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Friedensnobelpreis

Preis gegen die Scham

Den Friedensnobelpreis erhalten in diesem Jahr Nadia Murad und Denis Mukwege für ihren Einsatz gegen sexualisierte Kriegsgewalt. Hoffentlich wird das den Blick auf die Opfer verändern. Scham hilft nicht – nötig sind Anerkennung des Leids und Unterstützung.
Nadia Murad bei einer Presse­konferenz in Washington im Oktober 2018. Mike Theiler/picture-alliance/newscom Nadia Murad bei einer Presse­konferenz in Washington im Oktober 2018.

Die Zerstörung Bagdads gilt als eines der schlimmsten Ereignisse in der muslimischen Geschichte des Islams. Die Schätzungen darüber, wie viele Menschen das mongolische Heer von Hulagu Khan bei der Eroberung der Stadt im Februar 1258 tötete, schwanken zwischen 200 000 und einer Million. Der Verwesungsgeruch zwang Hulagu dann, sein Lager in den Windschatten zu verlegen. Minarette wurden aus abgeschlagenen Köpfen errichtet. Hulagos Männer warfen sich Bagdads Frauen als Trophäen zu und vergewaltigten sie. Als Sexsklavinnen wurden die, deren Leben verschont blieb, zu Souvenirs der Sieger. Vergewaltigung diente als Waffe, um die Unterlegenen einzuschüchtern.

Kriegsgewalt gegen Frauen ist keine Sache des 13. Jahrhunderts. Auch heute müssen Frauen mit ansehen, wie Angehörige vor ihren Augen getötet werden. Sie selbst werden versklavt und vergewaltigt. Im heutigen Irak geschah das beim Genozid an den Jesiden. Am 15. August 2014 überfiel der sunnitisch-extremistische ISIS Jesiden im Bezirk Sindschar. Die Terroristen töteten 2000 bis 5500 Angehörige dieser Minderheit und verschleppten fast 6000. Die Schreie der betroffenen Frauen gleichten denen der Frauen vor acht Jahrhunderten in Bagdad.

Nadia Murad lebte in einem Dorf unweit der Stadt Sindschar und träumte davon, Lehrerin zu werden. Doch ISIS-Terroristen töteten ihre Mutter und sechs Brüder. Die 21-Jährige wurde entführt und in Gefangenschaft Tag und Nacht von Männern, die sich abwechselten, gequält und vergewaltigt – wie tausende andere Jesidinnen.

Nadia Murad konnte fliehen und lebt heute in Deutschland. Anders als die meisten Opfer berichtete sie über das, was ihr angetan wurde, und sparte dabei auch brutale Details nicht aus. Sie kam zu der Überzeugung, dass Scham die strategisch eingesetzte Brutalität gegen Frauen nicht beenden wird. Sie wurde zur Aktivistin gegen sexualisierte Kriegsverbrechen weltweit und hat vor dem UN-Sicherheitsrat, dem britischen Parlament und dem US-Kongress gesprochen.

Für ihren Einsatz gegen sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten wurde Nadia Murad und dem kongolesischen Arzt Denis Mukwege nun der Friedensnobelpreis zuerkannt. Der Gynäkologe gründete 1991 das Panzi-Hospital in Südkivu, einer Provinz der Demokratischen Republik Kongo (DRK). Sein Spezialgebiet ist die Behandlung der Überlebenden von Gewaltverbrechen. 85 000 Patienten hat sein Hospital bislang medizinisch versorgt, von denen 60 Prozent Opfer sexualisierter Gewalt geworden waren. Missbraucht von bewaffneten Rebellen, hatten die Patientinnen vielfältige gynäkologische Verletzungen.

Die Entscheidung des norwegischen Nobelpreiskomitees hat die Aufmerksamkeit der Welt auf solch schreckliche Kriegsverbrechen gelenkt. Der Scheinwerfer ist auf die Konflikte in zwei unterschiedlichen Kontinenten gerichtet, aber das gemeinsame Thema ist der verheerende Preis, den Frauen in Gewaltkonflikten zahlen müssen.

Dem UN-Sicherheitsrat sagte Nadia Murad, offen zu reden sei „eine der härtesten Entscheidungen“ ihres Lebens gewesen – und zugleich „die wichtigste“. Der Nobelpreis würdigt die Courage, mit der sie über Not, Schmerz und Leid spricht, um die Weltgemeinschaft auf deren Nichtstun aufmerksam zu machen. Der Nobelpreis für Nadia Murad ist ein Appell an die Weltgemeinschaft, keinen Stein auf dem anderen zu lassen, bis das Martyrium von Frauen in Gewaltkonflikten beendet ist. Die Auszeichnung kann Wandel einleiten, denn sie zeigt den Opfern, dass es richtig ist, über Traumata zu sprechen. Der Nobelpreis ist ein Preis gegen die Scham, und er soll Frauen weltweit ermutigen, gegen Täter auszusagen und sie vor Gericht zu bringen. Zugleich ist er Kritik an einer Weltgemeinschaft, die Täter allzu oft straffrei davonkommen lässt.


Mahwish Gul kommt aus Islamabad und studiert Entwicklungsmanagement an der Ruhr-Universität Bochum und an der University of Western Cape in Kapstadt. Der gemeinsame Studiengang der beiden Hochschulen gehört zur Arbeitsgemeinschaft entwicklungsbezogener Postgraduierten-Programme (AGEP).
mahwish.gul@gmail.com