühen einer Zivilgesellschaft und einen Beitrag zum globalen Umwelt- und Klimaschutz. Tatsächlich tut sich auch einiges: Mitte der 1990er Jahre gab es gerade einmal eine Handvoll registrierte Umwelt-Organisationen, im Jahr 2006 waren es nach Angaben der regierungsnahen Organisation ACEF – „All China Environmental Federation“ – 2.768.
Neben den klassischen Naturschutzthemen geht es immer mehr auch um Klimafragen. Und zunehmend vernetzen sich die Chinesen mit ihren internationalen Mitstreitern. Gleichzeitig schränkt ihre Regierung sie erheblich ein. Sie beaufsichtigt die Arbeit der Organisationen und kann sie sogar blockieren – eine Gratwanderung für die Mitarbeiter.
Klimaschutz wird zum Thema
In den Jahren 2004 und 2005 trafen Engpässe in der Energieversorgung Bevölkerung und Industrie hart. Seither hat die Regierung Klimaschutz und nationale Förderung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien zu einer nationalen Priorität erklärt. Zudem will sie damit zum internationalen Klimaschutz beitragen. Auch chinesische NROs sind dabei, das Thema zu entdecken. Als sie im Dezember 2007 in Bali die erste gemeinsame Stellungnahme zum Kyoto-Protokoll vorstellten, sorgte das für Aufsehen.
Die Aktion basierte auf einer Umfrage unter 100 chinesischen NROs und wurde von den chinesischen „Friends of the Nature“ mit Hilfe internationaler Organisationen organisiert.
Das Resultat allerdings halten einige Vertreter chinesischer NROs für regierungskonform, „zu konservativ“ und „langweilig“. So beklagt eine Mitarbeiterin: „Keine westliche NRO hätte eine derartige Position formuliert. Es gibt nichts in dem Papier, für das wir uns noch einsetzen müssten, es wurden bereits alle Forderungen darin realisiert.“ Dennoch ist das Papier ein erster Schritt, um der chinesischen Zivilgesellschaft eine Stimme in den Klimaschutzverhandlungen zu geben. Diesen Schritt begrüßte auch die chinesische Delegation in Bali. Künftig könnte das die Grundlage für eine kritischere Kommunikation sein.
Informieren, erziehen, beraten
Nichtstaatliche Organisationen in China haben andere Kampagnenstile entwickelt als ihre westlichen Counterparts: sie informieren, erziehen und beraten. Energiesparen bedeutet Geldsparen, daher wird Klimaschutz eher als lokales und zugleich als soziales Problem betrachtet. Konfrontation oder Shaming-Kampagnen, bei denen Organisationen öffentlich bloßgestellt und so unter Druck gesetzt werden, sind Tabu. Kritik ist erlaubt – aber nur in Verbindung mit konstruktiven Lösungsvorschlägen.
Besonders Medien- und Informationskampagnen sehen die Aktivisten als erfolgreiche Strategien zur Durchsetzung ihrer Interessen. Beispielsweise laden sie Regierungsvertreter zu Workshops oder Informationsveranstaltungen ein – je nachdem, wie brisant das Thema ist, nehmen daran auch Journalisten, Wissenschaftler und interessierte Bürger teil.
Es gibt immer mehr Kampagnen, die für den Klimaschutz relevant sind. Nun wollen sich mehr als zehn chinesische und in China operierende internationale NROs zu „CAN China“ zusammenschließen. Im Rahmen dieses globalen Netzwerks nichtstaatlicher Organisationen „Climate Action Network“ (CAN) wollen sie ihre Position im Klimaschutz international besser vertreten. „NROs haben mehr Einfluss, wenn sie in Netzwerken arbeiten. Sie können ihr Wissen teilen und so etwas erreichen“, meint eine der Initiatorinnen. Im Rahmen des CAN-Netzwerks könne man internationale Kompetenz nutzen und internationale Partner um Rat fragen. „Das Netz ist wie eine Brücke.“
Chinas Studierende zeigen, wie das geht: Sieben grüne Studentengruppen haben sich bereits zum Youth Climate Action Network (CYCAN) zusammengeschlossen. An den Universitäten wollen sie Klimaschutz-Kampagnen durchführen und sich zum Erfahrungsaustausch mit internationalen Kommilitonen vernetzen. Für 24 chinesische Unis wollen sie „Carbon footprints“ erstellen.
Dabei stoßen sie in der Verwaltung auf Hindernisse. Dennoch hoffen sie, mit ihrer Aktion sowohl beim Management als auch bei den Studierenden das Bewusstsein für eine klimafreundlichere Gestaltung des Campus zu wecken.
Erfolgreich war auch die „26-Grad-Kampagne“, die 2005 sechs NROs starteten. Um Energie zu sparen, schalteten sie im Sommer alle Klimaanlagen auf 26 Grad hoch. Auf diese Weise wurden 350.000–550.000 Tonnen weniger CO2 ausgestoßen, gleichzeitig sparten die beteiligten Haushalte viel Geld. Einen Teilerfolg sehen die Aktivisten darin, dass der Staatsrat 2007 eine Resolution erließ, die eine Temperaturkontrolle für Klimaanlagen in öffentlichen Gebäuden fordert.
Großveranstaltungen sind gute Gelegenheiten für Kampagnen – für westliche wie chinesische Organisationen. So rief WWF China vor den Olympischen Spielen die „Go for Gold Campaign“ ins Leben und forderte teilnehmende Sportler auf, die Emissionen für ihren Flug durch eine CO2-Abgabe zu neutralisieren. Das so gewonnene Geld wurde in den Bau einer Windenergieanlage in der Provinz Fujian und andere Projekte investiert.
Enge Zusammenarbeit mit der Regierung
Bei allen Unterschieden ist doch allen Projekten eines gemein: Sie bleiben auf Regierungslinie. Um überhaupt als Nichtregierungsorganisation tätig werden zu können, müssen sie bürokratische Hürden nehmen. Sie müssen sich beim Ministerium für zivile Angelegenheiten oder beim lokalen Büro des Ministeriums melden und angeben, was ihre Ziele und Absichten sind. Um registriert zu werden, braucht jede NRO eine staatliche so genannte Paten-Organisation, die für die Arbeit der NROs verantwortlich ist und deren Status jährlich prüft.
Sind die institutionellen Hürden überwunden, stehen die NRO-Mitarbeiter oft unter Beobachtung der Behörden. Doch auch um erfolgreiche Lobbyarbeit zu betreiben, sind sie auf gute Kontakte in die oberen Etagen angewiesen. Viele haben die Handynummern der zuständigen Regierungsmitarbeiter oder halten per E-Mail Kontakt. Diese informellen und unbürokratischen Wege erleichtern die Zusammenarbeit. Umgekehrt interessieren sich auch die Regierungsvertreter für die NROs, wie eine der Aktiven erklärt: „Sie wollen auch wissen, was die NROs denken. Wir haben nicht viel Einfluss im Land, aber wenn wir zu internationalen Treffen gehen, repräsentieren wir China, also kann unser Denken auch deren Position beeinflussen. Und daher will auch die Regierung wissen, was wir denken.“
Sie glaubt, dass der Regierung bewusst wird, dass sie durch die NROs international an Glaubwürdigkeit gewinnt. „Wir wollen auch, dass Umweltziele erreicht werden und setzen uns für globale Zielvorgaben ein. Aber wir haben unterschiedliche Rollen. Wenn wir die gleiche Meinung wie die Regierung hätten, könnten wir auch gleich der Regierung beitreten.“
Vernetzung und internationale Expertise
Die chinesischen NROs führen ihre Kampagnen selten alleine durch. Oft kooperieren sie mit anderen Akteuren im Umweltbereich oder mit internationalen Nichtregierungsorganisationen (INROs). Zum einen ist ihre finanzielle Lage schlecht: Klassische Spendenkampagnen werden neuerdings zwar durchgeführt, sind aber in China wenig ertragreich. Zum anderen haben internationale Organisationen Erfahrungen mit Kampagnenführung, von denen die chinesischen Partner profitieren können. Und nicht zuletzt haben die NROs im Klimabereich gar nicht die Kapazitäten, derartige Projekte allein zu schultern.
„Chinesische Organisationen haben Schwierigkeiten in der taktischen Arbeit. Daher wollen wir das CAN-Netzwerk gründen“, sagt eine chinesische NRO-Vertreterin. Wer mitdiskutieren wolle, müsse das gleiche Wissen haben wie die anderen Akteure und brauche Kapazitäten, diese Informationen zu bündeln. Sobald man das technische Wissen habe, könne man über Werte diskutieren und entscheiden, welche Meinung man vertritt – genau das sei es, was nichtstaatliche Organisationen von den Think Tanks der Regierungen unterscheide. „Ich sehe es als einen Prozess, so wie es auch bei der Umweltbewegung in Europa war. In China ist diese Bewegung erst 13 Jahre alt, aber sie hat schon einen guten Weg zurückgelegt, trotz der Hindernisse durch die Regierung.“
Die Zusammenarbeit mit INROs ist aber nicht immer unproblematisch. Meist sorgen kulturelle Differenzen für Schwierigkeiten: INROs können die Situation vor Ort oft nicht angemessen einschätzen und fordern Dinge von ihren chinesischen Partnern, die diese nicht erfüllen können. Statt kleine Pilotprojekte auf lokaler Ebene durchzuführen, wollen die ausländischen Gruppen oft sofort nationale Veränderungen bewirken. Mit diesen Ansprüchen überfordern sie die chinesischen Mitarbeiter.
Für den CDM fehlen Kapazitäten
Neben dem Organisatorischen ist auch das Inhaltliche nicht immer einfach zu bewältigen. Weil der Klimawandel ein komplexes Thema ist und viel Wissen voraussetzt, China aber auch genügend lokale Umweltprobleme hat, setzen sich viele chinesische NROs andere Prioritäten. Dabei verspielen sie wichtige Mitspracherechte bei der Durchführung von Programmen, etwa im Rahmen des Clean Development Mechanism (CDM).
Der CDM ist einer der drei flexiblen Mechanismen des Kyoto-Protokolls. Durch CDM-Projekte in Entwicklungsländern werden Zertifikate über reduzierte Treibhausgase generiert, die sich Unternehmen in Industrieländern auf ihre eigenen Treibhausgasemissionen anrechnen lassen können. Während der Projektplanung werden innerhalb eines bestimmten Zeitraums CDM-Projekte im Internet veröffentlicht, die jeder kommentieren kann. Das soll es Anwohnern und zivilgesellschaftlichen Gruppen ermöglichen, Bedenken einzubringen oder auf Entwicklungspotentiale aufmerksam zu machen.
Grundsätzlich sehen die Mitarbeiter nichtstaatlicher Organisationen in CDM-Projekten ein gutes Modell, Investitionen für erneuerbare Energien oder Aufforstung aus dem Ausland zu erhalten. Kritik an derartigen Unternehmungen haben sie daher nicht: „Die meisten Projekte reduzieren Emissionen, also wäre es unlogisch, wenn man öffentlichen Ärger darum machen würde.“ Allerdings würden die Umweltverträglichkeitsprüfungen der CDM-Projekte nicht immer eingehalten, warnen manche NROs. Zudem läge ein zu starker Fokus auf der Reduktion von Emissionen: „Es sollte nicht nur um Klimawandel gehen, sondern auch um Armutsreduzierung und die Erhaltung der Biodiversität.“ Daher macht die INRO „The Nature Conservancy“ bei staatlichen Umweltbehörden in China Lobbyarbeit auf Zentral- und Provinzebene, um den Climate Community and Biodiversity (CCB) Standard in chinesische Aufforstungs-CDM-Projekte zu integrieren. Dieser soll sicherstellen, dass Anwohner ihre Bedenken in die Projektplanung einbringen können und Aufforstungsprogramme nicht nur nach Reduktion von Treibhausgasen, sondern auch nach deren Beitrag zur Biodiversität bewertet werden.
Nichtstaatliche Vermittler
Einen festen Platz haben die lokalen NROs in der chinesischen Klimapolitik aber noch lange nicht. Zu groß ist das Spannungsfeld, zwischen restriktiver Regierung, internationalen Anforderungen und eigenen Zielen, in dem sie sich bewegen. Allerdings ist es ihnen gelungen, eine wichtige Vermittlerrolle einzunehmen. Als Katalysatoren vermitteln sie neue Ideen aus dem internationalen Feld in die chinesische Politik. Und wie eine Art nichtstaatliche think tanks können sie eigene Ideen für den Klimaschutz entwickeln. Um diese Möglichkeiten aber optimal zu nutzen und zu erweitern, fehlt den meisten die Kapazität und oft auch noch die Erfahrung bei der Kampagnenführung oder das Fachwissen im Bereich des Klimawandels.
Europäische Akteure sollten das wachsende Interesse am Klimaschutz dafür nutzen, die nichtstaatlichen Organisationen auf der Suche nach einem chinesischen Weg zum Klimaschutz zu unterstützen – finanziell und durch Wissensaustausch. Zugleich sollten kulturelle Differenzen und staatliche Einschränkungen nicht unterschätzt werden. Ansonsten besteht die Gefahr, die Mitarbeiter zu überfordern oder mit westlichen Standards zu überladen, die an der chinesischen Realität vorbeigehen.