Multilaterale Politik
Nachhaltigkeit in Bearbeitung
Von Tetsuro Yoshida und Ikuho Miyazawa
Im Juni fand Rio+20, die UN-Konferenz über nachhaltige Entwicklung, in Rio de Janeiro statt. 20 Jahre nach dem ersten Rio-Gipfel sollte sie beurteilen, was die damals beschlossenen UN-Konventionen zu Klimawandel, Biodiversität und anderen Themen gebracht haben. Leider wurde der Trend der nicht nachhaltigen Entwicklung nicht umgekehrt. Heute ist Klimawandel keine theoretische Gefahr mehr, sondern bittere Realität mit immer häufigeren Dürren, Stürmen und Überschwemmungen.
In diesem Sommer hat die internationale Staatengemeinschaft nun in Rio die Gründung einer Arbeitsgruppe beschlossen, um die Nachhaltigkeitsziele (SDGs) zu definieren. Es reicht nicht, über 500 multilaterale Umweltabkommen zu haben und eine große Anzahl anderer Verpflichtungen, von denen viele rechtsverbindlich sind. Konsequentes Handeln muss folgen.
Prioritäten setzen
Die Millenniumsentwicklungsziele (Millennium Development Goals, MDGs) haben gezeigt, dass globale Ziele und Agenden dazu beitragen, dass politische Entscheidungsträger und Akteure aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft auf der ganzen Welt bestimmte Themen aufgreifen. Die MDGs wurden im Jahr 2000 von den UN festgelegt, um auf bestimmten Feldern Armut zu reduzieren. Sie forderten messbare Ergebnisse für die Jahre 1990 bis 2015. Jede ähnliche Zielvereinbarung sollte auf den Stärken der MDGs aufbauen und zugleich deren Schwachpunkte vermeiden (siehe Kasten).
SDGs zu formulieren ist ein anspruchsvolles Unterfangen. Die Abschlusserklärung von Rio+20 nennt dafür einige Prinzipien, die überwiegend auf MDG-Erfahrungen basieren. Relevant sind unter anderem:
– Die SDGs müssen Dinge behandeln, die – wie etwa Energie und Biodiversität – in den MDGs fehlen.
– Jedes Ziel muss alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit (ökonomisch, sozial und ökologisch) berücksichtigen.
– Die SDGs sollten universell anwendbar und ihre Zahl begrenzt sein.
– Sie müssen überzeugend, handlungsorientiert und leicht verständlich sein.
– Die SDG-Agenda muss mit internationalem Recht und früheren Verpflichtungen übereinstimmen, gleichzeitig aber der nationalen Politik Gestaltungsspielraum lassen.
– Die Zielvorgaben müssen mit klaren Indikatoren quantifizierbar sein.
Als dieser Beitrag im September entstand, liefen drei verschiedene Arbeitsprozesse im UN-Kontext:
– Ein High-Level Panel arbeitete an einer Post-MDG-Agenda.
– Die UN Development Group hatte Informationsgespräche auf Länderebene und themenspezifische Beratungen in Gang gebracht.
– Eine Arbeitsgruppe von 30 Repräsentanten wurde berufen, um die SDG-Agenda zu entwerfen.
Während der UN-Generalversammlung in New York plädierten viele dafür, die SDG- und die Post-MDG-Agenden miteinander zu verbinden. In welchem Maß das gelingt, muss sich noch zeigen. Tatsächlich sollten die beiden Lager nicht konkurrieren, sondern kooperieren. Die Anliegen sind jedenfalls kompatibel. Armut zu beenden ist nicht nur das Hauptziel der MDGs, sondern auch Kernbestandteil nachhaltiger Entwicklung.
Die SDGs dürfen nicht in ökonomische, soziale und ökologische Ziele aufgeteilt werden. Nachhaltigkeit muss holistisch verstanden werden, denn es kommt auf die Wechselwirkungen zwischen den drei Säulen an. Wirtschaftswachstum, das auf Naturzerstörung beruht, ist ebenso wenig nachhaltig wie Umweltschutz, der Armut verschlimmert. Und ohne Wirtschaftswachstum ist Armut nicht zurückzudrängen.
Auf globaler Ebene sind Klimawandel und der Verlust der Artenvielfalt heute die wichtigsten Bedrohungen von Nachhaltigkeit. Aber lokale, nationale und kontinentale Probleme sind ebenfalls wichtig.
Es wird nur eine begrenzte Anzahl von SDGs geben, folglich können sie nicht alles abdecken, was wünschenswert wäre. Es wäre sinnlos, rechtsverbindliche Ziele zu wiederholen, die an anderer Stelle ausgehandelt wurden. Pflichten zur CO2-Reduktion zu definieren, ist Aufgabe der UN-Klimarahmenkonvention und des Kyoto-Protokolls. Stimmig wäre es, wenn die SDGs beispielsweise die Erhöhung des Anteils sauberer Quellen im Energiemix eines Landes beinhalten würden.
Allgemeingültige SDGs für alle Länder zu formulieren ist schwer. Die internationale Staatengemeinschaft ist hochdivers. Jede Nation steht vor besonderen Aufgaben. Es gilt das Prinzip der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung.
Für die meisten Entwicklungsländer ist die Versorgung mit lebenswichtigen Ressourcen (wie sauberem Wasser) vorrangig. Für Länder mit mittleren Einkommen geht es um die effizientere Nutzung der Ressourcen. Industrienationen wiederum müssen ihren Lebensstil ändern, wenn sich der Trend zur Umweltzerstörung umkehren soll.
Im Bezug auf elektrische Energie wäre eine dreistufige Zielsetzung sinnvoll, die diesen Dimensionen gerecht würde: universelle Versorgung (wichtig vor allem in den am wenigsten entwickelten Ländern), Ressourceneffizienz (wichtig vor allem für Schwellenländer) und der Ausbau der erneuerbaren Energien (wichtig vor allem in den reichen Ländern).
Klar ist jedoch, dass alle drei Dimensionen alle Staaten betreffen. Im Zuge der Globalisierung werden die Kategorien, denen wir Staaten bislang zuordnen, allmählich bedeutungslos. Tendenziell wächst die Kluft zwischen Arm und Reich heute innerhalb von Ländern. Selbst in reichen Nationen haben heute manche Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser und Strom. Andererseits leben einige Reiche in armen Ländern besser als Wohlhabende reicher Länder. Die Konsumgewohnheiten prosperierender Schichten in Entwicklungsländern sind derweil meist nicht ökologisch nachhaltig. Die SDGs müssen so entworfen werden, dass sie all diese relevanten Aspekte berücksichtigen.
Zufriedenheit lernen
Die meisten Menschen und Gesellschaften streben nach höherem Lebensstandard, wobei irgendwann mehr Güter und Dienstleistungen konsumiert werden, als nötig wäre. In Japan sagen wir: „Ich lerne, zufrieden zu sein.“ Es geht darum, sich bewusst zu werden über das, was man tut. Gerade in den Industrienationen erfordert ein attraktiver, gesunder und nachhaltiger Lebensstil nicht unbedingt mehr materiellen Konsum.
Es ist an der Zeit, die wahre Bedeutung des Glücks zu überdenken, das nicht allein in materiellem Wohl, sondern auch in traditionellen Werten liegt, die es auf der ganzen Welt gibt – in Gemeinschaft und sozialen Beziehungen. Es gilt zu erkennen, was ausreicht, um sich wohl zu fühlen (siehe Petra Pinzler in D+C/E+Z 2012/04, S. 164 f.).
SDGs zu entwerfen ist eine komplexere Angelegenheit, als die Definition der MDGs war. Die MDGs konzentrierten sich auf die Bekämpfung der Armut. In den SDGs wird es nicht nur um Armut gehen, sondern auch um ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit. Die MDGs wurden zudem in einer Zeit gestartet, als die Finanzsysteme relativ stabil und der Multilateralismus stark waren.
Wie die Millenniumsziele müssen auch die SDGs möglichst vielen Menschen einleuchten. Nur so kann Nachhaltigkeit zur gemeinsamen Sache werden, deren Sinn alle erkennen. Nachhaltigkeit ist von vielen Seiten gefährdet. Das stellt uns vor umfassende, schwierige Aufgaben. Kompetentes Handeln ist dringend nötig. Ohne starken politischen Willen wird sich auch die Armut nicht überwinden lassen.
Eine besondere Herausforderung ist zudem, dass die SDGs selbst nachhaltig sein müssen. Per Definition ist Nachhaltigkeit eine permanente Herausforderung. Zweifelsohne brauchen wir dafür kohärente Politik.