Entwicklung und
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Gesundheitswesen

Globale Verantwortung

Krankmachende Lebensverhältnisse sind die Ursache der Ebola-Epidemie in Sierra Leone. Ohne solides Bildungs- und Gesundheitswesen sind Menschen zur Ohnmacht verdammt. Die weltmarktorientierte Wirtschaftspolitik hat in den vergangenen Jahren die Lage nicht verbessert.
NMJD-Mitglied klärt über Ebola auf. NMJD NMJD-Mitglied klärt über Ebola auf.

Um sich vor Krankheitserregern zu schützen, werden Menschen in Sierra Leone derzeit aufgefordert, sich mehrmals am Tag mit Wasser und Chlor die Hände zu waschen. Das klingt geradezu zynisch, denn nur jeder Zweite hat überhaupt Zugang zu sauberem Wasser.

Sierra Leone ist so groß wie Hessen. Es wurde in Kolonialzeiten von Briten ausgebeutet und danach von heimischen Eliten. Staatliche Institutionen bleiben anderthalb Jahrzehnte nach dem Ende des verheerenden Bürgerkriegs schwach. Die Volkswirtschaft ist komplett auf Rohstoffexporte ausgerichtet. Dank fruchtbarer Äcker und Bodenschätzen wie Diamanten, Rutil und Gold ist sie jahrelang rasant gewachsen. Das wurde aber nicht genutzt, um das Gesundheits- und Bildungs­wesen zu stärken und allen menschenwürdige Lebensbedingungen zu sichern. Ressourcen werden in personalisierten Netzwerken verteilt; dabei sind externe Finanziers wichtiger als die heimische Bevölkerung. Privater Profit hat Vorrang vor Staatseinnahmen. Präsident Ernest Koroma ist stolz, das Land „wie ein Unternehmen“ zu führen.

Sierra Leone hatte noch nie ein funktionierendes Gesundheitswesen. Im Schnitt kommt nur ein Arzt auf 30 000 Menschen. Wegen Auflagen von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank sanken die Gehälter im Gesundheitswesen unter die Armutsgrenze. Fachpersonal wanderte massenhaft aus.

Die Infrastruktur ist desolat und die Armen sind schutzlos. Die Gesundheitskatastrophe begann auch nicht mit Ebola, sondern viel früher. In den ersten vier Epidemiemonaten starben rund 440 Menschen an Ebola – aber mehr als 3000 an Malaria, fast 900 an Durchfall­erkrankungen und beinahe 800 an HIV/Aids. Auch Meningitis und Tuberkulose forderten mehr Opfer als Ebola. Die breite Mehrheit der Bevölkerung kennt den Staat nicht in einer fürsorglichen Rolle. Sie traut Behörden nicht, die nun vielerorts ganze Viertel abriegeln, ohne die eingeschlossenen Menschen ausreichend mit Nahrung zu versorgen. In der rohstoffreichen, aber sozial verarmten Provinz Kono gab es deswegen bereits tödliche Gewalt.

Die Voraussetzungen für Aufklärungskampagnen sind denkbar schlecht. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die wie das Network Movement for Justice and Development (NMJD) seit langem vor Ort sind, haben aber einen Vorteil: Die Menschen vertrauen ihnen. Seit Wochen gehen Helfer von Tür zu Tür. Sie wollen in Gesprächen Angst, Misstrauen und Fatalismus überwinden. Sie erklären, warum es lebensgefährlich ist, kranke Angehörige zu verstecken, und dass alle, die eine Ebola-Infektion überlebt haben, tatsächlich geheilt sind. Sie warnen vor Stigmatisierung und versuchen trauernde Angehörige respektvoll davon abzuhalten, an Ebola gestorbene Personen zu waschen oder zu umarmen.

Das NMJD stellt aber auch politische Forderungen. Echte Solidarität ist nötig, nicht oberflächliche Hilfe. Die Menschen müssen in die Lage versetzt werden, sich selbst um ihr Schicksal zu kümmern. Sierra Leone braucht eine Sozialpolitik, die der Bevölkerung dient, und nicht eine Wirtschaftspolitik, die Weltmarktinteressen bedient. Das ist auch finanzierbar. Internationale Organisationen und Geberregierungen haben auf Sierra Leone großen Einfluss, weil das Land nach dem Bürgerkrieg auf deren Unterstützung angewiesen ist. Reiche Länder dürfen sich nun nicht von der westafrikanischen Krisenregion abschotten. Es ist dringend nötig, einen internationalen Gesundheitsfonds zu schaffen, der für eine gerechte weltweite Sozialpolitik sorgen könnte (siehe Beitrag von Leo Ferno zum Thema). Die Mittel dafür wären vorhanden – aber sie werden nicht gerecht verteilt.

Nicht nur die nationale, auch die globale Politik hat in Sierra Leone und den Nachbarländern Guinea und Liberia die elementaren Bedürfnisse der Bevölkerung immer vernachlässigt. Deshalb breitet sich Ebola nun schnell aus. In dieser Weltgegend machen die Lebensverhältnisse krank – und zwar nicht erst seit ein paar Monaten.
 

Anne Jung ist Gesundheitsreferentin bei medico international.
jung@medico.de

Joseph Pokawa ist Programmleiter des zivilgesellschaftlichen Network Movement for Justice and Development (NMJD) in Sierra Leone.
http://www.nmjd.org