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Konzernatlas 2017

Die Macht über unser Essen

Die Nahrungsmittelindustrie „schrumpft sich groß“: Immer weniger internationale Großkonzerne bestimmen die Weltmärkte vom Acker bis zur Ladentheke. Eine neue Publikation klärt über die Folgen auf.
Große Ketten zerstören traditionelle Läden und Märkte: Supermarkt in Mumbai, Indien. Böthling/Photography Große Ketten zerstören traditionelle Läden und Märkte: Supermarkt in Mumbai, Indien.

Wohin sich die Agrar- und Lebensmittelbranche entwickelt, betrifft uns alle, betont der Konzernatlas 2017, den die Heinrich-Böll-Stiftung, die Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Germanwatch, Oxfam und Le Monde Diplomatique Mitte Januar veröffentlichten. Am härtesten trifft es dabei die schwächsten Glieder in der Lieferkette: Die Bauern und Arbeiter in Schwellen- und Entwicklungsländern sind der Marktmacht der Konzerne völlig ausgeliefert.

Alle Unternehmen entlang der Lieferkette werden immer größer. Seit 2015 fanden zwölf Mega-Fusionen in der Agrar- und Nahrungsmittelbranche statt. So bestimmen bislang noch sieben Unternehmen die weltweite Produktion von Pestiziden und Saatgut. Ende 2017 werden es nur mehr vier Riesen sein. Der deutsche Bayer-Konzern will den US-Saatgutriesen Monsanto kaufen und damit zum größten Hersteller von Agrarchemikalien werden. Die US-Konzerne DuPont und Dow Chemical planen zu fusionieren und ChemChina möchte den Schweizer Chemiekonzern Syngenta kaufen. Den Autoren zufolge beherrschten drei von ihnen künftig mehr als 60 Prozent der Märkte für kommerzielles Saatgut und Agrarchemikalien. Fast alle arbeiteten mit gentechnisch veränderten Pflanzen.

Je mehr Marktmacht sich in den Händen weniger bündele, desto mehr seien Verbraucher von deren Produkten abhängig. Vor allem die Bauern müssten sich die Preise von Saatgut und Pestiziden diktieren lassen, bemängeln die Autoren.

Neben der Gentechnik verändere auch die Digitalisierung die Landwirtschaft. Das neue Credo: Digitalisiere oder weiche. Landwirtschaftliche Betriebe seien zunehmend von Farmmanagement-Systemen der Agrarkonzerne abhängig. Diese Technik könnten sich Kleinbauern nicht leisten.


Vier Riesen verhandeln über die Welt

Sind Weizen, Mais und Sojabohnen einmal geerntet, kommen die so genannten ABCD-Händler ins Spiel. Vier Konzerne dominieren der Publikation zufolge den Im- und Export von Agrarrohstoffen: die US-Konzerne Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und das niederländische Pendant, die Louis Dreyfus Company. Sie handeln, transportieren und verarbeiten zahlreiche Rohstoffe mit einem Weltmarktanteil von 70 Prozent und haben eine enorme Verhandlungsmacht.

Die Agrarhändler liefern die billigen Rohstoffe dann an große Lebensmittelkonzerne wie Unilever, Nestlé, Heinz, Mars, Kellogg’s und Tchibo. Diese gehören wiederum zu den Top-Lieferanten der großen Supermarktketten. In Deutschland decken vier Ketten 85 Prozent des Lebensmitteleinzelhandels ab. Die Ketten hätten nach Angaben der Autoren eine Türsteherfunktion; sie bestimmten, wer wie Lebensmittel produziere und welche Lebensmittel überhaupt im Regal landeten.

Damit steige der Druck auf Zulieferfirmen. Sie bezahlten dafür, dass ihre Produkte in den Regalen auslägen. Diesen Druck gäben die Zulieferer an die Erzeuger weiter, denen längere Arbeitsstunden und weniger Lohn drohten, heißt es im Atlas. Am stärksten expandierten jedoch die Lebensmittelketten in Ländern mit mittlerem Einkommen, wie etwa in Indien, Indonesien und Nigeria. Die „Supermarkt-Revolution“ gehe überall auf Kosten traditioneller Geschäfte und Märkte.

Zwar behaupteten viele Lebensmittelkonzerne, sie bekämpften den Welthunger durch die gesteigerte Lebensmittelproduktion. Tatsächlich habe laut Konzernatlas die Produktion der bewirtschafteten Ackerflächen nicht zugenommen, sondern Millionen Hektar Ackerflächen würden für Futtermittel und Biotreibstoff genutzt. Diese Monokulturen zerstörten jährlich 24 Milliarden Tonnen fruchtbaren Boden weltweit. Dass es fast 800 Millionen unterernährte Menschen auf der Welt gebe, sei also nicht der Nahrungsknappheit geschuldet, sondern bleibe ein Verteilungsproblem.

Die Herausgeber des Konzernatlas wollen die Politik in die Pflicht nehmen. Sie verlangen, dass das Kartell- und Wettbewerbsrecht hierzulande erweitert werde, um die Verbraucher und Bauern vor der Machtkonzentration der Konzerne zu schützen. Der Gegenentwurf lautet: agrarökologische Methoden. Nur so könne man zu großen Ertragssteigerungen kommen, die wirklich den Bauern und Produzenten nutzten.


Link

Konzernatlas 2017:
https://www.oxfam.de/ueber-uns/publikationen/konzernatlas-2017