Weltwärts

Gleiche Normen

Seit 2013 bietet das weltwärts-Programm Jugendlichen aus Entwicklungsländern die Möglichkeit, Freiwilligenarbeit in Deutschland zu machen. Engagement Global fördert das Programm im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Vidya Varghese, eine Teilnehmerin aus Indien, berichtet von ihren Erfahrungen.
Vidya Varghese bei einem Kochkurs, den sie für die Karl Kübel Stiftung gegeben hat. private Vidya Varghese bei einem Kochkurs, den sie für die Karl Kübel Stiftung gegeben hat.

Ich bin Psychologin und komme aus Tarikere, einer kleinen Stadt im südindischen Bundesstaat Karnataka. In meinem Heimatland arbeite ich auf Teilzeitbasis als Beraterin für eine NGO namens VIKASANA. Diese kümmert sich um Straßenkinder, Alleinerziehende, Schulabbrecher und Kinderarbeiter, die zum Beispiel mit Heimweh zu kämpfen haben. Viele der Kinder lernen langsam und sprechen unsere Sprache nicht gut. Wir spielen mit ihnen und bieten ihnen verschiedene Aktivitäten an, die ihnen helfen, zu lernen und ihr Verhalten zu verbessern.

In Deutschland habe ich für die Karl Kübel Stiftung gearbeitet, eine deutsche NGO und Partnerorganisation von VIKASANA, die sich insbesondere um Kinder und Familien kümmert. Ich habe die internationale Entwicklungsabteilung der Stiftung an ihrem Hauptsitz in Bensheim unterstützt, einer kleinen Stadt bei Frankfurt. Ich habe im Büro gearbeitet, Seminare an deutschen Schulen geleitet und sogar einen Kochkurs gegeben, um für Fairtrade-Läden zu werben. Außerdem habe ich geholfen, deutsche weltwärts-Freiwillige auf ihren Aufenthalt in Indien vorzubereiten.

Es war spannend, mit verschiedenen deutschen NGOs in Kontakt zu kommen, die sich um die Integration von Menschen mit Behinderungen – auch psychischer und psychologischer Art – bemühen. Ich hatte die Gelegenheit, auch bei der Chris­toffel-Blindenmission (CBM) reinzuschnuppern, einer internationalen Hilfsorganisation, die sich für die Belange von Behinderten einsetzt und die ebenfalls in Bensheim sitzt.

Als ich für weltwärts ausgewählt wurde, war ich etwas nervös wegen der kulturellen Unterschiede. Ich dachte, die Deutschen seien sehr pünktlich, aufgabenorientiert und unflexibel. Würde ich das schaffen? Und würde ich zu meiner Gastfamilie passen? Es zeigte sich, dass meine Sorgen unbegründet waren. Meine Zeit in Deutschland war sehr schön und hilfreich.

In Deutschland habe ich mich gerne mit älteren Menschen unterhalten, um zu verstehen, wie sich dieses Land entwickelt hat. Inzwischen weiß ich, dass Deutschland früher manche der gleichen Probleme hatte wie Indien heute – etwa, was soziale, wirtschaftliche und Entwicklungsbelange angeht.

Indiens und Deutschlands Normen ähneln sich, wie ich finde. Aber in Deutschland sind sie tendenziell besser umgesetzt als in Indien, und der Staat fördert das. Da in Deutschland jeder Schulbildung erhält, ist das Grundverständnis für das Rechtssystem und die Regierungsarbeit viel ausgeprägter. Es scheint auch so, als seien die Deutschen eher bereit, die Initiative zu ergreifen, um etwas zu verändern. Die indische Gesellschaft ist wesentlich ärmer, und die Menschen sind oft so mit ihren eigenen Sorgen beschäftigt, dass sie kaum ein Auge für gesellschaftspolitische Probleme haben.

Ich habe beobachtet, dass die Deutschen unabhängiger sind als die Inder und dass Unabhängigkeit schon bei kleinen Kindern gefördert wird. Es spielt auch eine Rolle, dass die Kinder nicht ausschließlich von ihren Familien versorgt werden. Die meisten kleinen Kinder verbringen zumindest ein paar Stunden täglich in Kindergärten, die hohe Standards erfüllen müssen. In Indien ist das ganz anders. Der Familienzusammenhalt spielt eine viel größere Rolle als in Deutschland, was es Kindern aus dysfunktionalen Familien besonders schwer macht.

Ich war früher ziemlich schüchtern und tat mich schwer, vor Publikum zu sprechen. Nun habe ich mehr Selbstbewusstsein entwickelt. Ich bin stolz, jetzt sagen zu können, dass ich Präsentationen machen und sogar frei sprechen kann. Diesbezüglich war der Aufenthalt in Deutschland für mich sehr hilfreich. Ich bin unabhängiger und eloquenter geworden und weiß besser Bescheid über meinen Beruf. Mein Selbstvertrauen ist gewachsen.

Die Freiwilligenarbeit in Deutschland hat mir geholfen, kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu verstehen. Das hat zu meiner persönlichen Weiterentwicklung beigetragen, und ich weiß nun genauer, was ich aus meinem Leben machen will.


Vidya Varghese ist 26 Jahre alt und war 2016 weltwärts-Freiwillige aus Indien. Das weltwärts-Programm ermöglicht es jungen Deutschen seit 2008, Erfahrungen in Entwicklungsländern zu sammeln. Seit 2013 kommen auch weltwärts-Freiwillige aus Entwicklungsländern nach Deutschland. 2015 waren hier 111 Freiwillige aus Lateinamerika, 71 aus Afrika und 21 aus Asien im Einsatz.
vidyavarghees@gmail.com

Link
weltwärts:
http://www.weltwärts.de
 

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.