Millenniumsziele
Frauen retten Leben
Von Aigul Azimova und Nazgul Abazbekova
Die Verbesserung der Müttergesundheit ist das fünfte UN-Millenniumsziel. Es ist ein dringendes Problem in Zentralasien, denn obwohl im vergangenen Jahrzehnt einige Fortschritte erzielt wurden, ist die Müttersterblichkeit überall in der Region weiterhin hoch.
Nach offiziellen Zahlen aus Kasachstan starben 37 Mütter pro 100 000 Lebendgeburten in 2009. Die Zahl für Tadschikistan war 31. In beiden Ländern ist die Müttersterblichkeitsrate gegenüber 2008 leicht gesunken. In Kirgistan dagegen stieg die Zahl sogar – und zwar um mehr als 15 Prozent auf 62 Tote pro 100 000 Geburten in 2009. Studien von Nichtregierungsorganisationen legen nahe, dass die Lage sogar noch schlimmer ist. Zum Vergleich: In Europa sterben nur 15 Mütter pro 100 000 Geburten.
Die Hauptgründe für die hohe Müttersterblichkeitsrate in Zentralasien sind
– schlechte Infrastruktur,
– Mangel an ausgebildetem Personal und
– schlechter Zugang zu Gesundheitseinrichtungen für Frauen, vor allem auf dem Land.
Auch Armut trägt zur Müttersterblichkeit bei. Unterernährte Menschen neigen zu Gesundheitsproblemen. Aufgrund von schlechter Bildung verstehen viele Patienten die Vorgänge in ihrem Körper nicht so gut.
Für Müttergesundheit spielt weibliches Personal eine wichtige Rolle. Viele Patientinnen in Zentralasien haben keinen Zugang zu fachkundiger Gesundheitsversorgung, geschweige denn zu Fortpflanzungsmedizin. Die meisten von ihnen leben auf dem Land – in Tadschikistan beispielsweise ganze 70 Prozent – wo Traditionen sehr wichtig sind.
Kulturelle und religiöse Normen gebieten vielen Frauen, keinen männlichen Arzt aufzusuchen. Keinesfalls würden sie gynäkologische Fragen mit einem Mann besprechen. Deshalb spielt weibliches medizinisches Personal eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, werdende Mütter zu untersuchen und zu beraten – ganz nach dem Prinzip „von Frau zu Frau“.
Mütter schützen
Frauen arbeiten in allen Bereichen der Müttergesundheitspflege, darunter
– Pflege und Unterstützung der Patientinnen vor und nach der Geburt,
– Geburtshilfe und
– Beratung in Familienplanung, Fortpflanzungsmedizin, Risiken von sexuell übertragbaren Krankheiten und ihre Behandlung.
In der sekundären und tertiären Gesundheitsversorgung, in der spezialisierte Fachkräfte arbeiten, führen Frauen auch Geburts- oder gynäkologische Operationen durch. Allerdings gibt es zu wenige Ärztinnen und oft fehlt ihnen die neueste Technik. Die WHO (2010) schreibt von einem aktuellen „Personalmangel, der auch künftig bestehen bleiben wird“.
In Zentralasien müssen Frauen, die im Gesundheitswesen arbeiten, viele Hürden überwinden. Anara Eshhodzhaeva leitet die Abteilung für Mutterschaft und Kinderfürsorge in Kirgistans Gesundheitsministerium. Seit 25 Jahren arbeitet sie auf diesem Gebiet. Sie sieht folgende Probleme:
– Die Gebäude der Gesundheitseinrichtungen sind in einem schlechten Zustand und haben oft keine Heizung und Wasserversorgung,
– die Geräte sind veraltet oder sogar unbrauchbar, und
– viele Fachkräfte gehen ins Ausland, wo die Arbeitsbedingungen besser und Einkommen höher sind.
Zudem ist medizinisches Personal gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. Ansteckungsgefahr besteht vor allem, wenn sie Patienten mit Tuberkulose (TBC) und HIV/Aids betreuen. TBC ist nach WHO-Angaben in Zentralasien stark verbreitet, und die Länder gehören laut UNAIDS zu den Top-7-Staaten mit der schnellsten Verbreitung von HIV/Aids.
Die hohe Arbeitslast ist ein weiteres Problem für medizinisches Personal. Es gibt zu wenig Personal und die Schichtpläne sind komplex. Die Pflegerinnen und Ärztinnen haben fortlaufend das Leben von Frauen und Kindern in der Hand, weshalb viele unter Stresssymptomen und Burnout leiden.
Vor allem auf dem Land haben Fachkräfte nahezu keine Möglichkeiten, sich fortzubilden. Weiterbildungen werden hier schlicht nicht angeboten. Zudem müssen die Frauen sich oft neben der Arbeit noch um die eigene Landwirtschaft kümmern, um das Familieneinkommen aufzustocken. Als Hausfrauen können sie sich nicht erlauben, zu Ausbildungszwecken für längere Zeit von zu Hause fortzugehen. Außerdem kann sie auf der Arbeit oft niemand kompetent ersetzen. Wenn sie zu einer Fortbildung fahren, lassen sie ihre Patienten ohne medizinische Versorgung zurück.
E-Learning kann hier Verbesserungen bringen. Es gibt bereits erfolgreiche Programme für medizinische Fachkräfte in der Region. Durch die selbstständige Lehrmethode können sie sich weiterbilden, ohne die Familie und den Arbeitsplatz zu verlassen. Jedoch brauchen die Teilnehmer einen Computer mit Internetanschluss, und solch eine Ausstattung ist nicht selbstverständlich. Es wäre sinnvoll, Gesundheitseinrichtungen und Privathäuser mit Computern und Internetanschluss auszurüsten. Das würde die Arbeit in der Müttergesundheit attraktiver machen und die Leistung erhöhen.
Arbeitende Mütter
Gerade für im Gesundheitswesen arbeitende Frauen ist es oft schwierig, eine gute Work-Life-Balance zu halten. Die Gesellschaft betrachtet Frauen als hauptverantwortlich für Haushalt und Kindererziehung. Aber die beruflichen Anforderungen machen es ihnen schwer, alle Familienpflichten zu erfüllen. Deshalb verlassen Frauen oft die Mütterversorgung und wechseln in weniger aufreibende Bereiche im Gesundheitswesen.
Die meisten Regierungen Zentralasiens verschlimmern die Situation noch, weil sie arbeitende Mütter nicht genug unterstützen. Zum Beispiel gibt es zu wenig Kindertagesstätten. In Kirgistan gibt es weder Mutterschutzgesetze noch Unterstützung bei der Kinderbetreuung.
Die Herausforderungen scheinen riesig. Bislang wurden allerdings noch keine Studien erstellt, um sie besser zu verstehen und Änderungsvorschläge zu machen. Es ist höchste Zeit, strategische Ziele zu formulieren, um die Arbeitsbedingungen für Frauen in Zentralasien zu verbessern, insbesondere im Gesundheitswesen.
Gerade im Bereich Müttergesundheit mit seinen vielen weiblichen Mitarbeitern müssen die Bedingungen verbessert werden. Frauen müssen in diesem Arbeitsumfeld immer noch hohe Hürden nehmen, was sich negativ auf ihre Gesundheit und Lebensqualität auswirkt, aber auch auf die Qualität der medizinischen Versorgung.