Grundbildung

Über das Ohr lernen

Die Deutsche Welle (DW) ist der Auslandssender der Bundeserpublik. In Entwicklungsländern fördert sie Bildungsprojekte, um das Entstehen einer aktiven Zivilgesellschaft und Demokratie voranzutreiben. Vor einem Jahr hat der Sender mit dem Programm „Learning by Ear“ eine große Bildungsinitiative für junge Afrikaner gestartet.


[ Von Ute Schaeffer ]

James Muhando ist nervös. Der Radio-Moderator und Serien-Darsteller organisiert im Auftrag der DW das Casting für das Bildungsprogramm „Learning by Ear“ in Nairobi. Als die 50 kenianischen Schauspieler pünktlich erscheinen, entspannt sich der 28-Jährige. Dabei beginnt jetzt die eigentliche Arbeit: In den kommenden zwei Wochen werden rund 400 Sendeminuten in dem kleinen Produktionsstudio von Baraka FM in Hurlingham produziert.

Im Stadtteil Hurlingham, in dem die stetig wachsende Mittelschicht Nairobis zu Hause ist, sind die Straßen sauber, die Hektik und der Lärm der Vier-Millionen-Metropole kaum spürbar. Uniformiertes Sicherheitspersonal bewacht die ummauerten Apartment-Komplexe ununterbrochen. Zwei Straßen weiter liegt eines der mehr als 200 Slums von Nairobi. Drei Viertel der Städter wohnen hier in Wellblechhütten. Bei Regen verwandeln sich die engen Gassen in eine unpassierbare Schlammmasse; die Mitarbeiter der „Learning by Ear“-Produktion kommen nur über Umwege ins Studio.

Dort geben sie Schauspielern Regieanweisungen, besprechen Szenen, überbrücken technische Lücken, ertragen Stromausfälle. Nach zwei Wochen merkt keiner mehr, dass das wichtigste, was das deutsche Re­daktions- und Regieteam zu lernen hatte, das Improvisieren war. „Das ist eine Mammut-Aufgabe. Aber hier in Nairobi sind die Studiobedingungen relativ gut“, erzählt Götz Bürki. „Wegen der schlechten Schallabsorption haben wir erst einmal Matratzen auf dem lokalen Markt gekauft. Die Technik funktioniert reibungslos, die nairobischen Kollegen haben alles gut vorbereitet“, sagt der DW-Tonmeister, der seit Projektbeginn im Frühjahr 2008 an fünf „Learning by Ear“-Produktionen beteiligt war.

Skript, Produktion und Ausstrahlung von „Learning by Ear“ werden meist in Afrika erstellt. „Das ist der beste Weg, um Programme zu entwickeln, die die Interessen der DW-Hörer in Subsahara-Afrika treffen“, sagt Intendant Erik Bettermann. Die mehr als 200 afrikanischen Partnersender hätten sich seit langem mehr Bildungsprogramme für die jungen Hörer gewünscht. Drittmittel des Auswärtigen Amts, das mit der Aktion Afrika auswärtige Kulturpolitik unterstützt, hätten das dem deutschen Auslandsrundfunk ermöglicht, betont Bettermann.

Alltagsprobleme thematisieren

Mittlerweile hat die Welle 15 Serien des Bildungsprogramms in allen sechs afrikanischen Sendesprachen ausgestrahlt: Englisch, Französisch, Portugiesisch, Amharisch, Haussa und Kisuaheli. Es orientiert sich an der Lebenswirklichkeit junger Menschen. „Die Jugendlichen haben die Nase voll von den Belehrungen über Aids und andere Krankheiten“, so der mosambikanische Schauspieler Elliot Alex, der bei der portugiesischen Version mitgemacht hat. „Wenn Botschaften in eine Geschichte verpackt werden, kommen sie besser an.“

Das können Porträts oder Reportagen sein – etwa über Jugendliche, die sich sozial engagieren. Zum Beispiel über Collins Omondi aus Mathare, einem der größten Elendsviertel in Nairobi, wo rund 700 000 Menschen leben. Collins ist freiwilliger Kameramann und Redakteur bei Slum TV, das als eigenverantwortliches Redaktionsteam über den dortigen Alltag berichtet. Oder der 36-jährige Alfred Sirleaf, der im liberianischen Monrovia jeden Tag Informationen verbreitet, indem er eine Wandzeitung in Form eines Billboards beschreibt. Oder die liberianische Hebamme Anita Varney, die täglich mit den Folgen von Gewalt und Bürgerkrieg in ihrem Land konfrontiert wird und Opfer sexueller Gewalt berät.

Populär sind fiktionale Geschichten, Telenovelas, nicht nur in Nollywood, der erfolgreichen Filmindustrie Nigerias, sondern im ganzen afrikanischen TV- und Radiomarkt. „Learning by Ear“ hat das erkannt und bereitet rund zwei Drittel seiner Inhalte als Mini-Hörspiele auf. In Serien mit je zehn Folgen à 10 Minuten werden kleine und größere Alltagsdramen rund um Schlüsselthemen für die Entwicklung Afrikas dargestellt. Es geht um Globalisierung, Umwelt, HIV/Aids, die Situation von Mädchen und Frauen, Gesundheit, politische Partizipation, Zivilgesellschaft sowie Computer und Internet. Jedes Thema wird in eine handfeste Story verpackt, wie sie im Alltag der Zielgruppen vorkommen könnte. Wie etwa die Geschichte der intelligenten, lebenslustigen Malaika, die ihr Dorf verlässt, um zu studieren, und in der fremden Großstadt zurechtkommen muss. So verschieden die Geschichten und Inhalte der Novelas auch sind, ihre Handlung ist immer spannend und unterhaltsam.

In der Serie „Ein unwillkommener Abendgast“ etwa wird anhand der Geschichte des armen Fischers Masika die Tropenkrankheit Malaria thematisiert. Masika hat kein regelmäßiges Einkommen und kaum Schulbildung und weiß nicht, wie er sich und seine Familie vor Krankheiten wie Malaria schützen soll. Ein Moskitonetz, das eine NGO verteilt hat, nutzt er zum Fischen. Als seine Kinder krank werden, ist er überfordert. Soll er versuchen, an Medikamente zu kommen? Die Kinder zum traditionellen Heiler bringen? Sie im lokalen Krankenhaus auf Malaria testen lassen? Aber wie soll er die Behandlung bezahlen? Zum Glück weiß seine vierzehnjährige Tochter, die eine gute Schülerin ist, wie sie helfen kann …

Während die Hörer mit Masikas Familie mitfiebern, erhalten sie wichtige Informationen über Krankheitsverlauf und Therapiemöglichkeiten von Malaria, über Konflikte zwischen traditioneller und westlicher Medizin und vor allem darüber, wie man sich vor der gefährlichen Krankheit schützen kann.

Anregung zu sozialem Engagement

„Learning by Ear“ kann nicht den Schulbesuch ersetzen, aber es kann den Jugendlichen wichtige Bildungsinhalte nahebringen. Damit passt das Programm zu den deutschen und internationalen Bemühungen, auch in Afrika das UN-Millenniumsziel „Bildung für alle“ zu erreichen. „Wo Kinder nicht zur Schule kommen können, bringt die Deutsche Welle Bildungsprogramme zu den jungen Hörern“, sagte kürzlich Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, aus dessen Budget die Initiative derzeit finanziert wird.

„Learning by Ear“ vermittelt Wissen und will die Hörer anregen, sich gesellschaftlich einzubringen. In der Serie „Getting Involved – How to Become a Political Player“ erfahren sie durch die mutige Nachwuchspolitikerin Evelyn, was politisches Engagement bedeutet. Die Tochter eines allein erziehenden Polizisten hat genug vom – wie sie findet – egoistischen Handeln der alteingesessenen Elite und möchte sich als Stadträtin für die Belange ihrer Generation einsetzen. Aber der Weg dorthin ist hart. Auf diese Weise erfahren die Hörer von Korruption und fehlender Meinungsfreiheit, hören aber auch, was der Einzelne dagegen tun kann.

Eigene Beiträge

Die Jugendlichen können selbst beitragen, indem sie auf einer eigens für das Programm eingerichteten Internet-Seite ihre Erfahrungen schildern. Für Cream Wright, den Global Chief of Education von UNICEF, entscheidend: „Junge Menschen wollen ihre Grenzen austesten, neue Möglichkeiten schaffen und ausprobieren. Es geht nicht nur um das reine Lernen von Inhalten, sondern darum, dass junge Leute ihr Potential sehen und entfalten.“ „Learning by Ear“ rege sie zu eigenem Handeln an. „Wenn wir diese Energie und diese Ressourcen entzündet haben, kann viel Positives geschehen.“

Learning by Ear funktioniert auch als CD. Die Nichtregierungsorganisation HEDTAMAT im nördlichen Niger nutzt dank einer Kooperation mit Care Deutschland die Tonträger für ihre Arbeit mit jungen Tuareg. In Niger, Uganda und anderen afrikanischen Ländern gibt es inzwischen „Learning by Ear Clubs“. Hier hören sich Jugendliche gemeinsam die Sendungen an und sprechen darüber. Ihnen ist wichtig, dass ihre eigenen Lebensbedingungen berücksichtigt werden und sie sich mit den Charakteren identifizieren können. Diamantino da Silva, ein junger Hörer aus Guinea-Bissau, schreibt über eine Learning by Ear Radionovela, die von einem mit HIV infizierten Mädchen erzählt: „Genau solche Dinge passieren auch hier. Die Mütter haben Angst davor, mit ihren Töchtern über Sexualität zu sprechen. Sie werden stattdessen auf der Straße aufgeklärt und sind schlecht informiert. Gute Information ist der beste Weg, um Aids zu bekämpfen.“

In Togo und Benin haben Schüler für einen Wettbewerb ein eigenes Radio-Bildungsprogramm entworfen. Basierend auf einer Learning by Ear-Serie sammelten sie Ideen über erneuerbare Energien und verfassten eigene Beiträge dazu. Ausschnitte der besten wurden in den Afrika-Programmen der Deutschen Welle ausgestrahlt, die Hörer stimmten ab, welche Beiträge sie am gelungensten fanden.

Hörfunk ist populär

Learning by Ear ist interaktiv und setzt daher auch auf das Internet. Radio ist aber in Afrika zweifellos weiterhin das wichtigste Informationsmedium. Auf dem Land bietet es oft die einzige Möglichkeit sich zu informieren. Zeitungen sind wenig verbreitet, in manchen Regionen hat kaum jemand einen Fernseher. Die Internetverbindungen in Cyber-Cafés sind – wenn vorhanden – quälend langsam und für viele zu teuer, um sie regelmäßig zu nutzen.

Wie populär Hörfunk in Afrika ist, zeigen Nutzerzahlen. Laut einer Studie der African Media Development Initiative von 2006 hören 95 Prozent aller Tansanier mindestens einmal pro Woche Radio. 35 Prozent sehen fern, 31 Prozent lesen Zeitung. Weniger als ein Prozent der Bevölkerung nutzt das Internet.

In den meisten Ländern Subsahara-Afrikas sieht es ähnlich aus. Einen kleinen Radioempfänger hat fast jeder – und die Signale kleiner Community Stations und internationaler Sender wie der BBC und der Deutschen Welle können selbst in entlegenen Dörfern empfangen werden. Zudem entspricht der Hörfunk jahrhundertealten afrikanischen Erzähltraditionen. Seit jeher werden wichtige Informationen mündlich und in anschauliche Erzählungen verpackt weitergegeben. Radio erreicht viele Menschen, weil es günstig und überall verfügbar ist.

Das weiß auch Youssou N’Dour: Nicht nur in seiner Heimat Senegal ist der Sänger und Komponist längst eine Kultfigur. Seine Songs handeln von sozialen Problemen, der Grammy-Preisträger engagiert sich auch anderweitig. Er gründete das Projekt Joko, um junge Afrikaner mit Hilfe neuer Medien weltweit zu vernetzen, weil ihm deren Bedeutung bewusst ist: „Über das Radio lassen sich Inhalte und Ideen gut vermitteln. Das ist vor allem für Jugendliche wichtig, die weitab wohnen und kaum eine Schule besuchen können. Mit Learning by Ear können sie viel lernen – so, als gingen sie zur Schule.“

Die Redaktion richtet sich bewusst nicht zu stark an schulischen Inhalten aus – letztlich ist Learning by Ear kein Fern-Lern-Programm, wie es seit den siebziger Jahren in Kassettenform für den Unterricht ausgegeben wurde, sondern ein journalistisches Produkt.

Die DW erreicht in Afrika etwa 40 Millionen Menschen. „Die Bildungsanstrengung ist das wichtigste, was Afrika braucht, um seiner Jugend eine gute Zukunft zu garantieren“, sagt Bundespräsident Horst Köhler. „Angebote wie Learning by Ear können das wirklich unterstützen.“ Projekte wie diese sind nur durch die gute Vernetzung mit afrikanischen Partnern möglich geworden.

Auch im Einzelnen gibt es eine gute Resonanz auf das Projekt. Er habe viel über professionelles Radiomachen gelernt, sagt etwa James Muhando, der Moderator aus Nairobi. „Das alles hat mich zwar viel Schlaf gekostet, aber ich hoffe trotzdem, beim nächsten Mal mit der Deutschen Welle noch mehr ,über das Ohr‘ zu lernen.“

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